Wie der „Freundeskreis Fritz Bauer“ entstand

von Udo Dittmann

Wie alles anfing...
Im Juli 2009 wurde ich von Uwe Meier, der mit anderen Personen die Braunschweiger Internet-Zeitung www.unser-braunschweig.de herausgab, gefragt, ob ich nicht einen Artikel über eine Abschiebung in Wolfenbüttel schreiben könnte, die inzwischen bundesweit Schlagzeilen machte. Es war die Abschiebung von Elvira Gashi (21 Jahre  alt), zusammen mit ihren beiden kleinen Kindern (3 J./ 4 J.). Sie war eine Roma-Angehörige und lebte seit 20 Jahren in Wolfenbüttel. Sie wurde nachts gegen 2.30 Uhr abgeholt, hatte dann eine halbe Stunde Zeit, ihre Koffer zu packen, und wurde dann noch in der Nacht zum Flughafen nach Frankfurt gebracht und dann sofort in den Kosovo geflogen (1)

Ich wurde nun gefragt, ob ich zu dem Fall aus der Sicht von amnesty international etwas schreiben könnte. Ich war ja langjähriges amnesty-Mitglied. Ich bejahte die Frage, fügte  aber hinzu, eigentlich würde ich auch gern etwas zu Fritz Bauer schreiben.

Und damit fing alles an. Ja, ich könnte auch etwas dazu schreiben - aber wer sei das eigentlich? Niemand kannte Fritz Bauer. Nun muss ich zugeben, dass ich ihn bis vor kurzem auch nicht gekannt hatte. Ich war zwei Monate vorher per Zufall bei einem Buch über NS-Geschichte auf den Namen gestoßen und hatte mir dann seine Biographie gekauft.

Was ich nicht wissen konnte, war, dass es ein Glücksgriff war. Die Biographie war im April 2009 erschienen und war überhaupt das erste Buch über das Leben von Fritz Bauer. Die Autorin, Irmtrud Wojak, hatte dazu zehn Jahre recherchiert und eine hervorragende Biographie geschrieben, die längst überfällig war, und so Fritz Bauer aus seiner völligen Vergessenheit herausholte.

Ich las die Biographie wie einen Krimi. Es war einfach unglaublich, was dieser Mann geleistet und erfahren hatte. Und für mich war es ein Rätsel, weshalb dieser so ungewöhnliche und bedeutende Mensch in die Vergessenheit geraten konnte. Es war für mich ein Stück Nachkriegsgeschichte, die sich hier auftat.

Nun kamen noch zwei Punkte hinzu: Zum einen stellte ich bei meinen Nachforschungen fest, dass es in Frankfurt ein Fritz-Bauer-Institut gab, das 1995 in dem ehemaligen Komplex von IG Farben als "Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte und Wirkung des Holocaust" gegründet worden war. -

In der Gedenkstätte der JVA Wolfenbüttel
Und dann hatte ich Besuch aus Ägypten (ein Arzt aus Kairo, der dort eine Einrichtung für behinderte Kinder gegründet hatte), der die Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel besuchen wollte und einen Bekannten und mich dazu einlud. Von Herrn Knauer wurden wir durch die Ausstellung geführt. Über 600 Hinrichtungen hatten in der NS-Zeit dort stattgefunden...

Besonders elektrisiert hat mich ein Satz, der auf einer Schautafel stand, und den ich bis heute nicht vergessen kann. Er hieß:

         "Das rassische Denken des Nationalsozialismus bedeutet (...)
           eine Abkehr von dem liberalistischen Grundsatz, von der Gleichheit aller Menschen:"

Darunter stand: "Wilhelm Stuckard, Hans Globke
                           Kommentar zur deutschen Rassengesetzgebung, Berlin 1936"
Globke, der Kommentator der Reichsrassengesetze, wird "Graue Eminenz" in der neuen Bundesrepublik
Ich fragte dann meinen Bekannten, wer denn diese Personen seien. "Du kennst nicht Hans Globke?", war die Antwort. Schon wieder ein Name, der mir nichts sagte. Der Bekannte erläuterte es mir kurz und wies auf die Bedeutung von Globke in der Adenauer-Ära hin.

Als langjähriges amnesty-Mitglied ging mir der Spruch nicht mehr aus dem Kopf. Nun hatte es 1789 die Französische Revolution gegeben, in der Ideen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit proklamiert wurden, und nach dem 2.Weltkrieg hatte es die Erklärung der Menschenrechte  gegeben, die die Grundlage für die Arbeit von amnesty international waren.

Und hier, 1936, wurde plötzlich der Grundsatz der Gleichheit aller Menschen in Frage gestellt. Und wieder recherchierte ich - diesmal zu Globke und erfuhr dabei, dass er 1950 von Adenauer als Staatssekretär eingestellt worden war und die "Graue Eminenz" der Bundesrepublik wurde, der zweite Mann im Staat hinter Adenauer, der aus dem Hintergrund wirkte und alle wichtigen Entscheidungen  (insbesondere hinsichtlich der Personalpolitik) in der neuentstehenden Bundesrepublik traf. (2)

Hans Maria Globke  (10.9.1898- 13.2.1973)

Hans Osterfeld, von 1960 bis 1969 Leiter des außenpolitischen Büros im Bundeskanzleramt schrieb über Globkes Machtposition in der Regierung:
 "Für alle wichtigen Fragen der Innen- Außen-, Wirtschafts-, Sozial-, Finanz- und Kulturplitik war das Kabinett zuständig - bis zur Ernennung der Beamten vom Ministerialrat    bzw. Obersten an aufwärts. Und alle diese Punkte gingen, bevor sie das Kabinett erreichten, durch Globkes Hand, der entschied, ob sie überhaupt vorgelegt wurden, ob sie noch überarbeitet oder ergänzt werden sollten (...) Von 1949 an gab es praktisch keine  Entscheidung der Bundesregierung, an der er nicht mitgearbeitet hatte. 14 Jahre lang war er  nicht nur der erste Gehilfe des Kanzlers, sondern auch der ganzen Regierung. Er war die Schaltstelle des Wiederaufbaus." (siehe Bevers, S.119)

Am 20.Nov 1938 unterzeichnete Globke als Vertreter des Reichinnenministeriums einen Vertrag über Staatsangehörigkeit und Optionsfragen mit der Tschechoslowakei. Dabei ging es (..) wieder um rassische
Ausgrenzung. Globke formulierte das im Februar 1939 in einem Aufsatz in der Zeitschrift für osteuropäisches Recht so: "Personen artfremden Blutes, insbesondere Juden und Zigeuner, sind jedoch niemals deutsche Volkszugehörige, auch wenn sie sich etwa bisher in der Tschecho-Slowakei zur deutschen Nationalität gerechnet haben sollten." (nach Bevers, S.41)

 
Zum einen fragte ich mich, wie eine solche Person, die 1936 ausdrücklich die Gleichheit aller Menschen abgelehnt und die Reichsrassengesetze unter diesen Gesichtspunkten praktikabel gemacht hatte, zum Mitorganisator der neuen Bundesrepublik werden konnte. Welche Auswirkungen dürfte das auf den neuen Staat gehabt haben.

Umso wichtiger wurde für mich der Bezug zu Fritz Bauer - im Grunde als Gegenpol zu Hans Globke. Fritz Bauer, der als Sozialdemokrat und aus einer deutsch-jüdischen Familie in Stuttgart stammend, 1936 nach Dänemark flüchtete, dann 1943 weiter nach Schweden emigrierte, um der deutschen Besatzung und der Gestapo in Dänemark zu entgehen. Hier entwickelte er seine Gedanken zu den Menschenrechten und zu dem Umgehen mit Kriegsverbrechen, die er dann in den späteren Jahren konsequent umsetzte.

Durch Vermittlung Kurt Schumachers kam er nach dem Krieg im Jahr 1949 nach Braunschweig. Dort war eine Stelle als Landgerichtsdirektors frei. Er muss sich hier gefühlt haben wie in der Diaspora, in dem kleinen norddeutschen Braunschweig,  Gerne wäre er in seine schwäbische Heimat oder nach Berlin gegangen. Nun war er in dem provinziellen Braunschweig gelandet.

Aber vielleicht war es kein Zufall. Er kam hier in eine Reihe laufender oder gerade abgeschlossener Fälle (insbesondere um den berüchtigten ehemaligen Ministerpräsidenten Klagges, der auch für die Eindeutschung Hitlers verantwortlich war). Hier in Braunschweig konnte er sich nun maßgeblich einbringen. Und ein Jahr später, 1950, wurde er Generalstaatsanwalt in Braunschweig.

