Forum Bioethik Lebenshilfe in der Diskussion
-Pro/Contra- 

Dies ist eine offizielle Stellungsnahme des Vorstandes der Lebenshilfe Braunschweig zur Diskussion über eine Leitbild-Entwicklung, die der Bundesvorsitzende Herr Antretter vorgeschlagen hatte. Leider werden in diesem Beitrag die eigentlichen Problempunkte (Verhältnis der Mitarbeiter, Eltern und Behinderten) kaum behandelt. Es ist schade, dass hier eine Chance vertan wurde.
Die Lebenshilfe ist eigentlich doch eine wichtige Einrichtung, die vor allem auch auf die gesellschaftliche Diskussion einwirken könnte. Dazu sollten auch innere 
Angelegenheiten geklärt werden. Und das in der heutigen Zeit, in der vieles immer schwieriger wird.

Orientierungsrahmen zur Leitbild-Entwicklung in der Lebenshilfe

Über 40 Jahre Lebenshilfe Braunschweig, die Bundesvereinigung ist noch ein wenig
älter, mehr als eine Generation, da ist eine große Strecke Weges zurückgelegt. Vieles
ist erreicht worden. Trotzdem bleibt vieles zu tun. Die allgemeinen Umstände, die
Gesellschaft und damit auch die Lebenshilfe sind im Wandel. Zeit, einmal ein wenig
nachzudenken, wohin die Reise geht? Was wollen wir? Wie soll die Lebenshilfe der
Zukunft aussehen?
War sie bei ihrer Gründung eine Elternselbsthilfeorganisation zur Hilfe für das behinderte
Kind, so zeigt allein ihr neuer Name: „Organisation zur Hilfe für behinderte Menschen“,
dass die Umwelt sich geändert hat. Gab es vor 40 Jahren auf Grund des 3.Reiches fast
ausschließlich nur behinderte Kinder, so sind diese inzwischen herangewachsen. Es
müssen nicht nur Kinder betreut werden. Vielmehr stellt sich jetzt zusätzlich die Frage
nach der Betreuung behinderter Erwachsener und Alten.
Die Mitgliederversammlung der Bundesvereinigung hat im Oktober 2000 allgemein dazu
aufgerufen, die Leitlinien neu zu überdenken. Von der Bundesvereinigung wurde darauf-
hin eine Projektgruppe, bestehend aus Vertretern des Bundesvorstandes, der Bundes-
kammer bzw. der Landesverbände, der örtlichen Vereinigungen, des Elternrates, der
Bundeszentrale und gemeinsam mit behinderten Menschen, gegründet, die mittlerweile
ein Orientierungspapier erarbeitet hat. Dieses wird zur Zeit bundesweit zur Diskussion
gestellt. Der Vorstand der Ortsvereinigung Braunschweig hat diese Initiative aufgegriffen.
Ein Vorstandsausschuss hat in mehreren Sitzungen die von der Projektgruppe vorgege-
benen 10 Punkte eingehend diskutiert und ist einstimmig zu folgenden Ergebnissen 
gelangt:
1. Die Lebenshilfe – eine Lebenshilfe-Organisation von Eltern und/oder Menschen mit
geistiger Behinderung?
a) Die Lebenshilfe ist eine Elternvereinigung und eine Selbsthilfeorganisation und soll dies auch in der Zukunft sein. Der Selbsthilfecharakter und die Beteiligung betrof-
fener Eltern unterscheidet Lebenshilfeeinrichtungen deutlich von z.B. gewerblichen
Anbietern in der Lebenshilfe.
b) Die Mitwirkung und Mitbestimmung geistig behinderter Menschen wird ohne wenn
      und aber bejaht.
c) Die Lebenshilfe unterstützt Eltern und Kinder bei dem Prozess, dass heran-wachsende Kinder mit zunehmenden Alter im Rahmen ihrer Möglichkeiten, ähnlich
nichtbehinderter Altersgenossen, ihre Lebensumstände selbst bestimmen können.
