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Erosion der Bürgerrechte
(aus:ai-Journal 1/2002)
Seit den Anschlägen in New York und Washington wird in den
USA die Bekämpfung des
Terrors forciert. Dabei kommen die Menschenrechte unter die Räder:
Militärgerichte, wochenlange Administrativhaft und die Diskussion
über die Einführung der Folter von
Tatverdächtigen sind besorgniserregende Indikatoren.
Jasid al-Sami kannte einen der Attentäter des 11.
September flüchtig. 17 Tage verbrachte
er deshalb unter miserablen Haftbedingungen im Gefängnis.
Wie er wurden etwa 1.100
Ausländer, die seit den Terroranschlägen von
New York und Washington ohne recht-
liche Grundlage inhaftiert – die meisten von ihnen kommen
aus dem Nahen Osten. Vie-
len wurde nicht einmal mitgeteilt, was ihnen vorgeworfen
wird. Auch durften die meist
arabischstämmigen Menschen nicht mit einem Anwalt
sprechen. Mehrere neue Erlasse
und Gesetze schränken seit dem 11. September
die Menschen- und Bürgerrechte in
erheblichem Maße ein. „Wenn man sich im Krieg befindet,
geht man mit den individuellen
Grundrechten anders um“, versucht Senator Trent Lott
dies zu rechtfertigen.
Die Öffentlichkeit in den USA unterstützt mehrheitlich
die Maßnahmen der Regierung. In
den Medien wird offen darüber diskutiert, ob Folter
eine geeignete Maßnahme ist, Verdächtige
zum Reden zu bringen, um weitere Anschläge zu verhindern.
Der Kommentator
Tucker Carlson sagte in CNN: „Folter ist schlimm. Aber
vergessen Sie nicht, dass manche
Dinger schlimmer sind. Und unter bestimmten Umständen
könnte die Folter das geringere
Übel sein.“ Der Newsweek-Kolumnist Jonathan Alter
schrieb in einem Kommentar, dass
selbst Liberale in diesen Tagen an Folter dächten.
Zu seiner eigenen Überraschung brach
kein Sturm der Entrüstung los. Im Gegenteil: Es
kamen vielmehr zustimmend Leser-
briefe.
Soweit ist die amerikanische Politik zwar noch nicht,
aber gerade sie sorgt derzeit für fun-
damentale Einschränkungen der Bürgerrechte.
Dazu zählt die Administrativhaft für Ver-
dächtige, die durch einen Erlass von Justizminister
John Ashcroft wirksam wurde. Inhaf-
tierung ohne Anklage oder Haftbefehl „für eine angemessene
Zeit“ – die dehnbare Formu-
lierung läd zu Willkür ein. Darüber hinaus
genügt künftig bereits der Verdacht, Terror-
ismus zu unterstützen und, um Ausländer auszuweisen.
Eine weitere Problematik der neuen Sicherheitsgesetze
ist das Eindringen in die Privat-
sphäre der Bürger. Unmittelbar nach den Anschlägen
wurde ein Gesetz verabschiedet,
das das Abfangen und Lesen von E-mails gestattet, noch
bevor der Adressat die Nach-
richt gelesen hat. Das Abhören von Telefonaten und
die heimliche Durchsuchung von
Wohnungen wurde noch weiter erleichtert, die lebenslange
Überwachung von entlas-
senen Gefangenen ermöglicht und die Tatbestände,
die mit dem Tode bestraft werden
können, erweitert. Mehrere Anti-Terror-Maßnahmen
wurden verabschiedet, ohne dass
viele der Abgeordneten die Gesetzentwürfe überhaupt
gelesen hatten.
Am 13. November erließ Präsident George W.
Bush eine Verfügung, der zufolge Aus-
länder, die verdächtigt werden, in internationalen
Terrorismus verwickelt zu sein, auf
Veranlassung des Präsidenten vor spezielle Militärgerichte
gestellt werden können.
Diese Militärgerichte bestehen aus einer Kommission,
die Urteile empfehlen kann.
Über die Empfehlung entscheidet die Zwei-Drittel-Mehrheit
der Kommissionsmitglieder.
Präsident oder Verteidigungsminister überprüfen
die Beurteilung und fällen das end-
gültige Urteil. Diese Vorgehensweise hebelt in jeder
Hinsicht die Grundsätze fairer Ver-
fahren aus. Die Verhandlungen sind geheim, das Strafmaß
geht bis zur Todesstrafe,
und ausschließlich die Mitglieder des Militärgerichtes
entscheiden darüber, ob Beweise
zulässig sind oder nicht. Es kann daher also auch
zu Verurteilungen auf Grund von
Beweisen kommen, die kein anderes Gericht akzeptieren
würde. Eine Berufung gegen
das Urteil ist nicht möglich. Darüber hinaus
stellen die Militärgerichte eine Verletzung
gegen das Prinzip der Gewaltenteilung dar, weil die Regierung
Ankläger und Richter
in einer Person ist. Auch wenn mutmaßliche Terroristen
selbstverständlich vor Gericht
gestellt werden müssen, kann das nicht der richtige
Weg sein.
Präsident Bush begründete dies mit dem Hinweis
auf die nationale Sicherheit. Kritiker
sind entsetzt, dass eine solch schwer wiegende
Maßnahme ohne Parlamentsbe-
schluß ergriffen wurde. William Safire, Kommentator
der „New York Times“, nennt den
Erlass eine „diktatorische Amtsanmaßung und die
Schaffung der Gerichte einen Ver-
stoß gegen alle Rechtsprinzipien.
Kritik wird auch außerhalb der USA geübt und
führte bereits zu diplomatischen Ver-
wicklungen. Als erstes europäisches Land hat Spanien
reagiert und die Auslieferung
von acht mutmaßlichen al-Qaida Terroristen an die
USA unter Hinweis auf ein mögliches
Verfahren vor einem Militärgericht gestoppt. Weitere
Unterzeichnerstaaten der Europä-
ischen Menschenrechtskonvention dürften folgen.
Auch Mary Robinson, UNO-Hochkom-
missarin für Menschenrechte, hat die neuen Gerichte
kritisiert.
„Das Aushöhlen fundamentaler Menschenrechtsprinzipien
im Inland wird die Anstren-
gungen der USA, im Ausland eine Führungsrolle auszuüben,
nachhaltig und möglicher-
weise für immer beeinträchtigen“, sagte Curt
Goering, der stellvertretende Direktor von
amnesty international bei einer Anhörung vor dem
Justizausschuss des US-Senats. Am
27. November 2001 hat amnesty international dem amerikanischen
Justizminister ein
26-seitiges Memorandum zugeschickt, indem die Sorgen
über die Auswirkungen der
neuen Gesetze detailliert aufgelistet werden.
Jasid al-Sami erlangte seine Freiheit nach 17 Tagen wieder.
Bis sein Vertrauen in rechts-
staatliche Prinzipien zurückkehrt, dürfte es
etwas länger dauern.
Sumit Bhattacharyya – der Autor ist Mitglied der USA-Koordinationsgruppe
der deutschen ai-Sektion.
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