Der "Remer-Prozess"
Im Mittelpunkt der dortigen Tätigkeit stand der sogenannte "Remer-Prozess" im Jahr 1952. Dieser Prozess erregte bundesweites Aufsehen und machte ihn auch international bekannt.(3)
Remer hatte als Kommandeur des Wachbatallions "Großdeutschland" den Aufstand vom 20.Juli niedergeschlagen, 1949 die neonazistische SRP (Sozialistische Reichspartei) gegründet und u.a. im Schützenhaus in Braunschweig die Männer des 20. Juli verhöhnt und als "Vaterlandsverräter" bezeichnet.

Fritz Bauer führte gegen ihn einen Prozess, der Geschichte schrieb. Im Grunde ging es ihm dabei nicht um Remer, sondern um die Frage der Rechtmäßigkeit des Widerstandes. Im Mittelpunkt seiner Argumentation stand der Gedanke, dass der NS-Staat ein "Unrechtsstaat" sei, und dass der Widerstand deswegen legitim gewesen sei. Das war ein Gedanke mit weitreichenden Folgen. Remer selbst wurde schließlich zu drei Monaten Haft verurteilt. Fritz Bauer kam es dabei nicht auf die Höhe der Strafe an - er hatte in seinem Plädoyer sogar vergessen, ein Strafmaß vorzuschlagen - sondern auf das Grundsätzliche seiner Argumentation. Für alle weiteren Prozesse und Ermittlungen wurde das - zusammen mit der Entwicklung des Widerstandsbegriffes (4) - die Grundlage seines Vorgehens. Und eine weitere Folge des Prozesses war die bis dahin umstrittene Rehabilitierung der Männer des 20.Juli.

Welche Bedeutung dabei die Menschenrechte und die Würde des einzelnen Menschen für Fritz Bauer hatten, kommt u.a. darin zum Ausdruck, dass er in dieser Zeit den Spruch in die Außenwand der Braunschweiger Staatsanwaltschaft am Domplatz  - für jedermann sichtbar - einmeißeln ließ:
"Die Würde des Menschen ist unantastbar -
sie zu schützen ist die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt."

Nun, die Faszination, die Fritz Bauer inzwischen auf mich ausübte, hatte nur ein Problem: Kaum jemand kannte ihn. Und dass, obwohl er in markanter Weise sieben Jahre lang in Braunschweig gewirkt hatte.  Die Möglichkeit, einen Aufsatz in der alternativen Webzeitung zu schreiben, kam mir daher entgegen. Das bedeutete, ihn hier bekannt machen zu können. Zum Glück hatten auch gerade die Sommerferien begonnen, ich hatte etwas Zeit dafür, da ich  nicht vorhatte, wegzufahren.

Eine Benennung einer Straße nach Fritz Bauer in Braunschweig?
Ich machte mir Überlegungen für einen Aufsatz: das heißt, ich musste ganz unten ansetzen, davon ausgehen, dass er in der Stadt noch ganz unbekannt war. Und dann musste ich noch an eine weitere Stelle aus der "Bauer-Biographie" denken. Dort wurde erwähnt, dass Bauer weder zu seinen Lebzeiten noch später irgendwie eine Auszeichnung  oder Ehrung bekommen hatte (mit Ausnahme der Ludwig-Thoma-Medaille) in München. Andererseits gab es den Fritz-Bauer-Preis der Humanistischen Union (ab 1969), der aber nur einem kleinen Kreis von Insidern bekannt war. Nun hatte 2003 ein Stadtabgeordneter der Grünen in Stuttgart den Vorschlag gemacht, eine Straße nach Fritz Bauer zu benennen (dort gab es daraufhin einen Fritz-Bauer-Weg).
Wär das nicht für Braunschweig auch möglich? Ich schrieb nun einen Aufsatz mit grundlegenden Infos über Fritz Bauer und verband damit das Ziel einer Straßenbenennung nach Fritz Bauer. Der Artikel erschien dann Anfang August 2009 in der Braunschweiger Webzeitung (www.unser-braunschweig.de) - und nun ging es richtig los. Ein Ereignis folgte dem anderen zum Thema Fritz Bauer: es stand unter einem guten Stern.

Der Artikel war von Uwe Meier, der die Webzeitung hauptsächlich herausgab, schön aufbereitet worden. Man war zur Staatsanwaltschaft gefahren und hatte ein neues Foto von dem Spruch von Fritz Bauer aufgenommen und in dem Artikel eingefügt. Bisher war dieser Satz - obwohl sichtbar für alle - niemandem aufgefallen. Nun machte ich auch Helmut Kramer auf den Artikel aufmerksam. Er merkte, dass nun auch von ganz anderer Seite plötzlich ein Interesse an diesem historischen Thema bestand - gerade er, der sich als ehemaliger Richter am Amtsgericht Braunschweig so sehr mit Fritz Bauer beschäftigt hatte und dessen eigene Biographie so starke Bezüge zu Fritz Bauer hatte.

Vortrag von Irmtrud Wojak im Landgericht Braunschweig
Helmut Kramer bot an, Kontakt zu Irmtrud Wojak, die die Biographie über Fritz Bauer geschrieben hatte und die er  persönlich kannte, aufzunehmen. Angesichts des neuerwachenden Interesses könnte er sie ja zu einem Vortrag über Fritz Bauer nach Braunschweig einladen. - Das gelang. Irmtrud Wojak kam im Oktober 2009 (auf Einladung der Buchhandlung Graff) nach Braunschweig. Der Ort für die Veranstaltung war das Landgericht Braunschweig, und zwar genau der Saal, in dem Fritz Bauer den Remer-Prozess geführt hatte. Und Helmut Kramer machte dazu die Einführung, die ebenso berührend war wie der Vortrag von Frau Wojak. Es war ein beeindruckender Abend.

Einige Monate ruhte nun das Thema. Ich hatte inzwischen zwar an die Stadt Braunschweig wegen einer Straßenbenennung geschrieben und eine relativ positive Antwort  erhalten, aber zur Zeit gäbe es noch keine Möglichkeit zu einer Realisierung.

Filmpremiere in Braunschweig: "Fritz Bauer - Tod auf Raten"
Dann kam die Berlinale 2010. Im Februar fand dieses Filmfestival statt, und dort wurde plötzlich ein Film über Fritz Bauer  gespielt. Er hieß "Fritz Bauer- Tod auf Raten" und war von der international bekannten Filmemacherin Ilona Ziok gedreht worden.

Jetzt kam wieder Braunschweig ins Spiel. Wegen der besonderen Bedeutung, die Braunschweig für Fritz Bauer hatte, sollte die Uraufführung des Filmes nach der Berlinale in Braunschweig stattfinden. Das geschah dann im Mai 2010. Auch von der Braunschweiger Zeitung groß angekündigt musste man sich Platzkarten reservieren lassen. Wegen der großen Nachfrage musste der Film kurzfristig in einen größeren Saal des Cinemaxx umgelegt werden, der erste Filmsaal mit "nur" 200 Plätzen war viel zu klein.-

Bei dieser Filmpremiere im ausverkauften Kino gab es anschließend eine Diskussion mit der Filmemacherin Frau Ziok und dem ehemaligen Generalstaatsanwalt Dr. Kintzi. Der Abend verlief interessant, auch die anschließende Aussprache, in der Ilona Ziok auch darauf einging, wie der Film entstanden war, wo sie Unterstützung erfahren bzw. wo es Schwierigkeiten gegeben hatte. Besonders dankte sie dem Saarländischen Rundfunk, der das Projekt finanziell gefördert hatte, nachdem andere größere Sender kein Interesse daran gezeigt hatten.

Nachdem alle Besucher gegangen waren, suchte ich noch das persönliche Gespräch mit ihr. Ich wies sie auf unsere kleine Initiative in Braunschweig hin. Sie zeigte großes Interesse daran; Adressen wurden ausgetauscht, und es entstand ein reger Austausch, der seit diesem Abend bis heute weitergeht - offen, direkt und impulsierend, eigentlich wie man es sich wünscht. Es war, als wenn der Geist Fritz Bauers, seine Gedanken, sein Leben immer dabei präsent waren.

Benennung einer Schule in Braunschweig nach Fritz Bauer verlief im Sande...
Dann wurde es erst mal etwas ruhiger. Nach außen hin tat sich nicht viel. Ab und zu erschien ein Artikel in der Braunschweiger Zeitung zu Fritz Bauer, und Uwe Meier verfolgte auch die Idee, eine Schule nach Fritz Bauer zu benennen, aber das verlief zunächst im Sande. Eine Schule, die IGS in Volkmarode, zeigte zunächst Interesse, als dann jedoch die Eltern gefragt wurden, stieß man auf Ablehnung. Keiner kannte Fritz Bauer. Auch wollte man eher in der  Tradition der anderen Braunschweiger Gesamtschulen bleiben und ohne direkte Namensnennung in der Stadt auftreten.

