6.12.2015
Liebe Interessenten des Fritz Bauer Freundeskreises,

anbei wieder einige Infos zum Thema Fritz Bauer.

 Auch diesmal wieder mit einem Schwerpunkt zur Frage der NS-„Euthanasie“. Insbesondere die Situation in Stuttgart mag da von besonderem Interesse sein, da dort aktuell eine Gedenktafel zur „Kinder-Euthanasie“ offiziell vom Grünen- Oberbürgermeister Werner Wölfle abgelehnt wurde. Das hat insofern einen besonderen Bezug zu Fritz Bauer, als dieser in der Anklageschrift von 1962 gegen Werner Heyde u.a.das Thema der sogenannten „Kinder-Euthanasie“ in einem Kapitel ausführlich behandelt hat. Diese Darstellung von ihm ist vielleicht wegweisend – auch für die weitere Forschung – gewesen. Leider ist es noch wenig bekannt. Die späteren Tötungen in der „Aktion T4“ mit über 70.000 Opfern  und der Sonderbehandlung „Aktion 14f13“ finden eigentlich ihren Ursprung in dieser „Kinder-Euthanasie“. Die erste Freigabe zur Tötung erfolgte durch Hitler bereits Anfang 1939 beim Leipziger Fall „Kind Knauer“, also lange vor dem rückdatierten Geheimerlass Hitlers vom 1.9.1939, mit dem die Tötung erwachsener Behinderter begann.

Speziell zur „Kinder-Euthanasie“ ist in Leipzig von der Stadt Leipzig eine neue Webseite eingerichtet worden. Außerdem gibt es in Kassel eine neue Initiative „Das Gedächtnis der Gleise“, das an die Deportation der Kasseler Juden erinnert. Die neue Initiative kommt von dem Künstler Horst Hoheisel, der auch das „Denkmal der Grauen Busse“ ins Leben gerufen hatte.

1. Zur Frage der „NS-Euthanasie“
a. Stuttgart
- Schreiben des Arbeitskreises „Euthanasie“ / Stolpersteine für Stuttgart mit Hinweisen zur Ablehnung einer Gedenktafel für die Stuttgarter Opfer der „Kinder-Euthanasie“ vom 2.12.2015             Anhang 1
- Schreiben des Fritz Bauer Freundeskreises an den Oberbürgermeister der Stadt Stuttgart, Werner Wölfle, vom 4.12.2015 (mit der Bitte um Klärung des Sachverhaltes hinsichtlich einer Gedenktafel für
Opfer der „Kinder-Euthanasie“)                                                                                                Anhang 1a
b. Leipzig
- Anbei eine Medieninformation der Stadt Leipzig zur Einrichtung einer neuen Webseite zu Kinder-Euthanasie-Verbrechen in Leipzig. Diese Seite wurde von der Stadt und dem Sächsischen Psychiatriemuseum gestaltet: www.die-wiese-zittergras.de                                                     Anhang 1b
c. Kassel
Nach dem „Denkmal der Grauen Busse“ hat der Künstler Horst Hoheisel eine neue Erinnerungsarbeit zur Deportation der Kasseler Juden geschaffen: „Das Gedächtnis der Gleise“ Alle Namen der jüdischen Menschen, die aus Kassel deportiert wurden, sind in die Gleise eingefräst.
http://www.dasdenkmaldergrauenbusse.de/index.php?option=com_content&task=view&id=142&Itemid=2
Einweihung des Gedenkortes ist am Mi, den 9.Dez. 2015, 14 Uhr, in Kassel
Gleis 14 des Kulturbahnhofes Kassel, Rainer-Dierichs-Platz 1, 34117 Kassel                      Anhang 1c
d. Niederlande
Die Frühjahrstagung des „Arbeitskreises zur Erforschung der NS-‚Euthanasie’ und Zwangssterilisation“ wird vom 20.-22.Mai 2016 als internationale Tagung in den Niederlanden stattfinden: http://www.ak-ns-euthanasie.de

