Forum Bioethik

 Pressemitteilung Hubert Hüppe MdB:
 Berlin, 04. Dezember 2001

 BGH-Entscheidung verdeutlicht Notwendigkeit für Haftungsbegrenzung der
 Ärzte
Zur heutigen BGH-Entscheidung erklärt der stellvertretende Vorsitzende
der Enquete-Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin" Hubert Hüppe MdB (CDU):
 

Die Entscheidung der Karlsruher Richter ist zwiespältig. Zwar wurde die
gegen den Arzt gerichtete Klage auf Unterhalt abgewiesen. Doch muß die
Begründung beunruhigen, der zulässigen Abtreibung des behinderten Kindes
habe die damit verbundene hohe Wahrscheinlichkeit der Tötung des nicht-
behinderten Kindes entgegengestanden.

Mit dieser Begründung wird die verhängnisvolle Tradition der "Kind als
Schaden"-Rechtssprechung gerade nicht unterbrochen. Die Unterscheidung
zwischen der zulässigen Abtreibung des behinderten und der unzulässigen
des nicht-behinderten Kindes ruft Erinnerungen an Bewertungen des
"Lebenswertes" wach.

Der Durchsetzung des fiktiven "Anspruchs auf ein gesundes Kind" durch
Haftung des Arztes, der das Unterlassen einer Abtreibung "verschuldet"  habe, muß nun endlich gesetzgeberisch entgegengetreten werden. Die
BGH-Entscheidung verdeutlicht die Notwendigkeit einer
Haftungsfreistellung der diagnostizierenden Ärzte, soweit es um
Abtreibungen nach Pränataldiagnostik geht. Diese im CDU/CSU-Antrag
"Vermeidung von Spätabtreibungen - Hilfen für Eltern und Kinder"
(BT-Drs. 14/6635 vom 3.7.2001) enthaltene Überlegung erhält vor dem
Hintergrund der heutigen Entscheidung besondere Dringlichkeit.

*****
und hier die Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs 
Nr. 90/2001

Bundesgerichtshof zum Unterhaltsschaden der Eltern bei unterbliebenem Abbruch einer Zwillingsschwangerschaft

Der für das Arzthaftungsrecht zuständige VI. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofes hatte über die Klage eines Ehepaares gegen die eine
(Zwillings-)Schwangerschaft der Ehefrau betreuenden Frauenärzte auf
Schadensersatz zu entscheiden. Die Eheleute verlangten den Ersatz des
Unterhalts für einen der Zwillinge, der mit schweren
Extremitätenfehlbildungen geboren worden war. Sie warfen den Ärzten vor,
die Fehlbildungen während der Schwangerschaft schuldhaft nicht erkannt
zu haben, und machten weiter geltend, sie hätten sich bei Kenntnis der
schweren Behinderung für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden.

Kernpunkt des Rechtsstreits war die Frage, ob zum Zeitpunkt der
Schwangerschaft der Klägerin (1994) ein solcher Schwangerschaftsabbruch
rechtlich zulässig gewesen wäre. Nur in diesem Fall hätte der von den
Klägern behauptete Fehler der Beklagten überhaupt einen
Schadensersatzanspruch auslösen können. Beide Vorinstanzen hatten dies
verneint und die Klage deshalb abgewiesen.

Eine Besonderheit des Falles bestand darin, daß mit sehr hoher
Wahrscheinlichkeit bei einem Schwangerschaftsabbruch beide Kinder
verloren gegangen wären, mindestens aber das gesunde Ungeborene
geschädigt worden wäre. Die Kläger hatten insoweit behauptet, sie hätten
sich - vor die Wahl gestellt - für den Abbruch der gesamten
Schwangerschaft entschieden.

Der Senat hat die Entscheidungen der Vorinstanzen gebilligt. Nach der
damaligen Rechtslage (vgl. zum Wortlaut des § 218a StGB in der
seinerzeitigen Fassung Pressemitteilung des BGH Nr. 68/2001) wäre ein
Abbruch der (gesamten) Schwangerschaft der Klägerin weder nach § 218a
Abs. 2 noch nach Abs. 3 StGB a.F. gerechtfertigt gewesen.

Zunächst hat der Senat das Vorliegen einer medizinischen Indikation nach
§ 218a Abs. 2 StGB a.F. verneint. Er hat ausgehend von seiner bisherigen
Rechtsprechung (vgl. etwa BGHZ 129, 178 ff.) den grundsätzlichen
Schutzanspruch des ungeborenen menschlichen Lebens herausgestellt und
betont, daß es konkreter Feststellungen für eine gravierende
Ausnahmesituation der Schwangeren bedürfe, um einen
Schwangerschaftsabbruch aus Gründen der Gesundheit der Mutter
rechtfertigen zu können. Eine solche Ausnahmesituation hat er in den
vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen und den Behauptungen der Kläger
zu der Gefahr einer Depression der Klägerin nicht gesehen.

Der Senat hat auch das Vorliegen der Voraussetzungen eines zulässigen
Schwangerschaftsabbruchs wegen einer sogenannten embryopathischen
Indikation nach § 218a Abs. 3 StGB a.F. verneint. Er hat hervorgehoben,
daß es hier nicht um die typische Fallgestaltung des § 218a Abs. 3 StGB
a.F. geht, bei der sich die Schwangerschaft auf ein vorgeburtlich
geschädigtes Kind beschränkt und sich daraus die Frage ergibt, ob der 
Mutter die Belastung durch dieses Kind zugemutet werden kann. Dabei hat
er offen gelassen, ob unter bestimmten Voraussetzungen ausnahmsweise
auch der Gesamtabbruch einer solchen Zwillingsschwangerschaft
gerechtfertigt sein könnte. In einem solchen Fall müßten jedenfalls die
Anforderungen, die an die Bejahung der Zulässigkeit eines
Schwangerschaftsabbruchs zu stellen seien, besonders hoch angesetzt
werden. Der vorliegende Fall nötige nicht zu einer abschließenden
Beurteilung dieser Frage, weil die vom Berufungsgericht vorgenommene
Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalls im Ergebnis nicht zu
beanstanden sei. Im Berufungsurteil werden die Beeinträchtigungen des
Kindes beanstandungsfrei gewichtet" insbesondere ist es geistig
vollkommen gesund, seine körperlichen Behinderungen ermöglichen zwar nur
eine Fortbewegung im Rollstuhl, lassen jedoch eine Teilhabe am Leben in
Familie und Gemeinschaft ohne weiteres zu. Im Hinblick auf die hohen
Anforderungen an die Konkfliktslage in einer Fallgestaltung, wie sie
hier gegeben ist, hat das Berufungsgericht zu Recht auch unter
Berücksichtigung der klägerischen Interessen die Güterabwägung zu
Gunsten des Lebensrechts der beiden Kinder vorgenommen" es hat
keineswegs die Grenzen des für die Schwangere Zumutbaren zu weit
gezogen.

Urteil vom 4. Dezember 2001 - VI ZR 213/00
Karlsruhe, den 4. Dezember 2001
Pressestelle des Bundesgerichtshofs
 76125 Karlsruhe
 Telefon (0721) 159-422
 Telefax (0721) 159-831
 

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