Ein Blog von Henning Noske
Doch plötzlich - im April 2011 - kam wieder Bewegung in das Thema. Henning Noske von der Braunschweiger Zeitung hatte einen neuen Blog eingerichtet und diesen mit dem Aufsatz begonnen: "Warum der große Fritz Bauer in unserer Stadt immer noch keinen Platz hat." Ein beeindruckender Artikel, der mit großer Intensität geschrieben war. (5)

Von Uwe Meier wurde ich auf diesen Artikel aufmerksam gemacht. Ich spürte, dass nun etwas ganz Neues in Braunschweig begann. Es war nun nicht mehr nur eine kleine alternative Initiative, sondern von ganz unterschiedlichen Seiten war plötzlich ein Interesse an Fritz Bauer vorhanden. Da war die alternative Webzeitung mit ihrem Bezug zu vielen Bürgerinitiativen in Braunschweig, nun auch ein bedeutender Vertreter der "offiziellen" Braunschweiger Zeitung, und dann musste ich natürlich auch an Helmut Kramer denken und an sein Eintreten für Fritz Bauer.

Die Idee eines Freundeskreises
So war für mich die Frage, wie man dies "bündeln" könnte. So viele unterschiedliche und interessante Personen und "Strömungen" - wie könnte man das zusammenspielen? Und das allein auf lokaler Ebene. Was könnte man machen, dass das nicht einfach auseinanderlief.

Ich dachte deshalb daran, man müsse so etwas wie einen "Freundeskreis Fritz Bauer" gründen. Zum einen, um die verschiedenen Personen und Ansätze zusammenzubringen - und dann, um eine besondere Verbindung zur Person Fritz Bauers zum Ausdruck zu bringen. Dabei wirkte noch das Lesen der Biographie von Fritz Bauer nach. Ich hatte nach der Lektüre den Eindruck, noch nie einen so einsamen Menschen erlebt zu haben. Ich hatte bisher viele Biographien gelesen - von bedeutenden und weniger bedeutenden Menschen, aber der Eindruck nach dem Lesen dieser Biographie war einzigartig. Irmtrud Wojak hatte in ihrem Buch beschrieben: es gab keinen Nachlass, fast keine Briefe, keine Freunde, keine Familienangehörigen. Insofern sei es auch nicht einfach gewesen, diese Biographie zu schreiben - über viele Strecken seines Lebens gab es nichts, keine Stellungnahmen, keine Worte von Freunden oder Bekannten - auch er selber hat nicht viel über sich  erzählt, was ihn als Mensch, als Person betrifft. Vielleicht wird sich das noch im Laufe der Zeit ändern, wenn man sich wieder mehr mit der Person Fritz Bauers beschäftigt - die Biographie von Irmtrud Wojak war ja eine erste Aufarbeitung, eine wirkliche Pionierarbeit - aber die Tendenz ist sicherlich da. Vielleicht auch deswegen der eigenartige, tragische Tod: er wurde an einem Montagmittag tot in seiner Badewanne aufgefunden. Er war morgens nicht zur Arbeit erschienen (was ganz ungewöhnlich war), daraufhin hatte man versucht, ihn telefonisch zu erreichen, was nicht gelang. Dann hat man seine Wohnung aufgebrochen - wo man ihn dann tot in der Badewanne fand. Der Film "Tod auf Raten" berichtet ausführlich darüber; damals sorgte der Tod für Schlagzeilen: war es Selbstmord, gab es ein Fremdverschulden oder war es einfach Erschöpfung?

Man weiß es nicht genau, wieviele  Freunde er hatte; immerhin gesellig war er ja. Aber er hatte Feinde, viele Feinde, bekam Drohbriefe und bedrohliche Anrufe, was ihn schließlich auch dazu veranlasste, eine Dienstpistole zu beantragen.

Umso naheliegender erschien es daher, in Braunschweig einen "Freundeskreis" zu gründen, um gerade auch die tiefere Verbundenheit mit Fritz Bauer zum Ausdruck zu bringen.

Nun war es so, dass gerade an dem Wochenende, nachdem der Aufsatz von Henning Noske erschienen war, ein Treffen des Initiativkreises des Vereins "Forum Bioethik" war. Diesen Verein hatte ich im Jahr 2000 gegründet, nachdem es 1997/98 eine "Singer-Auseinandersetzung" in Braunschweig gegeben hatte. (6)

Der Verein "Forum Bioethik" hatte dabei enge Verbindungen zu dem bundesweiten "Arbeitskreis zur Erforschung der NS-Euthanasie und Zwangssterilisation", dem in Deutschland in ethischer Hinsicht eine besondere Bedeutung zukam. Die Tagungen des Arbeitskreises fanden im allgemeinen an den Orten der Euthanasie-Aktionen statt wie Hadamar, Grafeneck, Hartheim usw., Teilnehmer waren Medizinhistoriker, Ärzte, Psychologen sowie Mitarbeiter von Gedenkstätten.

Insofern war ein Schwerpunkt des Vereines "Forum Bioethik" auch die Beschäftigung mit der T4-Aktion, dem Tarnnamen der damaligen Euthanasie-Aktionen. Und hier ist wieder der Bezug zu Fritz Bauer. Es war das Anliegen von ihm, nach den Auschwitz-Prozessen  die Prozesse zur Euthanasie durchzuführen. Seit 1959 hatte er mit den Ermittlungen begonnen - nach seinem plötzlichen Tod 1968 wurden sie ab 1970 stillschweigend eingestellt.

Das Treffen von "Forum Bioethik" fand wie gewohnt "Im Stillen Winkel" in Denstorf bei Braunschweig statt. Aus aktuellem Anlass befasste man sich kurzfristig mit Fritz Bauer - mit dem Ziel, vielleicht einen "Freundeskreis Fritz Bauer" zu gründen. Aber auch hier stellte man fest, dass eigentlich niemand so recht Fritz Bauer kannte, obwohl man sich doch schon so lange mit diesen Themen beschäftigt hatte. Wenn, so war Fritz Bauer auch in Fachbüchern meist nur am Rande erwähnt. worden.
So wurde vereinbart, sich bis zu dem nächsten Treffen mit seiner Person zu beschäftigen,
um sachgerechter entscheiden zu können. Darüberhinaus wurde beschlossen, einen Vortrag bzw. eine Info-Veranstaltung in der Stadt anzubieten, um die Person Fritz Bauers für den Verein sowie für andere Interessenten bekannter zu machen.

.Info-Veranstaltung zu Fritz Bauer in der St.Elisabeth-Buchhandlung in Braunschweig
Am 27.Mai 2011 veranstaltete der Verein "Forum Bioethik" dann einen Info-Abend in der St.Elisabeth-Buchhandlung, einer kleinen Buchhandlung in Braunschweig, die einem Mitglied des Vereins gehörte. Für diesen Abend wurde auch erstes Info-Material erstellt, da davon auszugehen war, dass viele Teilnehmer überhaupt keine Kenntnis von Fritz Bauer haben würden. Angesprochen wurden dabei insbesondere die evangelischen und katholischen Gemeinden in Braunschweig sowie die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Schwerpunkt dieses Abends war u.a. auch der Antisemitismus und seine Bedeutung für den Holocaust und die Haltung Fritz Bauers hierzu. Immerhin kam Bauer aus einer deutsch- jüdischen Familie, wobei das Jüdische keine Rolle mehr spielte. Man war nicht mehr zu Synagoge gegangen, auch nicht an besonderen Feiertagen. Er selbst hatte später neben Jura auch evangelische Theologe studiert. Im Mittelpunkt stand dann auch ein Satz aus einem  Brief von Fritz Bauer an Thomas Harlan (7): "Ich bin von Gott und Welt verlassen genug."(8)

Der Brief war etwa zur Zeit der Auschwitz-Prozesse geschrieben. Es war auch die Zeit, in der der Papst Johannes XXIII. die Enzyklika "Pacem in terris" herausgegeben hatte (1963), in der zum ersten Mal der ernsthafte Versuch einer Überwindung des kirchlichen bzw. religiösen Antisemitismus erfolgte. Fritz Bauer  schrieb in dieser Zeit den Aufsatz über den "Prozess Jesu" und betrachtete diese Enzyklika in zahlreichen Punkten als Bestätigung seiner eigenen Rechtsauffassung. (9)

Über den Tellerrand hinaus...
Bis jetzt war die Initiative zu Fritz Bauer auf Braunschweig bezogen. Es ging um eine Straßenbenennung, vielleicht auch um die Namensgebung einer Schule. Und darum, ihn hier bekannter zu machen.
Verstärkt wurde diese Ausrichtung noch durch den Hinweis von Ilona Ziok, dass sie in Berlin eine Ausstellung zum Remer-Prozess plane, die dann zunächst auch in Braunschweig gezeigt werden sollte. Gerade der in Braunschweig durchgeführte Remer-Prozess sei für die deutsche Aufarbeitung von NS-Verbrechen von besonderer Bedeutung (10).
Doch plötzlich nahm die Sache zu Fritz Bauer einen ganz anderen Verlauf....

