Forum Bioethik
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Die Rolle der Kirchen in der modernen Bioethik-Debatte
Embryonenschutzgesetz sollte „überdacht“ werden
Stammzellenforschung in der Diskussion
Hannover(egw)Bei einer Veranstaltung zum Thema „Möglichkeiten
und Grenzen der Stammzellenforschung“, ausgerichtet vom Wissenschaftsministerium
und der Stiftung Niedersaschsen, wurde ein Umdenkungsprozess sichtbar.
Für kontrollierte Freigabe der Forschung auch an embryonalen Stammzellen
hat sich neben Minister Thomas Oppermann auch Jürgen Johannesdotter,
Bischof der evangelisch-lutherischen Landeskirche Schaumburg-Lippe, ausgesprochen.
Die Forschung an embryonalen Stammzellen
wie auch das therapeutische Klonen sind in Deutschland durch das Embryonenschutzgesetz
verboten. Der Einfuhr embryonaler Stammzellen steht juristisch allerdings
nichts entgegen. Angesichts der vielfältigen möglichen Heilungschancen
unheilbarer Krankheiten durch neue Erkenntnisse aus der Stammzellenforschung
plädierten Wissenschaftler dafür, die Bestimmungen des Embryonenschutzgesetzes
zu überdenken. „Es wäre unverantwortlich, mögliche Heilungschancen
nicht auszuloten“, sagte Landtagspräsident Rolf Wernstedt. Eine Forschung
an embryonalen Stammzellen müsse allerdings an restriktive Auflagen
gebunden werden. Eine Instrumentalisierung des menschlichen Lebens dürfe
es nicht geben. Klonen und die Herstellung von Embryonen als Mittel der
Forschung müssten weiterhin verboten bleiben. Darüber hinaus
sei es dringend notwendig, ethische Vereinbarungen auf internationaler
Ebene zu treffen.
(Braunschweiger Zeitung vom 3.09.2001)
Dieser relativ aktuelle Zeitungsauschnitt sollte dem Thema „Kirchen
und bioethische Diskussion“ vorangestellt werden: Er drückt einfach
und in nüchterner Weise aus, wie einzelne Vertreter der Kirche, hier
der evangelischen Kirche, sich positiv gegenüber der Gentechnologie
äußern, und zwar zu Zeitpunkten, wo es auch um mögliche
Weichenstellungen in der Politik geht.
Dazu muß man sehen, daß es im Niedersächsischen Landtag
ein Hearing zu dem Thema „Stammzellenforschung“ gab, zu dem auch der inzwischen
sehr umstrittene Genforscher Oliver Brüstle eingeladen war. Kritiker
waren bei dem Hearing wohl nicht anwesend.
Wenn ein evangelischer Theologe bzw. Bischof sich in ein solcher
Situation noch positiv zu Fragen der Stammzellforschung äußert,
ist es, als wenn die Kirche ihre ethischen Traditionen verläßt
und sich unter dem Zeiten möglicher Heilungschancen reinen Forschungsinteressen
öffnet. Wo wird auf mögliche Risiken hingewiesen, vor allem in
Hinblick auf die gesamtgesellschaftliche Entwicklung.
Es ist, als wenn die Kirche hier durch einzelne Vertreter ihre eigenen
Wurzeln verläßt und sie hierdurch zum Türöffner für
Entwicklungen wird, die in ihren Auswirkungen kaum überschaubar sind.
Wenn aber schon die Kirche nicht mehr bereit ist, embryonales Leben zu
schützen, wer dann? Es wäre wünschenswert gewesen, wenn
wenigstens noch andere Vertreter der Kirche anwesend gewesen wären
bzw. sich geäußert hätten. So entsteht ein Eindruck, als
wenn die Kirche diese z.T. fragwürdigen Entwicklungen unterstützt.
- Wir gehen schwierigen Zeiten entgegen...
Die Kirchen in der modernen Bioethik-Debatte- ein Diskussionsbeitrag
Eine merkwürdige, ja eigentlich fast bedeutungslose Rolle spielen
die Kirchen in der modernen bioethischen Diskussion. Das ist umso verwunderlicher,
als es sich hierbei um eines der ureigensten Themen der Kirchen handelt:
der Schutz des menschlichen Lebens. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung
brachte es auf den Punkt, als sie im März 2001 einen Artikel des Bischof
von Eichstätt, Walter Mixa, abdruckte:
"Während die Debatte über die biomedizinische Revolution
in vollem Gange ist, hat sich die Kirche bislang auffällig bedeckt
gehalten. Wo das Thema in kirchlichen Foren aufgegriffen wird, begnügt
man sich vielfach mit Allerweltsweisheiten wie jener, daß die Biomedizin
selbst keine Handlungsnormen hervorbringen kann oder feiert schon den Ruf
nach einem `Human-Projekt´ (Volker Gerhardt) als ethische Orientierungsleistung.
