Forum Bioethik Der Beitrag ist insofern sehr interessant, da er schildert, dass auch im Islam Menschenrechte beachtet 
werden...

Menschenrechte im Islam
Aus: ai-journal 1/2002

Einen einheitlichen Islam gibt es nicht.  Muslimische Gemeinschaften können sich je nach
regionaler Tradition stark voneinander unterscheiden.  So passt  sich die Ausprägung des
Islam in Indonesien, Senegal oder Ägypten den sozialen und kulturellen Gegebenheiten
der jeweiligen Gesellschaften an und steht mit ihnen in Wechselwirkung. Davon hängt bsp. 
ab,  welcher der vier vorherrschenden Rechtsschulen sich eine Gemeinschaft ver-
bunden fühlt, wie stark regionale kulturelle Traditionen ins Gemeindeleben integriert wer-
den oder welchen Status die Frau innerhalb der Gemeinschaft und der Familie einnimmt.
Die Vorstellungen darüber, wie ein islamischer Staat auszusehen habe, sind selbst inner-
halb der islamischen und der islamistischen Bewegungen nicht einheitlich definiert. Die 
Rolle der Menschenrechte in islamischen Gesellschaften wird in zwei zentralen Dokumen-
ten erkennbar: in der „Allgemeinen Islamischen Erklärung der Menschenrechte“ von 1981
sowie in der „Kairoer Erklärung über Menschenrechte im Islam“ aus dem Jahre 1990. 
Konsens beider Erklärungen ist, dass Menschenrechte existieren. Doch das normative Ver-
ständnis darüber und die Frage der institutionellen Ausgestaltung bleibt strittig. Die Men-
schenrechtserklärungen dienen dazu, die Menschenrechte auf einer metarechtlichen 
Ebene zu verwurzeln und sie damit der menschlichen Verfügungsgewalt zu entziehen. In
den genannten Erklärungen wird eindeutig der Islam als Grundlage und Ursprung der
Menschenrechte bezeichnet.
Sowohl in der Allgemeinen Islamischen Erklärung der Menschenrechte als auch in der
Kairoer Erklärung über Menschenrechte im Islam sind große Gemeinsamkeiten mit der
Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 festzustellen. So sehen alle drei
Dokumente die Würde des Menschen, das Recht auf Leben und körperlicher Unversehrt-
heit sowie die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz und in der Gesellschaft unab-
hängig von Herkunft, Religion, Sprache, Geschlecht, Hautfarbe oder politischer Zuge-
hörigkeit vor. Ebenso sind in ihnen das Verbot der Folter, das Recht auf Asyl, das Recht
auf freie Religionswahl und das Recht auf Freizügigkeit verankert.
Die Allgemeine Islamische Menschenrechtserklärung von 1981 ist vom Islamrat in Europa
verabschiedet worden, der als konservativ gilt und im Wesentlichen von Saudi Arabien
getragen wird. Die Erklärung stellt einen Minimalkonsens innerhalb der islamischen Län-
der dar, bleibt jedoch hinter den Menschenrechtsstandards der Vereinten Nationen zurück
und ist deshalb von liberalen muslimischen Denkern als unzureichend kritisiert worden. Die 
Kairoer Erklärung ist enger formuliert als das Dokument des Islamrates und führt die
Menschenrechte direkt auf den Koran und das Leben des Propheten Mohammed zurück.
Es gilt die Regel, dass alle Rechte im Rahmen der islamischen Rechtssprechung (Scha-
ria) gewährt werden, für deren Auslegung Gelehrte zuständig sind. Daher kann die Auslegung je nach Standpunkt des Rechtsgelehrten variieren und von fundamentalistischer über konservative bis hin zu moderater und liberaler Rechtssprechung reichen. Zu Konflikten mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte kommt es vor allem bei der Frage der Religionsfreiheit, bei den sogenannten Körperstrafen (z.B. Auspeitschen, Steinigung) sowie bei der Stellung der Frau in der Gesellschaft.
Die beiden islamischen Menschenrechtserklärungen weisen trotz der Gemeinsamkeiten mit der UNO-Erklärung von 1948 Defizite auf, weil sie weder Körperstrafen ausdrücklich
verbieten noch die Religionsfreiheit uneingeschränkt gewähren. Vielmehr lassen sie einen Freiraum bei der Interpretation, der zu Gunsten der Religionsfreiheit, einer gleichberechtigten Stellung der Frau in der Gesellschaft oder argumentativ zur Abschaffung der Körperstrafe genutzt werden kann. Allerdings kann bei entsprechend konservativer Auslegung auch das Gegenteil in den Text interpretiert werden.
Dies ist die Theorie. Ob der Islam in der Praxis mit Demokratie und Menschenrechten vereinbar ist, zeigt ein Blick auf jene Staaten, die sich in ihrem Selbstverständns oder in ihrem Rechtswesen ausdrücklich auf islamischen Werte beziehen.(...)