Durch den Film "Tod auf Raten" erhält Fritz Bauer bundesweite Aufmerksamkeit
Der Film "Fritz Bauer- Tod auf Raten" von Ilona Ziok wurde in das bundesweite Filmfestival "Ueber Mut" von der Aktion Mensch aufgenommen und ab Juni 2011 in zahlreichen Kinos in Deutschland aufgeführt. (11) Partner des Filmes waren die "Humanistische Union" und das "Fritz-Bauer-Institut" in Frankfurt am Main. Nun wurde Fritz Bauer allgemein bekannter, und auch in anderen Städten hörte man nun schon etwas von ihm.

Das war Anlass für die Braunschweiger Initiative, auch über die Stadtgrenzen hinaus zu schauen. Eigentlich ging es jetzt nicht mehr darum, ihn nur in Braunschweig bekannt zu machen, sondern auch andere Kreise zu erreichen.

Fritz Bauer und amnesty international - geht das?
Ein erster Versuch betraf dabei amnesty international - und zwar überregional. Wäre es da auch möglich, dass man sich auf bundesweiter Ebene mit ihm beschäftigt?  Amnesty international ist 1961 durch den Rechtsanwalt Peter Benenson in London gegründet worden.

Benenson hatte an den "Observer" geschrieben und rief zu einer Kampagne für den Schutz von vergessenen Gefangenen auf. Zuvor hatte er in der Zeitung über zwei Studenten in Portugal gelesen, die zu sieben Jahren Haft verurteilt worden waren, weil sie in einem Café in Lissabon auf die Freiheit angestoßen hatten. - Die Resonanz auf den Artikel war groß. Amnesty international war geboren.

Nun beschäftigt sich ai weltweit mit Menschenrechtsverletzungen bzw. mit den Menschenrechten. Bei Fritz Bauer geht es zunächst um die Aufarbeitung von Verbrechen aus der NS-Zeit, aber eben nicht nur. Sein Ansatz ist weiter, es geht ihm um die Verteidigung der Menschenrechte allgemein, was in seinem Vorträgen, Texten und Büchern zum Ausdruck kommt. (12)

Und wie oben erwähnt, hat er schon zehn Jahre vor der Gründung von ai den Artikel 1 des Grundgesetzes an die Braunschweiger Staatsanwaltschaft anbringen lassen und auf die Bedeutung der Menschenrechte hingewiesen und ihre Anwendung in konkretes Recht bzw. in konkrete Prozesse gefordert.

Es ergab sich, dass in dem besagten Filmfestival nicht nur der Fritz-Bauer-Film lief, sondern auch ein Film über Israel/ Palästina, bei dem amnesty international Filmpartner war. Es war der Film "Budrus", der von einem Dorf in den besetzten Gebieten handelte. Beide Filme tauchten somit auf demselben Flyer auf, und die Braunschweiger ai-Gruppe plante einen Stand zum "Budrus"-Film.

Damit war ein Anknüpfungspunkt gegeben, zum einen für die Braunschweiger amnesty-Gruppe, aber vielleicht auch auf Bundesebene. Ich schrieb verschiedene Vertreter von ai in anderen Städten sowie im Vorstand, die ich persönlich kannte, an und erhielt tatsächlich positive Rückmeldungen. Durch den Film war man aufmerksam auf ihn geworden. Als ich auch einige Infos an das ai-Journal schickte, kam eine Antwortmail, dass man auch dort einen Beitrag zu ihm bringen wollte.

Einige Tage später fand die Jahresversammlung von amnesty vom 11.-13. Juni 2011 in Köln statt. Es war eine besondere Veranstaltung, da zugleich der 50. Geburtstag von ai gefeiert wurde. Auch dort sprach ich mit verschiedenen Personen über Fritz Bauer, insbesondere auch mit Volkmar Deile, dem ehemaligen Generalsekretär der deutschen Sektion in den 80iger Jahren, der ai jahrelang souverän geleitet hatte. Er erzählte, wie er als Abiturient in Wiesbaden den Auschwitz-Prozess sozusagen aus der Nähe beobachtet hatte. Auch er begann ein neues Interesse an Fritz Bauer zu zeigen.

Selbst die SPD hat Bauer fast vergessen...
Etwas ganz anderes war dann die Auseinandersetzung mit der SPD. Fritz Bauer hatte sich in erster Linie als Sozialdemokrat verstanden, schon in seiner frühen Zeit nach dem Studium in Stuttgart, in der er u.a. auch mit Kurt Schumacher befreundet war, und dann insbesondere im Exil in Schweden, wo er Willy Brandt begegnete und in der SoPaDe (der "Exil"-SPD) engagiert war.

Nun war Fritz Bauer nicht nur allgemein vergessen worden, sondern als besonders tragisch empfand ich, dass ihn auch seine eigene Partei, die SPD, vergessen hatte. Hierauf hatte mich insbesondere die Braunschweigerin Sigrid Probst hingewiesen, die früher selbst in der SPD war. Wegen des Asylkompromisses war sie 1993 aus der Partei ausgetreten und wurde einige Jahre später als parteilose Kandidatin für die Grünen im Rat der Stadt Braunschweig und als Zweite  Bürgermeisterin tätig. Mit ihr hatte ich viele Gespräche über Fritz Bauer, und sie selbst fühlte sich aber mit ihrer ehemaligen Partei noch sehr verbunden.

Auf einer Veranstaltung des "Bürgerforums" - das war eine Initiative von Bundespräsident Wulff, die im Frühjahr 2011 zeitgleich in 25 Städten des Bundesgebietes stattfand  (13) - traf ich den  Landtagsabgeordneten der SPD, Klaus-Peter Bachmann, und fragte, wie die SPD in Braunschweig zu Fritz Bauer stünde. Er antwortete, dass es einen Arbeitskreis von der SPD dazu gäbe, der sich auch mit ihm beschäftigte. Näheres konnte er mir aber noch nicht sagen.

Da ich keinen weiteren Ansprechpartner der SPD in Braunschweig wusste, dachte ich mir, einfach auf Bundesebene nachzufragen, wie weit Bauer dort noch bekannt sei. Ich schaute auf der Webseite der SPD nach und stieß dabei auf einen "Arbeitskreis sozialdemokratischer Juristen" (ASJ). Wenn  jemand in der SPD etwas über Fritz Bauer wissen müsste, dann wohl am ehesten dort.

Und nun erlebte ich einige Überraschungen. Als ich die drei Vorstandsmitglieder des ASJ anschrieb, war der Kenntnisstand über Fritz Bauer sehr unterschiedlich, aber die Anregung der Braunschweiger Initiative wurde sehr positiv aufgenommen. In einer Antwort hieß es, dass es ein willkommener Anlass sein könnte, sich wieder mehr mit ihm zu beschäftigen. Die Leiterin des Arbeitskreises, Frau Pörksen, war selbst 1.Vorsitzende in der Humanistischen Union und dadurch natürlich bestens informiert. Sie war bei der Verleihung des Fritz-Bauer-Preises im letzten Jahr in Köln gewesen und hatte auch eine sehr interessante Veranstaltung zum Bauer-Film in Hamburg organisiert. An der Preisverleihung in Köln hatte Uwe Meier teilgenommen und auf der Webseite www.braunschweig-spiegel.de darüber berichtet. Immerhin wurde diesmal der ehemalige Wolfenbütteler Richter Helmut Kramer für sein Lebenswerk ausgezeichnet.

Darüberhinaus wäre es  wünschenswert, wenn sich jetzt auch die SPD in Braunschweig wieder mehr auf Fritz Bauer besinnen würde. Im Grunde ist es nicht nur ein "historisches" Thema, sondern seine Ideen und Impulse sind modern und hochaktuell.