Demgegenüber stößt Walter Mixa, Bischof von Eichstätt,
ins Zentrum der aktuellen Auseinandersetzung vor und entwertet hier auf
die dezidiert antichristliche Utilitarismusethik des Mainzer Rechtsphilosophen
Norbert Hoerster. (FAZ, 03.03.2001)
Weshalb halten sich die Kirchen so zurück, bzw. spielen in der
gesellschaftlichen Diskussion eine so geringe Rolle? Nun war immerhin auf
dem letzten Kirchentag im Juni 2001 in Frankfurt das Thema Gentechnik eines
der Hauptthemen. Und trotzdem - in der gesellschaftlichen Diskussion sind
die Kirchen nicht als ethische Instanz zu vernehmen, nicht als eine Stelle,
die wesentliche Akzente setzt.
Welche Akzente könnten das sein?
Auf den Biologismus aufmerksam machen, der in der modernen Biotechnologie
sich artikuliert. Daß Gentechnologie und Fortschritt in der Medizin
nicht Selbstzweck sind, sondern den Menschen dienen soll. Durch die derzeitige
Euphorie mag es einzelnen Interessen dienen, aber das Thema ist weit davon
entfernt, einer größeren Allgemeinheit zu Gute zu kommen.
Vielmehr lenkt es auch von vielen Dingen ab, z.B daß es auch
wichtig, wie der einzelne Mensch mit seiner Krankheit umgeht, daß
Erziehung von großer Bedeutung ist und daß Armut (z.B. in der
dritten Welt) auch eine Frage der gerechten Verteilung von Gütern
(u.a. Medikamenten) ist.
Was könnte man sich von der Kirche wünschen, bzw. was könnte
die Kirche einbringen? Sie könnte als ethische Instanz auftreten,
insofern, als sie deutlich auf Werte wie Gerechtigkeit, Mitleid, Helfen
und Unterstützen hinweist. Biotechnologie und moderne Medizin sind
eher im Gegenteil damit verbunden, daß alles "schneller, besser,
teurer" wird. Forschung - auch in der Gentechnologie und modernen Medizin
- sollte es durchaus geben; jedoch nicht in dieser Einseitigkeit: der Blick
auf den Menschen geht dabei verloren und der Mensch wird zum Baukasten,
austauschbar und in seinen Teilen "perfektioniert". Aber der Mensch selbst
ist aber auch noch etwas anderes!
Schon einmal haben die Kirchen in eklatanter Weise versagt: in der
Zeit des Nationalsozialismus, als sie sich weithin dem Mainstream anpaßten.
Es gab einzelne deutliche und markante Ausnahmen.
Eine der beeindruckensten Beispiele ist der Bischof von Galen mit seiner
- im Hinblick auf seine Intervention bezüglich Euthanasie - mutigen,
öffentlichen Predigt vom 03.August 1941 in der Münsteraner Lamberti-Kirche
und dem Erstatten einer Strafanzeige gegen Unbekannt als offenen Widerstand
gegen den Staat. Beides zugleich ist eine Loyalitätsaufkündigung
gegen den Leiter der Fuldaer Bischofskonferenz, Bertram, und dessen wirkungsloser
Diplomatie. (Seite 79)
Immerhin hatte diese Rede maßgeblich den Stop der offiziellen
Euthanasie-Aktionen bewirkt und somit konkrete Auswirkungen gehabt. Aber
so handelten nur einige Menschen in der Kirche, die Grundhaltung der breiten
Mehrheit in der Kirche war eine andere. Wären hier andere Haltungen
vertreten
gewesen, wären möglicherweise Judenvernichtungen, Tötung
sozialer und politischer Randgruppen und Euthanasie nicht zustandegekommen.
Oder hatten schon in der Zeit des Dritten Reiches die Kirchen keine
eigentliche Bedeutung mehr?
Besonders beängstigend ist, was schon vor 1933 in zahlreichen
Einrichtungen der Diakonie und der Caritas an Haltungen und Äußerungen,
vor allem von Personen in Leitungspositionen, erschien.
