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Ritalin - ADS - Bioethik
Ritalin ist ein Medikament , das heute vielen erziehungsschwierigen
Kindern verordnet wird.
Von manchen Pädagogen wird der Gebrauch stark
kritisiert. Es ist ein "Ruhigsteller"
Statt sich zu fragen, wie kann man mit verhaltensschwierigen
Kindern umgehen, wird die einfache Lösung gewählt: Sie bekommen
eine Pille. Oder die Steigerung, daß die Ursache in den Genen zu
suchen ist.
Auszüge aus einem Interview mit dem Neurobiologen
Gerald Hüther über die Risiken von Ritalin: "Parkinson wäre
die Folge"
(aus: Zeitschrift Info 3, Kirchengartenstr. 1, 60439
Frankfurt, Ausg. Okt. 2001, p. 35f.)
Dr.rer.at.Dr.med. Gerald Hüther ist Professor für
Neurobiologie an der psychiatrischen Klinik der Universität Göttingen.
Info3: "Was versteht man heute unter dem 'hyperkinetischen
Syndrom', auch ADS bzw. ADHD genannt?
G.Hüther: Unter diesem Begriff versteht gegenwärtig
ein Störungsbild, das während der Kindheit entsteht und durch
drei Leitsymptome gekennzeichnet ist: Hyperaktivität, Aufmerksamkeitsdefizit
und mangelnde Impulskontrolle."
Info3: "Die Verhaltensauffälligkeiten, die
bei solchen Kindern beobachtbar sind, werden mit Veränderungen im
Gehirn in Zusammenhang gebracht. So war im Deutschen Ärzteblatt noch
im August zu lesen, dass es sich bei ADS um "eine organische Erkrankung
handelt, die auf Mangel an Botenstoffen wie Dopamin beruht." Gleichzeitig
wird immer wieder behauptet, die genetische Ursache dieses Mangels an Botenstoffen
sei weitgehend geklärt. Was hat es mit diesen Befunden auf sich?"
G.Hüther: "Da das Verhalten vom Gehirn gesteuert
wird, muss man bei von der Norm abweichendem Verhalten davon ausgehen,
dass die neuronalen Verschaltungsmuster, die dieses Verhalten ermöglichen,
ebenfalls "von der Norm" abweichen. Das ist banal. Kinder, die das Spielen
eines Musikinstrumentes erlernt haben und intensiv musizieren, besitzen
auch ein
"abnormales" Gehirn. Im Gehirn von ADS-Kindern soll nun
ein Teilsystem verändert sein, das für die Steuerung des Antriebes
zuständig ist und Dopamin als Botenstoff verwendet.
Die Dopamin-Mangelhypothese wurde aufgestellt, als man
merkte, dass sich die Symptomatik durch die Verabreichung von Substanzen
verbessert, die die Ausschüttung von Dopamin stimulieren. Anschließend
hat man intensiv nach Veränderungen des dopaminergen Systems gesucht
und alles, was dabei gefunden wurde, als Bestätigung dieser alten
Hypothese bewertet. Dass es sich dabei aber um Ursachen der Verhaltensstörung
handelt, ist damit nicht bewiesen und die Hinweise auf einen zugrunde liegenden
genetischen Defekt sind nicht anders zu bewerten."
(...)
Info3: "Noch einmal zurück zu Ihrem Artikel:
Sie beleuchten dort die eingangs erwähnte "Dopaminmangel-Hypothese"
sehr gründlich und kommen zu Schlussfolgerungen, die den bisherigen
Umgang mit Ritalin in Frage stellt. Was kritisieren Sie genau?"
G.Hüther: "Die bisherige Argumentationskette
lautet:
Die Kinder haben eine defizitäre dopaminerge Aktivität und dieses
(genetisch bedingte) Dopamin-Defizit wird durch die Ritalin-Behandlung
korrigiert. Dieser mechanistische Erklärungsversuch ist sehr fragwürdig
geworden. Das dopaminerge System könnte ebenso durch die übermäßige
Stimulation während der ersten Lebensjahre zu stark entwickelt sein.