Kontakte nach Stuttgart, dem Geburtsort von Fritz Bauer
Drei Städte in Deutschland sind in dem Leben von Fritz Bauer von besonderer Bedeutung:
Stuttgart als Geburtsort, dann Braunschweig und Frankfurt mit seiner Tätigkeit jeweils als Generalstaatsanwalt. Frankfurt hatte inzwischen das Fritz-Bauer-Institut, es war daher naheliegend, auch nach Stuttgart zu schauen. Immerhin gab es seit 2003 dort einen Fritz-Bauer-Weg. Das heißt, dass es in Stuttgart schon Leute gab, die Fritz Bauer kannten und sich um die Erinnerung an ihn  kümmerten. Mich interessierte es einfach zu erfahren, wer diese Menschen sind und was sie bewegte, sich in dieser Weise für Fritz Bauer einzusetzen. Irmtrud Wojak hatte in ihrer Biographie den Namen des Stadtabgeordneten erwähnt, der die Straßenbenennung auf den Weg gebracht hatte: es war Matthias Kienzle von den Grünen. Zunächst wunderte ich mich, dass es ein Abgeordneter der Grünen und nicht jemand von der SPD war, aber immerhin - die Impulse von Fritz Bauer sind allgemein-menschlich und nicht nur auf eine Partei bezogen.

Ich schaute im Internet nach und tatsächlich, es gab diesen Abgeordneten noch. Ich schrieb ihm eine Mail und wies auf die Braunschweiger Initiative hin, die ihren Anstoß eigentlich durch seine Aktivität in Stuttgart bekommen hatte. Und schon am nächsten Tag war eine positive Antwort da, mit weiteren Anregungen zu Fritz Bauer. Matthias Kienzle hatte in Stuttgart anläßlich eines Brandes in einem Haus mit mehreren ausländischen Familien in diesem Haus einen Verein gegründet, der sich mit sozialen und politischen Themen befasste. Dabei gab es auch Vorträge zu Fritz Bauer sowie ein Theaterstück über Fritz Bauer und Hans Globke ("Alles was Recht ist" von Gerold Theobald), das im Alten Schauspielhaus in Stuttgart im Juni 2010 aufgeführt worden war. Jetzt war der Gedanke naheliegend - warum nicht auch ein Theaterstück zu Fritz Bauer in Braunschweig?  Aber dazu ist es bis jetzt noch nicht gekommen.

Herr Kienzle und ich verabredeten, weiter in Kontakt zu bleiben. So gibt es seitdem eben auch einen Bezug nach Stuttgart. Und Herr Kienzle fand es interessant, welche Folgen sein Impuls für Stuttgart nun in Braunschweig hatte.

....  ein Brief an Günther Grass?
Nun war die Initiative auch über Braunschweig hinaus bekannt geworden. Uwe Meier hatte jeweils die Berichte von mir und seine eigenen (z.B. über die Zeitzeugin Frau Ausmeier) auf seiner Homepage gut aufbereitet. Inzwischen hieß die Seite www.braunschweig-spiegel.de  Auch war sie mit der Webseite des Filmes von Fritz Bauer durch Ilona Ziok verlinkt worden.
Vorher war dort schon ein Link zur Webseite von Forum Bioethik eingerichtet worden - auf die dortige Seite zu Fritz Bauer (www.forum-bioethik.de).

Jetzt kam mir eine Stelle aus dem Buch von Frau Wojak in den Sinn, wo sie auf die Studienzeit von Fritz Bauer hinweist. Dieser hatte zunächst in Heidelberg studiert und wechselte dann im Laufe des Jahres 1922 nach München. Der Wechsel hatte wohl mit einigen antisemitischen Erlebnissen von Bauer zu tun. Genaues weiß man nicht. (14) Die Zeit in München war eine aufwühlende Zeit. Die rechten Aufmärsche wurden stärker, ebenso der Antisemitismus offenkundiger, riesige Plakate mit der Aufschrift "Den Juden ist der Zutritt verboten". Dann war da der Tod Rathenaus, der bei vielen eine tiefe Betroffenheit auslöste und der Beginn einer der größten Krisen der Weimarer Republik war. Bauer spürte, dass die Weimarer Republik gefährdet war und der mit ihr verbundene Schutz der Grundrechte. So zog er sich - voller Erschütterung - mit einigen Freunden in die Alpen zurück. Dort verfassten sie einen Brief an Thomas Mann. " Wir schrieben nicht an Gerhard Hauptmann, sondern wir schrieben bewusst an Thomas Mann. Wir wussten, Thomas Mann gehörte damals noch oder wurde zugeordnet der deutschen Rechten, aber wir hatten das Gefühl, ein Mann wie Thomas Mann, den wir über alles liebten und der unsere Jugend bestimmt hat seit den Tagen des Tonio Kröger, dass Thomas Mann nicht schweigen kann und nicht schweigen darf." (15)

Tatsächlich schrieb Thomas Mann, der vielen noch als der Verfasser der "Betrachtungen eines Unpolitischen" bekannt war, im Sommer 1922 - nach dem Tode Rathenaus - seinen berühmten Text "Von deutscher Republik", in dem er ermahnte, sich endlich in den Dienst der Republik und der Humanität zu stellen.

Damals war Thomas Mann für viele eine Person, sie sie achteten und von dem sie wussten, dass seine Worte auch international gehört wurden und Gewicht hatten. Wer wäre es denn heute? Welcher Person würde heutzutage eine solche Stellung zukommen? Ich dachte an Günther Grass. Nicht in allem stimmte ich mit ihm überein, aber ich wusste, dass es auch sein Anliegen war, für soziale und ethische Werte einzutreten. Und er hatte früher immer wieder auch Willy Brandt unterstützt.

Da ich schon vorher einige Texte von Uwe Meier, Henning Noske und mir zusammengestellt hatte, schickte ich sie an den Verlag, der verschiedene Bücher von Günther Grass herausgegeben hatte - mit der Bitte um Weiterleitung. Es war der dtv-Verlag, und schon kurz darauf kam die Antwort, dass man sie weiterleiten wollte. Noch habe ich keine weitere Antwort erhalten - aber es wäre schon großartig, wenn sich Günther Grass für Fritz Bauer einsetzen bzw. auf ihn hinweisen würde.

In dem Zusammenhang schrieb ich auch an die Bundeszentrale für politische Bildung und den Rowohlt-Verlag. Jeder Lehrer, der Politik, Geschichte oder Gemeinschaftskunde unterrichtet, kennt die Hefte "Informationen zur politischen Bildung". Wäre es nicht naheliegend, auch einmal ein Heft zu Fritz Bauer herauszugeben? Oder der Rowohlt-Verlag mit seinen griffigen Monographien zu bedeutenden Leuten - Denkern, Wissenschaftler, Künstler usw. Wäre es nicht auch gut, wenn es auch über Fritz Bauer eine solche Monographie geben würde? Ich habe zahlreiche dieser Monographien und schätze sie sehr. Gerade hatte ich auch eine interessante Monographie über Fritz Lang, dem Filmemacher, gelesen. - Nun, der Verlag antworte freundlich, aber wies darauf hin, dass ihre Reihe "so nicht arbeite".... Ich musste schmunzeln, Fritz Bauer war also nicht bekannt genug. Von der Bundeszentrale für politische Bildung habe ich bis heute noch keine Antwort bekommen.

Vortrag mit Herrn Perels in Wolfenbüttel zu Fritz Bauer (Juni 2011)
Am 9.Juni stand dann ein Vortrag von Joachim Perels in Wolfenbüttel an. Dabei sollte der Fritz-Bauer-Film gezeigt werden. Veranstalter war die Gedenkstätte  der JVA Wolfenbüttel.

Dieser Abend schien mir etwas Besonderes zu sein, denn Herr Perels hatte zahlreiche Schriften zum Thema NS-Geschichte im Fritz-Bauer-Institut herausgegeben. Er war ein ganz großer Kenner von Fritz Bauer, auch Frau Wojak hatte engen Kontakt zu ihm. Mit ihm hatte sie auch das Buch "Die Humanität der Rechtsordnung" herausgegeben, in dem viele bedeutende Aufsätze und Vorträge von Bauer enthalten waren. Vielleicht war es sogar das einzige noch zugängliche Buch, das überhaupt Schriften von ihm enthielt. Sonst gab es eigentlich nichts mehr an Büchern und Texten von Fritz Bauer, die erhältlich waren,  selbst wenn man unter Google oder Amazon suchte.

Das alles war für mich besonders unverständlich. Wie konnte es sein, dass es überhaupt keine Bücher und Texte mehr von Fritz Bauer gab. Geschrieben hatte er doch so einiges. Er selbst war nicht nur "vergessen" worden, sondern auch seine Bücher, Texte und Gedanken.