2. Für wen und wofür ist die Lebenshilfe da?
„Ziel der Lebenshilfe ist laut Grundsatzprogramm das Wohl geistig behinderter Menschen
und ihrer Angehörigen. Die Lebenshilfe ist für alle geistig behinderten Menschen da, unab-
hängig von der Schwere und der Ausprägung ihrer Behinderung, gleich, wie sie behindert
sind und wo sie leben“. (Hier handelt es sich um einen von der Projektgruppe eingebrachten
Textvorschlag, der von dem Vorstandsausschuss vorbehaltlos unterstützt wird.)
3. Das Verhältnis zwischen Eltern und MitarbeiterInnen
Eine Mitgliedschaft von MitarbeiterInnen im Verein wird ausdrücklich gewünscht. Ein pas-
sives Wahlrecht dieses Personenkreises für Funktionen im Vorstand des Vereins wird aus-
geschlossen. (Dieser Ausschluss begründet sich darin, dass der Vorstand Arbeitgeber ist.)
4. Das Verhältnis zwischen Menschen mit geistiger Behinderung und MitarbeiterInnen
Bei der Organisation der Betreuung ist die Meinung Behinderter zu berücksichtigen.
5. Das Verhältnis von Haupt- und Nebenamt
„Die Lebenshilfe sieht im ehrenamtlichen Engagement ein wertvolles und unverzichtbares
Element ihrer Arbeit. Sie fördert ehrenamtliche Arbeit durch Anerkennung und Weiterbil-
dungsangebote, sowohl für ehren- als auch für hauptamtliche Kräfte.
Die Qualität von Leistung und Führung ist entscheidend für Existenz und Weiterentwick-
lung in der Lebenshilfe. Insofern sind sowohl für haupt- als auch für ehrenamtliche Leitungs-
kräfte alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um eine hohe Qualität dieser Leistungs-
aufgabe sicherzustellen. Dies gilt für Ehren- wie für Hauptamt gleichermaßen.
Als Leitungsebene ergänzen sich ein starker, qualifizierter ehrenamtlicher Vorstand und 
eine ebensolche Geschäftsführung. Eine notwendige Voraussetzung für einen konstruk-
tiven Umgang mit Spannungen zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen liegt darin, dass alle
Beteiligten eine gemeinsame Grundlage als Ausgangspunkt ihres Miteinanderarbeitens
akzeptieren; eine klare Aufgabenverteilung, Einigkeit in den Zielen, eine gemeinsame 
Sympathiegrundlage, ein partnerschaftliches Verhältnis und gegenseitige Toleranz.“ (Auch
hier unterstützt der Vorstandsausschuss ausdrücklich den Vorschlag der Projektgruppe.)
 Der Vorstandsausschuss ist der Meinung, dass die Ebene der Leitlinien bei den
folgenden fünf Punkten verlassen wird. In den ersten fünf Punkten konnten jeweils freie
Forderungen erhoben werden, entsprechend der Ansicht, wie das Bild der Lebenshilfe in
Zukunft aussehen soll. Für die folgenden Punkte gilt das nicht. Sie sind abhängig vom
Inhalt der ersten Punkte, von örtlichen, wirtschaftlichen und nicht zuletzt von gesetzlichen
Einflüssen, auf die die Lebenshilfe reagieren muss. Trotzdem nimmt der Vorstandsaus-
Schuss auch zu diesen Punkten Stellung.
6. Verein oder Eigene Rechtspersönlichkeit als Einrichtungsträger?
Die Entscheidung ist immer von den jeweiligen Gegebenheiten vor Ort abhängig. Wich-
tiger als die Rechtsform an sich ist, dass der Verein als Vertretung Behinderter und ihrer
Angehörigen einen entscheidenden Einfluss hat.
7. Interessenvertretung und Dienstleistung: Lebenshilfe-Funktionen im Widerstreit?
Die Ökonomisierung des Sozialen betrifft auch Lebenshilfe-Einrichtungen. Viele “Spiel-