Literatur zur „Kinder-Euthanasie“:
Karl-Horst Marquardt: „Behandlung empfohlen“. NS-Medizinverbrechen an Kindern und Jugendlichen in Stuttgart. – Erscheint im Dez.2016 im Peter Grohmann Verlag. 332 S./ 17.90 €

2. Fritz Bauer und die Frage der NS-Sondergerichte
Ein weiteres Thema des Rundbriefes ist die Frage der Einstellungen von Ermittlungen zu NS-Sondergerichten durch Fritz Bauer. Über 100 Verfahren dieser Art hat Fritz Bauer eingestellt. Im aktuellen Bulletin des Fritz Bauer Institutes hat Georg D. Falk dazu einen Text geschrieben, der das kritisch hinterfragt.(„Der ungesühnte Justizmord an Stanislawa Janczyszyn“, Einsicht 14, S.40-47; siehe auch Rundbrief vom 12.10.2015)
Der Artikel hat im Okt./ Nov 2015 zu zahlreichen Artikeln in der Presse geführt, in der Fritz Bauer teilweise in Frage gestellt wird: „Heikle Aktenfunde zu Nazijäger Fritz Bauer“ (Spiegel), „Fritz Bauer verschonte Nazirichter“ (TAZ) usw. Eine Auswahl der Artikel ist in den Anhängen 2a-2c zu finden, darunter auch Beiträge von Micha Brumlik („Existentielle Tragik“) und Helmut Kramer (“Ein Mensch in seinem Widerspruch“). Die FAZ berichtet eher zurückhaltend darüber(„Integrität Fritz Bauers ist nicht beschädigt“)
Weitere Schlagzeilen waren: „Dunkler Schatten auf Fritz Bauer“ (Wochenblatt) oder „Manche Juristen ließ er davonkommen“ (Gießener Allgemeine)- jeweils in der Pressedokumentation des Fritz Bauer Institutes.                                                                                                              Anhänge 2,2a,2b
Zu dem Beitrag lässt sich sagen, dass es sogenannte „heikle Aktenfunde“ gar nicht gab, da alle Tatsachen bekannt sind und ausführlich auch in der Ausstellung „Fritz Bauer – Der Staatsanwalt“ vom Fritz Bauer Institut dargestellt wurden. Nur die Bewertung von Georg D. Falk ist neu.
Dagegen lässt sich sagen, dass Bauer eben nicht nur Visionär, sondern auch Realist war. Angesichts der repressiven Rechtsprechung des BGH blieb Bauer gar nichts anderes möglich, als diese Verfahren einzustellen. Selbst die von Falk erwähnte Verfahrenseröffnung in Schleswig-Holstein führte zu keinem Ergebnis.
Gerade diese Verfahren waren Bauer auch wichtig, schon vor seiner Frankfurter Zeit. Eine der ersten Amtshandlungen von Bauer war das Verfahren gegen Sonderichter in Braunschweig, hier der Fall gegen Moses Klein. Dazu ein Bericht aus der Braunschweiger Presse vom 12.6.1951: „Zum erstenmal in der Geschichte der deutschen Justiz“ gab es die Anklage gegen drei Sonderrichter. Gerade das Vorgehen von Bauer in dieser Sache galt als „Meilenstein der deutschen Justizgeschichte“ (Wojak 2009, S.258).
                                                                                                                                                 Anhang 2c
3. Fritz Bauer Institut
Mo, 7. Dez. 2015,  18.15 Uhr            Frankfurt
„Gedenkstättenpädagogik: Kontext, Theorie und Praxis der Bildungsarbeit zu NS-Verbrechen“. Buchvorstellung und Diskussion mit Cornelia Siebeck und Gottfried Kößler
Goethe-Universität Frankfurt, Norbert Wollheim Platz 1, Casino am IG-Farben Haus          Anhang 3