Strafrechtler Jäger hielt Bauer für wissenschaftlich überholt...
Ich erinnerte mich da an eine andere Stelle aus der Bauer-Biographie von Frau Wojak. Dort erwähnte sie, dass Ilse Staff - die Ehefrau des bedeutenden Generalstaatsanwaltes Curt Staff, der schon gleich nach dem Krieg in Braunschweig als erster Generalstaatsanwalt tätig war und dann Präsident des Obersten Gerichtshofes in der britischen Zone wurde - nach dem Tod von Fritz Bauer die Herausgabe einer Gesamtausgabe seiner Schriften plante, zusammen mit dem Strafrechtler Herbert Jäger. Dann stand dort in der Biographie weiter:

"Sie (d.h. die Herausgabe der Schriften) kam jedoch nicht zustande, da Jäger die wissenschaftliche Bedeutung der Schriften Fritz Bauers für überholt hielt"(16). Diesen Satz musste ich mehrmals lesen - ich konnte es kaum glauben.

Wer war dieser Herbert Jäger? Nach Wojak ein Strafrechtler, der viele Jahre Professor für Strafrecht und Kriminalpolitik in Frankfurt und Gießen war und sogar zu Bauers 90.Geburtstag einen Gedenkbeitrag verfasst hatte (17).

Wie war es möglich, dass ein Professor aus dem Umfeld von Bauer quasi zu dessen "Beerdigung" beitrug, dass er die Bedeutung seiner Gedanken gar nicht erfasste und eine so engagierte Frau wie Ilse Staff blockierte? Wenn man die Begründung liest, die Herbert Jäger hierzu gab, verschlägt es einem die Sprache:

"Der Zeitablauf hat es deutlich gemacht. Die Wirkung Bauers war an seine Person gebunden. Ein Wissenschaftler war er nicht. Seine Schriften vermögen kaum noch einen Eindruck von seiner Persönlichkeit zu vermitteln. Die Bücher, zahlreiche Aufsätze (...), Vorträge (....) sind nur von zeitgebundener Bedeutung, sein Hauptwerk 'Das Verbrechen und die Gesellschaft' (1957) (...) ist mit seinem Empirismus heute wissenschaftlich überholt (...) Wer von seiner Menschlichkeit eine Vorstellung gewinnen möchte, bleibt auf weniges angewiesen. Sein Beitrag 'Im Kampf um des Menschen Rechte'  aus dem Jahr 1955, der wohl persönlichste Text, den es von ihm gibt und in dem man ihm am unmittelbarsten begegnet, gehört für mein Empfinden auch heute noch zum Bewegendsten, was er geschrieben hat." (18)

Dies hat Herbert Jäger 1993 in dem Text "Erinnerungen an Fritz Bauer" geschrieben. Unfassbar. Ist es Engstirnigkeit eines Professors,  Naivität oder Ignoranz? Immerhin hatte Jäger 1969 trotzdem einen kleinen Band mit vier Aufsätzen von Fritz Bauer unter dem Titel "Vom kommenden Strafrecht" herausgegeben. Aber mehr nicht.

Hängt das Vergessen von Bauer auch gerade mit solchen Menschen zusammen? Menschen aus dem Umfeld von ihm, die die Bedeutung seiner Persönlichkeit und seiner Gedanken gar nicht erkannten? Liegt es nicht nur an den Gegnern von Fritz Bauer, sondern auch an der Kurzsichtigkeit und der geringen Unterstützung scheinbar befreundeter Persönlichkeiten?

Schriften von Bauer sind kaum zugänglich...
Solche Fragen begannen mich immer mehr zu beschäftigen. Und nun gab es hier in Wolfenbüttel einen Vortrag eines Menschen, der wirklich Texte von Bauer veröffentlicht hatte. Doch auch mit dem Buch "Die Humanität der Rechtsordnung" schien es etwas Besonderes auf sich zu haben. Das Buch, das Perels und Wojak herausgegeben hatten, war in der wissenschaftlichen Reihe des Fritz Bauer Institutes erschienen, aber es war nicht im normalen Buchhandel erhältlich. Man konnte es nur über die Versandbuchhandlung des Fritz Bauer Institutes, der Karl-Marx-Buchhandlung in Frankfurt, erhalten. Zum Glück hatte ich einige Monate vorher das "Bulletin" des Fritz Bauer Institutes von einem Freund zugeschickt bekommen - so hatte ich von dieser Versandbuchhandlung erfahren - und konnte mir so das Buch zuschicken lassen

Nun kann es sein, dass ein Institut seine Bücher nur über eine spezielle Buchhandlung verschicken lässt, im Grunde es ja legitim. Aber hier ging es doch darum, Fritz Bauer, dessen Gedanken und Texte bekannter zu machen und in die Öffentlichkeit zu tragen. Da schien mir dieser Weg nicht angemessen zu sein.

Zu welchen Umständlichkeiten und Schwierigkeiten dies führen konnte, wurde mir daran deutlich, als ich gerade dabei war, ein Faltblatt über den "Freundeskreis Fritz Bauer"  zu erstellen. Es sollte allgemeine einführende Infos zu Fritz Bauer mit Hinweisen auf aktuelle Webseiten und Bücher über ihn enthalten. Ich wollte es für den Vortragsabend mit Herrn Perels fertigstellen sowie für die Jahresversammlung von amnesty international, die am darauf folgenden Wochenende in Köln stattfinden sollte. Und das einzige Buch, in dem es Originaltexte von Fritz Bauer gab, war nicht direkt zugänglich. Unter Amazon im Internet konnte es man nur "antiquarisch" finden und das zu dem unglaublichen Preis von 97,50€  (in der Versandbuchhandlung kostete es 24,90€). Auf dem Infoblatt hätte ich somit nicht nur den Titel des Buches angeben müssen, sondern noch auf den besonderen Weg hinweisen müssen, wie man es überhaupt bekommt.

Wie kann Fritz Bauer so öffentlich bekannt werden? Es war also nicht nur umständlich und schwierig, Bücher von Bauer zu bekommen. Selbst die Biographin Irmtrud Wojak schien auch angesichts der Gedenkschrift von Herbert Jäger entmutigt gewesen zu sein: "War unter diesen Voraussetzungen überhaupt an eine Biographie Fritz Bauers zu denken, woher das Material dafür nehmen? Würde der Jurist überhaupt als die historische Persönlichkeit, die er ohne Zweifel war, erkennbar werden? War sein Denken tatsächlich bereits überholt?"(19)

Eine Ausnahme schien für sie der Jurist Rudolf Wassermann zu sein, der von 1971- 1966 Oberlandesgerichtspräsident in Braunschweig war.

Die Disziplinarverfahren von Wassermann gegen Helmut Kramer
Rudolf Wassermann "bezeichnete den von Bauer 1951/52 konzipierten Remer-Prozess  als Meilenstein der juristischen Zeitgeschichte. 'Ohne den Respekt vor der Würde eines jeden Menschen seien für Bauer menschliche Gemeinschaft, Friede und Gerechtigkeit auf der Welt nicht denkbar'."(20) Und Frau Wojak zitiert Wassermann weiter: Das Gesicht Bauers gleiche einer "uralten Landschaft. Es war geprägt von Leid und Verfolgung, verriet Güte, Energie und Kontemplation.(...) Ein streitbarer Mann, wirkte er wie ein Prophet des Alten Testaments...." (21).
Was sie nicht erwähnt, ist, dass andererseits  Rudolf Wassermann im Rahmen der "Puvogel-Affäre" ein Disziplinarverfahren gegen den Richter und Fritz-Bauer-Kenner Helmut Kramer veranlasst hatte. Puvogel war 1976 zum niedersächsischen Justizminister berufen worden und hatte in der NS-Zeit eine Dissertation über die Notwendigkeit der "Ausmerzung rassisch minderwertiger" Menschen  geschrieben.
"Kramer wurde auf dessen Dissertation über die Notwendigkeit der „Ausmerzung rassisch minderwertiger“ Menschen aufmerksam. Als das 1978 bekannt wurde und Puvogel, anstatt sich zu distanzieren, auf seinen Thesen von 1937 beharrte, wurde Kramer aktiv. Er verschickte Auszüge aus der Dissertation kommentarlos an einige Richterkollegen. Puvogel trat zwar zurück, aber der Braunschweiger Oberlandesgerichtspräsident leitete ein förmliches Disziplinarverfahren gegen Kramer ein, der „seine Pflicht zu einem achtungswürdigen Verhalten gegenüber einem Dienstvorgesetzten verletzt“ habe. Mit einer Dienstpflichtverletzung in den Papieren wurde Kramer in einen Zivilsenat versetzt."(22)
Der Oberlandesgerichtspräsident war Rudolf Wassermann. Das heißt, eine der wenigen Personen, die sich positiv zu Fritz Bauer äußerten, handelten in praktischer Hinsicht genau entgegengesetzt. Helmut Kramer hatte dann später u.a. auch für sein Handeln in der "Puvogel-Affäre" den Fritz-Bauer-Preis 2010 erhalten. Dafür erhielt er damals durch Wassermann ein Disziplinarverfahren, das rein rechtlich nicht nötig gewesen wäre. Was ist nur los in der Justiz?

