Forum Bioethik | Das Ethik-Institut IMEW bringt Stellungnahmen
zu verschiedenen Themen, die das Gebiet der Bioethik betreffen.
IMEW konkret Menschenwürde – eine unverzichtbare Idee
Menschenwürde als Zentralbegriff von Ethik und Recht Die historische Erfahrung systematischer Menschenrechtsverletzungen
im deutschen Nationalsozialismus führte dazu, dass die Verpflichtung
zur Achtung der Menschenwürde als tragender Grund der Menschenrechte
zur obersten Rechtsnorm des Grundgesetzes wurde: „Die Würde des Menschen
ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller
staatlicher Gewalt.“ (Art. 1 Abs. 1 GG) Auch in der Allgemeinen Erklärung
der Menschenrechte der Vereinten Nationen ist die Menschenwürde Bezugspunkt
der Menschenrechtsbegründung. Rechtsordnungen und Politik sollen sich
also an der Menschenwürde als einem obersten Prinzip, das Moral und
Recht verbindet, orientieren.
Vorstellungen von „Menschenwürde“ Die Menschenwürde als Moralprinzip geht in moralischer Hinsicht
von der Gleichheit aller Menschen ohne Berücksichtigung von Leistung,
Amt und Ansehen aus. Sie zeichnet den Menschen als Menschen dadurch aus,
nicht auf einen „Wert“ für etwas anderes reduzierbar zu sein. „Menschenwürde“
bedeutet dabei sowohl die Voraussetzung, Rechte zu besitzen als auch
die Verpflichtung, grundlegende Rechte anderer zu achten. (Höffe 2002)
Begründung der Menschenwürde Entscheidend für die Begründung der Menschenwürde als
oberstem Moralprinzip ist seine allgemeine Verbindlichkeit. In der Kantischen
Ethik ist der Grund für die Menschenwürde die Vernunft und damit
die spezifisch menschliche Eigenschaft, moralisch zu urteilen und zu handeln.
„Menschenwürde“ bedeutet in diesem Sinne die vernünftige Einsicht
in die wechselseitige Verpflichtung, andere Menschen „niemals bloß
als Mittel“ sondern immer auch „als Zweck an sich selbst“ zu behandeln.
(Kant 1989)
Anwendungsbereich von Menschenwürde und Menschenrechten In der biomedizinischen Ethik ist der Anwendungsbereich der Menschenwürde
und der in ihr begründeten Rechte vor allem am Anfang und am Ende
des Lebens umstritten.
Gesellschaftliche Anerkennung der Menschenwürde Im Kontext der Biomedizin ist es nicht nur wichtig, zu klären,
wer als Träger der Menschenwürde anzusehen ist. Entscheidend
ist auch, wie grundlegende Rechte wirkungsvoll geschützt werden können.
(Düwell 2001) Biomedizin tendiert dazu, den Menschen auf Gene und
Körperfunktionen zu reduzieren; ihn als Objekt zu betrachten. Die
medizinische Ethik betont oft einseitig die Selbstbestimmung des Menschen
und blendet damit Leiblichkeit und soziale Abhängigkeit aus. (Mieth
2001) Zusammen mit der Tendenz zur Relativierung des Menschenrechtsschutzes
am Anfang und am Ende des Lebens (Schneider 2001) und dem zunehmenden Kostendruck
auf die Sozial- und Gesundheitssysteme (Eibach 1992) wird ein ausreichender
Schutz der Rechte besonders von Schwächeren und Verletzlicheren fraglich.
Literatur:
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