Nicht alle Staaten, die theoretisch Körperstrafen zulassen, wenden diese auch tatsäch-
lich an. Körperstrafen werden in Saudi-Arabien, Sudan, Mauretanien und Pakistan verhängt. Bemerkenswert ist demgegenüber eine Entscheidung des zentralen Scharia-
gerichts Pakistans, das Körperstrafen als unislamisch bezeichnete. Dazu passt, dass
einige moderate Richtungen die Körperstrafen als äußerste theoretische Grenze der 
Rechtsprechung und eben nicht als Regelstrafe verstehen, so dass Körperstrafen gar
nicht verhängt. Einige muslimische Reformtheologen sehen durchaus die Chance, mit
Menschenrechtsstandards bestimmte Traditionen zu überwinden und den ursprünglich
humanen Charakter des Islam wieder herauszustellen. Doch ist ihr politischer Einfluss
vergleichsweise gering. Die Menschenrechtspolitik einzelner Staaten entspricht keines-
wegs immer den unterzeichneten Menschenrechtserklärungen. Dies gilt auch für die
Länder mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung. In Indonesien oder in der Türkei ist
es die säkulare Staatsgewalt, die die Rechte ihrer muslimischen Bürger ignoriert. Der
Jahresbericht von amnesty international macht allerdings deutlich, dass in Algerien
oder anderen Ländern Menschenrechtsverstöße nicht nur von islamistischen Gruppen
begangen werden. Es gibt auch Übergriffe der Staatsgewalt gegen diese Gruppierungen.
 Die islamische Theorie leugnet die bestehenden Konzepte von Pluralismus und
Menschenrechten nicht. Ein Indiz dafür mag die Verabschiedung der genannten Men-
schenrechtserklärungen sein, in denen auch die Idee von Freiheit und Gleichheit fest-
gelegt sind. Doch ähnlich wie in anderen Ländern zählen Willensbekundungen wenig,
wenn es an deren politischen Umsetzung mangelt. Ein Staat muss sich immer daran
messen lassen, wie er die Menschenrechte durchsetzt und schützt. Und hier gibt es
Nachholbedarf – auch in den islamischen Ländern.
Die Internationale Islamkonferenz hat sich wiederholt mit der Frage auseinander gesetzt,
wie ein islamischer Staat auszusehen habe. Die Diskussionen um Form und Wesen
eines solchen Staates mündeten 1983 in den Entwurf einer Internationalen Islamischen
Modellverfassung, der von namhaften Juristen und Theologen aus verschiedenen Län-
dern ausgearbeitet wurde. In diesem Entwurf sind auf der Basis des islamischen Rechts
Parlamente,  Gewaltenteilung und Parteienpluralismus vorgesehen. Natürlich darf nicht
übersehen werden, dass die liberalen Denker in ihren jeweiligen Ländern immer noch
eine Minderheit bilden und zwischen die Fronten der fundamentalistisch-islamistischen 
Strömung mit pragmatischem Islamverständnis, innerhalb der das Ringen um Pluralismus
und Menschenrechte noch nicht abgeschlossen ist.
Niemand macht das Christentum für den nordirischen Konflikt verantwortlich. Entsprechend müssen auch andere Religionen differenziert betrachtet und von den Taten jener
Extremisten getrennt werden, die vorgeben, im Namen ihrer Religion zu handeln. Dabei
kann es nicht darum gehen, bestehende Unterschiede harmonisierend zu überspielen.
Vielmehr müssen vorhandene Widersprüche analysiert und dann politisch gelöst werden.
Ziel muss es sein, die Diktatoren und nicht ihre Religion für die von ihnen begangenen
Menschenrechtsverletzungen verantwortlich zu machen.
Ali Al-Nasani – Der Autor ist Mitglied der Algerien-Koordinationsgruppe der Deutschen
ai-Sektion.

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