Da ich selber mit geistig behinderten Schülern arbeite und mich im Rahmen von amnesty international gegen die Verfolgung ethnischer Minderheiten einsetze, hätte ich auch Schwierigkeiten mit einem Justizminister gehabt, der einige Jahrzehnte  vorher Texte über die "Ausmerzung rassischer Menschen" geschrieben hat. Vielleicht hat da Herr Wassermann weniger Schwierigkeiten.

Ist das Fritz-Bauer-Institut nur Forschungsinstitut?
Aber zurück zu den Büchern von Fritz Bauer. Angesichts der geringen Zahl von Texten und Büchern, die man von Fritz Bauer erhalten kann, stellten sich mir verschiedene Fragen: Weshalb wurden keine weiteren Schriften von Fritz Bauer herausgegeben? Wäre es nicht die Aufgabe des Fritz-Bauer-Institutes, dieses zu tun? Oder wer sollte es sonst tun?

Im Fritz Bauer Institut gibt es außer dem Buch "Die Humanität der Rechtsordnung", das - wie oben erwähnt - von Joachim Perels und Irmtrud Wojak herausgegeben wurde - kein weiteres Buch mit Schriften von Fritz Bauer. Auch findet man leider auf der dortigen Homepage nicht viele Angaben zu der Biographie von Fritz Bauer - es sind eher die obligatorischen Angaben, wann und wo er gelebt hat.

Zum einen war es sicherlich sein Anliegen, die NS-Zeit aufzuarbeiten. Aber sein Impuls geht noch weit darüber hinaus. Er wollte die Werte der Menschenwürde und der Menschenrechte wieder in der Justiz verankern - dies wird m.E. noch zu wenig im Fritz Bauer Institut berücksichtigt.

Im Institut, das sich zur Aufgabe gesetzt hat, Dokumentationszentrum zur Geschichte und Wirkung des Holocaust zu sein - sind wichtige und interessante Forschungsprojekte angesiedelt - leider nur nicht zu Fritz Bauer selber. Vielleicht ist es überspitzt zu sagen, aber es wäre schön, wenn das Institut, dass so hochqualifizierte Forschungsprojekte hat, auch stärker an die Öffentlichkeit gehen würde - insbesondere auch was die Person Fritz Bauers und sein Wirken betrifft. Sonst bleibt der streitbare Jurist selber verschlossen hinter den Mauern einer exklusiven Wissenschaftsgemeinde, die bedeutende Beiträge hervorbringt, die aber nur einen Kreis ausgewählter Historiker erreichen.

Der Impuls von Fritz Bauer ist aber ein ganz anderer. Er war eben kein Wissenschaftler, sondern Mensch - einer, der als handelnder Jurist die Ideen der Humanität, der Menschenwürde und der Menschenrechte in die Gesellschaft tragen wollte. Es ging ihm um Werte und ihre konkrete Umsetzung, nicht um "wissenschaftliche" Texte.

Insofern wäre es schön, wenn sich das Fritz Bauer Institut auch einer Zusammenarbeit z.B. mit Nichtregierungsorganisationen öffnen würde, weitere Texte speziell von Bauer herausgeben und diese leichter zugänglich machen würde. Dem Fritz Bauer Institut käme dabei sicherlich eine bedeutende Rolle zu. Zur Zeit ist es gerade der Film "Tod auf Raten" von Ilona Ziok, der den Impuls von Fritz Bauer in weite Kreise der Gesellschaft trägt.

Fritz Bauer - nicht nur ein "historisches" Thema...
Aber zurück zur Veranstaltung mit Joachim .Perels in Wolfenbüttel. Schon nach wenigen Worten war seine Erfahrung und sein Wissen zu spüren - und seine Wertschätzung von Fritz Bauer. Und seine Fähigkeit, angesichts der Fülle des Materials sich auf das Notwendige zu beschränken, was für das Verständnis des anschließenden Fritz-Bauer-Filmes wichtig war. Auch in der Aussprache nach dem Film zeigte er sich engagiert und kompetent - für alle Anwesenden war dieser Abend ein tiefes Erlebnis. Und man spürte zugleich: Fritz Bauer - das war nicht nur "Geschichte", nicht nur ein "historisches" Thema - sondern er war hochaktuell.

Ich musste in diesem Zusammenhang auch an Argentinien denken und an die dortige Militärdiktatur von 1976-83. Über 30 000 "Verschwundene" hatte es gegeben. Viele von ihnen - und das war besonders perfide - wurden an Beton angekettet und aus Flugzeugen über dem Ozean abgeworfen; zahlreiche Leichen wurden später an Land angeschwemmt. Und wie lange hatte es gedauert, bis die Menschen im Land darüber sprechen konnten. Viele Angehörige waren wie gelähmt oder auch traumatisiert. Erst viele Jahre später begann das Sprechen darüber, schließlich setzten ab 2003/04 Kommissionen im Lande selber und auch außerhalb zur Aufarbeitung des Unrechts ein. Im Grunde erst 20 Jahre später. Ich konnte mich daran erinnern, wie im Frühjahr 2004 im Deutschen Reichstag in Berlin die ersten Fälle von Verschwundenen vorgestellt wurden, bei denen es sich um deutsche Staatsbürger gehandelt hatte. Wie lange dauern manchmal solche Prozesse des Erinnerns, bis man aus seinem Gefühl der Ohnmacht herauskommt. Ähnliches war ja auch in Chile und in vielen anderen Ländern geschehen.

Und in Deutschland? Immer wieder nur vergessen und verdrängen wollen? Manchmal kommt etwas an die Oberfläche, durchbricht das Schweigen und Verdrängen. Aber es muss dann auch gesellschaftlich getragen sein, sonst kann man sich wirklich, wie Bauer es ausdrückt, "von Gott und Welt verlassen" fühlen.

Carl Schmitt - das Chamäleon
Zuletzt noch einige Worte zu Carl Schmitt, obwohl hier kein direkter Bezug zu Braunschweig vorliegt. Aber ich bin durch Fritz Bauer auf ihn gestoßen. Neben dem Staatssekretär Heinz Globke und Hermann Weinkauff, dem ersten Präsidenten des Bundesgerichtshofes wirkte auf Bauer im Hintergrund auch eine andere suspekte und schillernde Person, das "Chamäleon" Carl Schmitt, wie es Reinhard Mehring in einem Aufsatz nennt. (23) Der sogenannte Verfassungsrechtler und "Kronjurist" des 3.Reiches war selbst für Robert M.W.Kempner (24) in den Nürnberger Prozessen nicht fassbar.  "Wegen was hätte ich den Mann anklagen können? Er hat keine Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen, keine Kriegsgefangenen getötet und keine Angriffskriege vorbereitet." (25)

In einem Text von 1960 äußerte Fritz Bauer sein Unverständnis darüber, dass "die tonangebenden und maßgeblichen deutschen Staatsrechtler von heute, Ernst Forsthoff und Werner Weber" in einer Festschrift für Carl Schmitt 1959 ein Denkmal errichten konnten. (26) Diesem Mann, der das Recht selber außer Kraft gesetzt hat ("Der Wille des Führers ist Gesetz." ). Gegen diesen Geist bzw. Ungeist musste Bauer kämpfen, ein Geist, der aus den 30iger Jahren nachwirkte bis in die 50er und 60er Jahre.