regeln“ sind gesetzlich vorgegeben (z.B. §93 BSHG). Trotzdem darf man sich nicht aus-
einander dividieren lassen. Die bisherige Politik im Hause der Lebenshilfe Braunschweig
entspricht eindeutig der Alternative 2 der Projektgruppe der Bundesvereinigung:
„Auch das `Dienstleistungsunternehmen Lebenshilfe´ dient geistig behinderten Menschen
und setzt sich für deren Interessen ein. Dieses gemeinsame Ziel gebietet, dass Verein und
Einrichtung an einem Strang ziehen. Das geht am Besten `unter einem Dach´, unter dem
auch Konflikte ausgetragen werden. Alles andere würde ein Auseinanderdividieren gemein-
samer Kräfte provozieren. Dies macht – neben strukturierenden Maßnahmen – ein funktion-
ierendes Kommunikationssystem zwischen `Dienstleistungsunternehmen´ und „Interessen-
verband“ notwendig.
8. Wer ist zuständig für Qualität und Verbraucherschutz?
Qualität
Die aufgezeigten Alternativen der Projektgruppe kann der Vorstandsausschuss nicht über-
nehmen. Man kann Qualitätsstandards setzen und überprüfen bzw. überprüfen lassen. De
facto werden aber bestimmte Qualitätsmanagementsysteme durch Auftraggeber gefordert
(z.B. ISO 9000).
Verbraucherschutz
Der gesamte Diskussionsverlauf lässt nur den Schluss zu, unter einem Dach Einrichtungs-
träger und Verbraucherschutz zu integrieren. Der Trägerverein setzt Standards. Für die Um-
setzung müssen die Strukturen zwischen Verein und gGmbH so gestaltet sein, dass bei 
Unstimmigkeiten Lösungsmöglichkeiten gefunden werden. Andere Verbraucherorgani-
sationen werden selbstverständlich unterstützt.
9. Das Verhältnis zwischen den Lebenshilfe-Ebenen
Die Ausführungen in der Vorlage der Projektgruppe werden voll akzeptiert. Besser kann
der Sachverhalt nicht dargestellt werden. Der Text lautet: „Die Bundesvereinigung (als
Dachverband), die Landesverbände und die Orts- und Kreisvereinigungen sind jeweils
Rechtlich und wirtschaftlich selbständig. Trotzdem fühlen sie sich in der Bundesvereini-
gung als bundesweiter Solidargemeinschaft miteinander verbunden. Als Gliederungen
der Lebenshilfe orientieren sie sich alle gleichermaßen am Grundsatzprogramm und
arbeiten vertrauensvoll zusammen, um die darin festgehaltenen Ziele zu erreichen. Vor-
aussetzung dafür sind Strukturen, die dies ermöglichen. Wichtig ist, die Kontakte unter-
einander zu pflegen und die Kommunikation zu verbessern: „Miteinander reden als Grund-
prinzip“. 
10. Organisationsgrundsätze
Hier wird vom Vorstandsausschuss kein Diskussionsbedarf gesehen. 

Dieses sind die Ergebnisse der Diskussion des Vorstandsausschusses, die dieser dem
Vorstand als Vorschlag für seine Stellungnahme vorlegt. Bitte beteiligen Sie sich auch an
der Diskussion. Sollten Sie Einwände oder Verbesserungsvorschläge haben, teilen Sie dies
doch bitte schriftlich oder durch einen Anruf in der Geschäftsstelle (Tel.: 0531/4719-220)
dem Vorstand mit. Er wird auf seiner Sitzung am 09.Oktober seine Stellungnahme zum
Papier der Projektgruppe beschließen. Lassen Sie auch Ihre Meinung einfließen und betei-
ligen Sie auch Menschen mit geistiger Behinderung an den Gesprächen: Fragen Sie, was
Ihnen am Herzen liegt!
 

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