4. Zur „hagiografischen“ Darstellung von Fritz Bauer
Im neuen Bulletin des Fritz Bauer Institutes werden von Werner Renz, Archivar des Institutes, drei neue Bücher zum Auschwitz-Prozess vorgestellt (Conrad Taler: Asche auf vereisten Wegen/ Martin Warnke: Zeitgenossenschaft. Zum Auschwitz-Prozess 1964/ P.J.Winters: Den Mördern ins Auge gesehen. Berichte eines jungen Journalisten zum Frankfurter Auschwitz-Prozess).
Zu dem Buch von Conrad Taler hat Irmtrud Wojak einen Beitrag geschrieben, den Werner Renz folgendermaßen kommentiert:
„Talers Neuauflage seines Buches von 2003 enthält neben einem für den Gegenstand Auschwitz-Prozess bedeutungslosen Vorwort einen Beitrag der Bauer-Biografin Irmtrud Wojak, die in gewohnt hagiografischer Manier Bauers Leben und Werk darstellt“. (S.89)
Unter Hagiografie versteht man Heiligendarstellungen. Es ist die Frage, ob das Irmtrud Wojak gerecht wird, da doch gerade diese Biographie mit ihrer empathischen Darstellung wesentlich dazu beigetragen hat,  die Erinnerung an Bauer wieder zurückzuholen. Der sachlich-trockene Stil von Werner Renz ist da eher ein Gegensatz – vielleicht ist es auch ein Ausdruck sehr unterschiedlicher Zugangsweisen zu Bauer. Die früheren Konflikte am Bauer-Institut hingen vielleicht auch mit diesen unterschiedlichen Sichtweisen zusammen.

5. Filmpreis für Fritz Bauer Film „Der Staat gegen Fritz Bauer“
Der Film „Der Staat gegen Fritz Bauer“ hat den mit 10.000 € dotierten Günter-Rohrbach-Filmpreis erhalten. Mit drei Preisen für den besten Film, bester Darsteller und die beste Musik war das Drama von Lars Kraume Abräumer des Abends. (Quelle: Braunschweiger Zeitung vom 9.Nov. 2015)

6. Fritz Bauer: Die Wurzeln faschistischen und nationalsozialistischen Handelns“
Im Weiteren kommt der 3. Teil der Schrift  „Die Wurzeln faschistischen und nationalsozialistischen Handelns“ von Fritz Bauer (S. 26-35).                                                                                    Anhang 4
Nach wie vor sind keine Originalschriften von Bauer im Buchhandel erhältlich. Selbst das Buch „Die Humanität der Rechtsordnung“ von Joachim Perels/ Irmtrud Wojak, das 1998 in der Wissenschaftlichen Reihe des Fritz Bauer Institutes erschienen war, ist nicht mehr erhältlich, und kostet antiquarisch im Internet inzwischen z.B. bei Amazon ab  295,99 €. Auch die beiden wichtigen Biographien zu Bauer von Irmtrud Wojak und die leider weniger bekannte von Matthias Meusch (2001) sind vergriffen. Vielleicht ist das die eigentliche Tragik von Bauer derzeit.   
Die Biografie von Ronen Steinke ist in mancher Hinsicht eher unergiebig und hat zu zahlreichen Kontroversen geführt.

7. Veranstaltungen
- Mo, 18.01.2016, um 17 Uhr             Braunschweig
Das nächste Treffen des Fritz Bauer Freundeskreises findet am Mo, den 18.01.2016, im DGB-Haus, Braunschweig, Wilhelmstraße 5 statt
 - Do, 21.01.2016, um 19 Uhr             Braunschweig
„Eine Ausstellung und ihre Folgen – Reinhard Strecker und die ‚Ungesühnte Nazi-Justiz’“,
Vortrag von Dr. Stephan A. Glienke, Universität Flensburg in der VHS Alte Waage, Speicher, BS,
veranstaltet  vom Friedenszentrum Braunschweig und dem Fritz Bauer Freundeskreis
- Sa, 19.3.2016, von 10- 16 Uhr          Braunschweig
Seminar zum Film „Die kommenden Tage“ von Lars Kraume. Ein Film über Deutschland in den Jahren 2012 und 2012 – in einer von Rohstoffen, Kriegen und Flüchtlingsströmen geprägten Welt.
Leitung Pater Martin Rosner OP, Braunschweig
Ort: Dominikanerkloster, Brucknerstr.6, 38106 Braunschweig

Viele Grüße
Udo Dittmann

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