Merkwürdig ist nur die Ausstrahlung und die Wirkung, die dieser "Verfassungsrechtler" - selbst bis in linke  Kreise (27) - hatte. Und dass es zur Zeit eine Art Renaissance von ihm zu geben scheint, insbesondere in den politischen Wissenschaften und der Publizistik. Trotz seines Rufes als "Kronjurist des 3.Reiches" und seines vielfach dokumentierten Antisemitismus wird er auch zunehmend international rezipiert. (28). Man kann es sich kaum vorstellen, aber er scheint neben Martin Heidegger und Max Weber zu den weltweit am meisten gelesenen deutschen Denkern des 20.Jahrhunderts zu gehören.(29)

Weshalb äußerte gerade Fritz Bauer seinen Unmut über die Festschrift zu Carl Schmitt. Ich wollte dem nachgehen und stieß auf die auch im Jahr 2009  erschienene Biographie über Carl Schmitt von Reinhard Mehring (im selben Jahr war auch die Biographie von Irmtrud Wojak über Fritz Bauer erschienen). Die Biographie von Mehring ist ein Monumentalwerk und wird sicherlich schon bald zur Standardliteratur über Carl Schmitt  gehören. Aber beim Lesen wunderte - ich konnte zum Teil nur mit Widerwillen lesen. Was für ein Mensch, was für ein Charakter! Ein Mensch, der fast nur aus negativen Merkmalen zu bestehen schien: geltungssüchtig, intrigant, kleinbürgerlich, lässt "Freunde" fallen, wenn sie ihm keinen Vorteil mehr bringen und vieles andere mehr.

Genauso hatte ich mir die Hauptperson aus dem Buch "Der Untertan" von Heinrich Mann vorgestellt, das ich mir vor einiger Zeit gekauft, aber noch nicht gelesen hatte. Nur das Problem war, dass dieser Mann mit seiner "Verfassungslehre" eine so enorme Bedeutung für das 3.Reich hatte. Ich stellte mir die Frage, wie es möglich  war, dass er damals bei so vielen Menschen mit seiner Philosophie des Untertanen so viel Erfolg haben konnte. Sicherlich wäre hier auch eine psychologische Untersuchung angebracht, die insbesondere auch seine Leser betrifft. Sind auch seine "Rezipienten" typische Untertanen im Sinne Heinrich Manns? Begriffe wie Menschenwürde oder Menschenrechte tauchen bei Carl Schmitt gar nicht auf Was bedeutet es, wenn heute solche Gedanken wieder auf Interesse stoßen?

Die Bedeutung von Fritz Bauer, seine Ideen und Handlungen, scheinen angesichts solcher Tendenzen nur noch wichtiger zu sein. Die Initiative in Braunschweig will dazu einen Beitrag leisten. Sie will informieren, aufgreifen und Partei ergreifen - für die Seite der Menschrechte und der Menschenwürde, ganz im Sinne Fritz Bauers.

 

Anmerkungen:

1. Näheres über die Abschiebung ist auf der Webseite des Niedersächsischen Flüchtlingsrates 
    zu finden (www.nds-fluerat.org) oder auf der Webseite www.forum-bioethik.de
2. Näheres dazu in dem Buch Jürgen Bevers:"Der Mann hinter Adenauer". Hans Globkes
    Aufstieg vom NS-Juristen zur Grauen Eminenz der Bonner Republik. Berlin 2009.
3. Von diesem Prozess führt auch eine Spur zum Eichmann-Prozess. Als nämlich ein blinder
    jüdischer Emigrant in Argentinien auf der Spur von Eichmann war, las er einen Artikel
    über den Remer-Prozess in einer argentinischen Zeitung und stieß dabei auf den Namen
    Fritz Bauer. Er nahm Kontakt zu Bauer auf und schrieb ihm einen Brief, in dem er auf den
    Aufenthaltsort von Eichmann hinwies. Bauer gab diesen Hinweis direkt an den israelischen
    Geheimdienst weiter, nicht an die deutsche Justiz, der er nicht traute. - Auch wurde im
    Remer-Prozess die Grundlage für die späteren Auschwitz-Prozesse (1963-65) gelegt, die
    Fritz Bauer später in seiner Tätigkeit als Generalstaatsanwalt in Frankfurt am Main führte.
4. siehe dazu: Claudia Fröhlich: "Wider die Tabuisierung des Ungehorsams". Fritz Bauers
    Widerstandsbegriff und die Aufarbeitung von NS-Verbrechen. Wissenschaftliche Reihe
    des Fritz Bauer Instituts, Band 13. Frankfurt 2006.
5. Henning Noske: "Warum der große Fritz Bauer in unserer Stadt immer noch keinen Platz
   hat", in:www.henningslot.posterous.com
6. Singer ist ein australischer Philosoph, Mitglied der dortigen Partei der Grünen, Co-Direktor
    eines Ethik-Institutes und Mitbegründer der Welttierrechtsbewegung, der in seinem Buch
    "Praktische Ethik" über Euthanasie schrieb und die Tötung schwerstbehinderter Säuglinge
    propagierte. Singer war weltweit bekannt, wurde aber besonders heftig in Deutschland
    kritisiert und seine Veranstaltungen hierzulande wurden boykottiert. Hier schien der
    Gedanke der Euthanasie und der Tötung Schwerstbehinderter von einer ganz anderen Seite
    zu kommen - nicht von der rechten Seite, wie man es erwartet hätte, sondern von einem
    Vertreter der utilitaristischen Philosophie, einer wichtigen  angelsächsischen
    philosophischen Strömung. Und diese Gedanken spielten in moderne Fragestellungen der
    Genforschung, Präimplantationsdiagnostik, Embryonenforschung usw. hinein. Verbunden
    waren damit weiterhin Fragen des Hirntodes, der Organtransplantation, der Sterbehilfe -
    Fragen, die um die Probleme kreisten, wann ist ein Mensch tot, wann ist ein Leben noch
    lebenswert.
    In diesen Jahren ging es in Deutschland gerade um ein neues Embryonenschutzgesetz.
    Hier wurde die Diskussion besonders erbittert geführt wegen der Erfahrungen mit der
    früheren "Euthanasie" in der NS-Zeit. Weitere Informationen hierzu sind auf der Webseite
    des Vereins unter www.forum-bioethik.de zu finden
7. Thomas Harlan ist der Sohn von Veit Harlan, der den berüchtigten Propagandafilm "Jud
     Süß" gedreht hatte. Thomas Harlan hat deutlich Abstand von seinem Vater genommen.
     Zwischen Fritz Bauer und Thomas Harlan und dessen Familie bestand ein guter und
     regelmäßiger Kontakt. Mehrfach waren sie auch gemeinsam in Urlaub gefahren. Thomas
     Harlan hatte Fritz Bauer sogar angeboten, dass er im Alter in einem seiner Häuser in der
     Schweiz wohnen und leben könnte.
8.  Diesen Brief hat mir freundlicherweise Ilona Ziok zugesendet.
9.  Vgl. Wojak, S.429
10. In der öffentlichen Wahrnehmung ist natürlich der Auschwitz-Prozess viel stärker
      wahrgenommen wurden. Und als Einschnitt für die aktive Aufarbeitung wird allgemein
      das Jahr 1958 angesetzt, in dem der Ulmer Einsatzgruppenprozess und die Einrichtung
      der Ludwigsburger Zentralstelle zur Aufarbeitung des NS-Unrechtes stattfanden.
11. siehe dazu auch die Webseite www.uebermut.de
12. Zum Beispiel: "Im Kampf um des Menschen Rechte" Fritz Bauer, 1955)
13. siehe dazu www.buergerforum2011.de
14. siehe Wojak, S. 97
15. Bauer, zitiert nach Wojak S.98
(16) Wojak, S.23
(17) Herbert Jäger: Erinnerung an Fritz Bauer, in: Strafverteidiger, Nr.7 (1993), zitiert nach
        Wojak, S.514
(18) Jäger (1993), zitiert nach Wojak, S.23
(19) Wojak, S.24
(20) Wassermann: Fritz Bauer (1903-1968), zitiert nach Wojak, S.24
(21) a.a.O. S.24
(22) Frauke Höbermann: Ein Unbeugsamer. Gedenkrede zum 80. Geburtstag für Helmut
       Kramer anlässlich der Verleihung des Fritz Bauer Preises am 9.10.2010
       (aus: Betrifft JUSTIZ  Nr.103, September 2010/ www.justizgeschichte-aktuell.de )
(23) Reinhard Mehring: Wie fängt man ein Chamäleon? Probleme und Wege einer Carl-
       Schmitt-Biographie. In: Zeitschrift für Ideengeschichte. III/2 (2009), S.71-86
(24) Robert M.W.Kempner war einer der Chefankläger in den Nürnberger Prozessen
(25) Kempner, zitiert aus: www.wikipedia.org/wiki/Carl_Schmitt
(26) Fritz Bauer: Die "ungesühnte Nazijustiz" (1960), In : Fritz Bauer: Die Humanität der
       Rechtsordnung. Hrsg von J.Perels/ I.Wojak. Frankfurt.1998. S.131
(27) siehe www.wikipedia.org/wiki/Carl_Schmitt
(28)  a.a.O. S.33
(29) siehe Klappentext zum Buch von Reinhard Mehring: Carl Schmitt. Aufstieg und Fall.
       Eine Biographie. München. 2009.

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