Forum Bioethik
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Politische Erziehung mit Geistigbehinderten?
Ein Diskussionsbeitrag
Ein wirklich eigenartiges Thema, vielleicht auch für viele
verwirrend und abwegig. Ist politische Erziehung mit Geistigbehinderten
möglich? Was mag das meinen, was ist darunter zu verstehen?
Viele andere Fragestellungen mögen ja schon in dem Bereich der
Geistigbehinderten behandelt und umgesetzt worden sein, z.B. sexuelle Erziehung,
Fragen der Partnerschaft, der Liebe und Integration. Aber politische Erziehung?
Ich denke, gerade auch in der heutigen Zeit ist das Thema angesagt,
angesichts vieler bedenklicher und unschöner Entwicklungen in der
Gesellschaft. Was kann das aber für den einzelnen Behinderten, selbst
für den Schwerstbehinderten, wirklich bedeuten?
Zunächst einmal: die vielfältigen Leistungen und Möglichkeiten,
die es gerade auch für Geistigbehinderte heute gibt, sind doch einmal
errungen worden. Hier könnte man mit Goethe sagen: “Was du ererbt
hast von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen.“ Man muß
auch heute schon etwas tun, damit es wenigstens so bleibt, wie es ist,
oder es noch weitere Fortschritte gibt.
Nun gibt es sicherlich zwei Tendenzen. Zum einen geht das Engagement
vieler Menschen immer mehr zurück, andererseits ist auch im Behindertenbereich
eine Zunahme von Aktivitäten und politischer Einflußnahme zu
verzeichnen. Klaus Dörner, ein bekannter Psychiater aus Hamburg, hat
auf einem Symposium des Bundesgesundheitsministeriums vor kurzem dazu gesagt,
daß man heute sogar von einer neuen Behindertenbewegung sprechen
könnte.
Nach der Arbeiterbewegung im 19.Jahrhundert und der Frauenbewegung
im vergangenen Jahrhundert gibt es nun diese neue Bewegung, die sich Gehör
verschafft und ein wichtiges Element im gesellschaftlichen Leben und in
Entscheidungsprozessen wird.
Dies kann auch für den einzelnen Behinderten in einer Werkstatt
oder Wohngruppe, aber auch für das Kind und den Jugendlichen, ja m.E.
sogar für den Schwerstbehinderten gelten. Auch wenn das Verständnis
für komplexe Zusammenhänge nicht immer gegeben sein kann, so
ist doch die HALTUNG ein wichtiges Element. Wie stehe ich zu den Dingen
um mich herum - beteilige ich mich daran, bin ich interessiert, setze ich
mich damit auseinander? Jeder wird es nach seinem Stand des Wissens und
des Könnens tun - aber sich einzubringen, aktiv zu sein und Interesse
zu haben, sind Eigenschaften, die eine Voraussetzung für gesellschaftliches
und politisches Handeln sind.
So sollte m.E. politische Erziehung schon im Kindesalter - auch bei
behinderten Kindern - erfolgen, nämlich in Form von Gesprächen
und der Vermittlung von demokratischen und partnerschaftlichen Haltungen,
die auf der Grundlage der Achtung und gegenseitigen Akzeptanz sich gründen.
Schön ist es, wenn Lehrer, Eltern und Eltern diesen Prozeß
unterstützen und begleiten. Ihr Handel und ihre Meinung ist wichtig,
sind sie doch für Kinder und Betreute Vorbild und Maßstab.
Mögen der Gesichtspunkt der politischen Erziehung in Zukunft stärker
betont werden - nicht als „rotes Tuch“ oder was soll das denn auch
noch, sondern als Aufforderung, auch Kinder und Betreute als aktive Mitglieder
einer demokratischen Gesellschaft zu sehen, so zu behandeln und sie
daran teilhaben zu lassen. Wer es nicht als Kind schon gelernt hat, wird
es als Erwachsener nur schwerlich können. Und dabei sollte man selbst
Schwerstbehinderte nicht unterschätzen - sie bekommen mehr mit, als
viele meinen. Natürlich immer auch mit einem Einverständnis der
Eltern oder Erziehungsberechtigten.
Udo Dittmann
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