Darauf deuten einige neuere Befunde hin. Ritalin würde dann die Dopamin-Speicher
entleeren und während der nachfolgenden Stunden - wenn diese Speicher
allmählich wieder aufgefüllt werden - wäre dieses überstark
entwickelte, antriebssteigernde System sozusagen vorübergehend abgestellt."
Info3: "Heißt das: die bisherige Vorstellung
vom Dopaminmangel könnte sich als ebenso falsch erweisen wie die gängigen
Erklärungsversuche zur Wirkungsweise von Ritalin?"
G.Hüther: "Ich fürchte ja. Und es wäre
wohl auch nicht das erste Mal, dass bestimmte Vorstellungen, die anfangs
sehr plausibel erscheinen, sich später, wenn neues Wissen hinzugekommen
ist, als falsch erweisen."
Info3: "Das Journal of the American Medical Association
berichtete, dass der amerikanische Pharmamarkt seit 1990 eine 700%
Absatzsteigerung von Ritalin zu verzeichnen habe. Wir haben es also schon
mit einer Verschreibungsflut zu tun. Auch in Deutschland steigt der Absatz.
Vor dem Hintergrund des ungeklärten Krankheitsbildes und der chaotischen
Diagnostik kann doch nicht ausgeschlossen werden, dass Kindern mit unauffälligen
GeHirnfunktionen dieses Mittel verabreicht wird. Welche Zeitbombe tickt
hier womöglich?"
G.Hüther: "Tierversuche haben gezeigt, dass
die frühe Verabreichung von Ritalin die Ausreifung des dopaminergen
Systems behindert. Wenn ein Kind mit Ritalin behandelt wird, das ein derartig
überstark entwickeltes dopaminerges System besitzt, wäre das
unter Umständen sinnvoll. Wenn es aber fehldiagnostiziert ist, würde
das normal entwickelte dopaminerge System durch die Ritalin-Behandlung
an seiner weiteren Entfaltung behindert. Damit - so muss man befürchten
- schafft man die Voraussetzungen für etwas, das erst viel später
(ab dem 50. Lebensjahr) zu Tage tritt: Das Parkinson-Syndrom als Folge
einer unzureichenden dopaminergen Aktivität in den Hirngebieten, die
für die Steuerung der Bewegung und Koordination zuständig sind."
(...)
Info3: "Was würden Sie Eltern empfehlen,
die in einer Beratung oder im Rahmen einer ambulanten Vorstellung ihres
Kindes mit der Diagnose ADS konfrontiert werden?"
G.Hüther: "Solche Eltern sollten sich freuen,
dass sie doch noch so früh auf eine Fehlentwicklung aufmerksam geworden
sind. Je früher man die bisherigen Nutzungsmuster verändert,
desto besser sind die Chancen, dass aus der besonderen Anlage ihres Kindes
doch noch eine besondere Begabung werden kann."
Info3: "Welche langfristigen gesellschaftlichen
Veränderungen müssen bis in den Erziehungsalltag durchdringen,
damit wir den "aufgeweckten, leicht stimulierbaren, neugierigen Kindern"
wirklich gerecht werden? "
G.Hüther: "Wir müssen aufhören,
in jeder Beziehung und so früh wie möglich, besser, schneller,
effektiver als andere sein zu wollen."
Info3: "Wo sehen Sie bereits therapeutische Ideen
verwirklicht, die diesen Kindern helfen können?"
G.Hüther: "Bei allen Kinderärzten, Therapeuten
und Erziehern, die bei ADHD nicht an ein gestörtes dopaminerges System
im Gehirn, sondern an ein auf liebevolle, einfühlsame Zuwendung angewiesenes
Kind denken."
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