Später war es dann vielleicht wirklich zu spät zum eigentlichen
Widerstand. Wünschenswerterweise sollte sich die Kirche zu jeder Zeit
auf ihre Grundwerte besinnen und dafür eintreten. Sonst kann es sein,
daß sie in dieser wichtigen Auseinandersetzung momentan keine eigentliche
und eigenständige Rolle spielt und sie bloß als Einrichtung
für Raumvermietungen bei ethischen Veranstaltungen zur Verfügung
steht. Es wäre eine Kirche ohne eigene Position und ohne Substanz
im ethischen Dialog der Gegenwart und Zukunft. Ein Entsetzen über
einseitigen Biologismus und ökonomische Verwertbarkeit des Menschen
wären angebracht. Auch sollten im Rahmen der Kirchen neue Perspektiven
entwickelt werden in Hinblick auf eine Zukunft, die menschenwürdig
und "christlich" ist, d.h. die den Wert jedes einzelnen Menschen in den
Vordergrund stellt. Die Entwicklung solcher Visionen wären eine wichtige
Aufgabe - und das in einer zunehmend säkularisierten Welt. Diese Aufgabe
kann eigentlich nicht von Verbänden, Parteien, Vereinen und NGOs geleistet
werden. Das ist eigentlich eine zentrale Aufgabe der Kirchen.
Wieweit sie bei ihren Anhängern damit auf Resonanz stoßen
würde, ist eine andere Frage. Immerhin sollten aber diese Impulse
von den zentralen kirchlichen Instanzen ausgehen - sonst sind sie wirklich
nur ein „Begleitfahrzeug" im herrschenden Verkehr.
Ansonsten verhält es sich mit den Kirchen so: es ist gut, daß
sie da sind - aber eigentlich spielen sie keine Rolle mehr. Wenn sie allein
Machtinstrumente im herrschenden Strom sind, haben sie ihre Rolle als ethische
Distanz abgegeben. Schön aber wäre es, wenn es anders wäre....
Gerade in der heutigen Zeit könnten die Kirche eine Renaissance erleben,
wenn sie Visionen und Ideale für die Zukunft aus den Grundlagen ihrer
Religion entwickeln könnte. Denn der Wunsch nach Werten geht auch
in der heutigen Zeit der Beliebigkeit und der (medialen) Meinungsvielfalt
nicht verloren.
Wo könnten denn Visionen liegen, die von der Kirche entwickelt
werden? Diese Visionen sind Positionen, die auf der Achtung des Menschen
aufbauen - und zwar eines jeden Menschen!
Worin würde sich eine religiöse Haltung von einem durchaus
ernstgemeinten Humanismus unterscheiden? In erster Linie durch Übungen
(das Wort `Gebet´ erscheint in unserer Zeit als überholt, obwohl
es im religiösen Bereich doch eine zentrale Rolle spielt). Aber die
Übung als menschliche Anstrengung ist in sich schon ein Gegenpol zur
Gentechnologie und bioethischer Anschauung.
Wenn eine menschliche Schwäche auftritt, ist es nicht nur der
Blick auf die Gene, der zur Überwindung führt (z.B. bei Alkoholikern,
Kriminellen usw.), sondern es ist auch eine Frage der eigenen Entscheidung,
der Übung und Anstrengung. Hierbei müssen natürlich ganz
andere Kräfte im Menschen aktiviert werden - der Weg über die
Gentechnologie erscheint da natürlich wesentlich einfacher. Aber Übung
bedeutet noch mehr: den menschlichen Umgang üben, das Miteinander,
das Gespräch, die Auseinandersetzung - und zwar auf der Grundlage
der Achtung des anderen.
Desweiteren gab es schon im Mittelalter Exerzitien - aber auch das
Mittelalter war nicht wesentlich humaner als die Gegenwart. Trotzdem sollte
das Üben als wesentlicher Bestandteil und Faktor die menschliche Entwicklung
im Blick haben. Vielleicht geht dann die Faszination an der Gentechnologie
etwas verloren - weil wir spüren, daß wir nicht nur die Summe
verschiedener Gene sind, sondern Menschen, die aktiv ihr eigenes Leben
gestalten können. Das wäre ein ungeheures Erlebnis, angesichts
der Reduzierung des Menschen auf seine biologischen Grundlagen und der
genetischen Ausstattung in der gentechnischen Debatte.
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