Schriftenreihe des "Freundeskreises Fritz Bauer" Heft 4: Menschenrechte
1.Widerstandsrecht und Menschenrechte 2. Fritz Bauer und der Kampf gegen Straflosigkeit 3. Fritz Bauer und das Vergeltungsstrafrecht 1.Widerstandsrecht und Menschenrechte "Widerstand bedeutet Eintreten für eigne oder fremde Menschenrechte, die vorenthalten, verletzt oder gefährdet werden". 1962 ist das Jahr vor dem Auschwitz-Prozess (1963-1965). Es ist auch ein Jahr nach der Gründung der "Humanistischen Union" im Jahr 1961, an der Fritz Bauer wesentlich mit beteiligt war. Und etwa seit drei Jahren liefen seine Ermittlungen gegen NS-Juristen und gegen Verantwortliche der Euthanasie-Aktionen (seit 1959). Widerstand ist einer Zentralbegriffe von Fritz Bauer, die sein Denken und Handeln prägten. Und wie in dem obigen Zitat zu sehen ist, ist es für ihn eng mit dem Eintreten für Menschenrechte und im weiteren Sinn auch für Menschenwürde verbunden. 1961 wird amnesty international gegründet Grundlage für amnesty international ist die Erklärung der Menschenrechte, die am 10.Dezember 1948 von den Vereinten Nationen verabschiedet worden ist. Diese Erklärung der Menschenrechte hat eine lange Tradition, in der sicherlich das Jahr 1776 in Amerika und die Französische Revolution von 1789 eine besondere Rolle spielen. 1961 entsteht auch die Humanistische Union in Deutschland "Im Mittelpunkt steht für uns die Achtung der Menschenwürde. Wir engagieren uns für das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und wenden uns gegen jede unverhältnismäßige Einschränkung dieses Rechts durch Staat, Wirtschaft und Kirchen."(2) Sicherlich unterscheiden sich die Humanistische Union und amnesty international in ihrem konkreten Handeln, die Grundmotive sind aber durchaus vergleichbar. Amnesty international geht es um die Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen und die Bestrafung der Täter, man arbeitet u.a. gegen Folter, Todesstrafe, politischen Mord und Verschwindenlassen von Menschen. Auch das spielt bei Fritz Bauer eine Rolle. Nun ist er in erster Linie mit der Aufarbeitung der NS-Verbrechen beschäftigt. Sein Ansatz geht aber weit darüber hinaus. Allerdings findet er in Deutschland ein völlig anderes Umfeld vor als Peter Benenson seinerzeit in England. Deutschland befindet sich noch in der Adenauer-Ära, in der in den 50iger Jahren Hans Globke im Bundeskanzleramt und Hermann Weinkauff am Bundesgerichtshof wesentlich das politische und juristische Geschehen prägen - mit den Nachwirkungen weit in die 60iger Jahre hinein. Menschenrechtsimpulse haben es in dieser Zeit in Deutschland nicht leicht. Fritz Bauer geht es dabei zum einen insbesondere um die "Humanität der Rechtsordnung", verbunden mit zahlreichen Vorschlägen zur Strafrechtsreform, aber darüberhinaus auch um eine konkrete Verfolgung der NS-Verbrechen, wobei sich die Anliegen von ihm und von ai in einem Punkt treffen: es geht gegen die Straflosigkeit von Menschenrechtsverletzungen und für das Eintreten für Menschenrechte. Gerade der Begriff der Straflosigkeit spielt hier eine besondere Rolle. Das Jahr 1215 In einem weiteren wegweisenden Aufsatz von 1962 äußert sich Fritz Bauer dazu folgendermaßen (3): "Ihre bedeutendste Formulierung fanden Widerstandsrecht und Widerstandspflicht im Sachsenspiegel: 'Der Mann muss auch seinem König, wenn dieser Unrecht tut, widerstehen und helfen, ihm zu wehren in jeder Weise, selbst wenn jener sein Verwandter oder Lehnsherr ist. Damit verletzt er seine Treuepflicht nicht.' Der Sachsenspiegel stammt aus dem Jahr 1215. Es ist das Jahr der Magna Charta, die ihrerseits das Widerstandsrecht der englischen Barone geregelt hat. England und die ganze demokratische Welt blicken stolz auf das Jahr 1215. Deutschland, dessen Demokratie bisher historische Markensteine zu entbehren schien, hätte allen Anlass, seines Jahres 1215 zu gedenken, in dem Eike von Repgow dem Selbstbewusstsein und der Selbstverantwortung deutscher Menschen ein Denkmal setzte. Der Sachsenspiegel hat zwar nicht wie die Magna Charta Schule und Geschichte gemacht, er ist aber doch ein auch noch in unsere Zukunft weisendes Zeichen demokratischer Mündigkeit." (Hervorhebung von U.D.) Fritz Bauer führte im weiteren aus, dass das Widerstandsrecht germanisch sei. "Es ist dem demokratischen Denken und Handeln der Germanen zu danken. Was wir nicht im Corpus Juris finden, steht unter anderem in der Edda, deren Volksversammlungen und Gesetzessprecher mit ihren Herrschern wie mit 'Schweinehirten' umsprangen."(4) Widerstand gab es zwar auch in Rom, z.B. tötete Brutus den Cäsar. "Aber ein Widerstands-recht oder eine Widerstands-pflicht waren dem Imperium Romanum, dem Weltreich der Cäsaren fremd." (5) Mittelalter und Widerstandsrecht In der Bibel gibt es in Hinblick auf den Staat bzw. die Obrigkeit sehr unterschiedliche Sichtweisen, die z.T. gegensätzlich sind und sich gegenseitig ausschließen. Zum einen ist da das Pauluswort, nach dem jedermann der Obrigkeit , die Gewalt über ihn hat, untertan sein sollte, denn es "ist keine Obrigkeit ohne Gott". Die entgegengesetzte Auffassung findet man in dem Satz der Apostelgeschichte "Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen". Schließlich gibt es noch die Kompromissformel im Markusevangelium: "Gebt dem Cäsar, was des Cäsars ist, und Gott, was Gottes ist". - Die katholische Kirche hatte dann eine "Tyrannenlehre" (mit Bezug auf Cicero) entwickelt und bezog das Widerstandsrecht damit auf einen "Tyrannen", denn der Tyrann sei nicht Obrigkeit, sondern nutzte den Staat für sich aus. "Insofern war das germanische Widerstandsrecht von der katholischen Kirche rezipiert. In einem wichtigen Punkt nahm sie jedoch eine Änderung vor. In Abweichung von dem germanischen Widerstandsrecht, das demokratisch jedem Freien zustand, wurde das Widerstandsrecht der Kirche aristokratisch ausgestattet. Es wurde den 'majores' oder 'meliores' anvertraut, womit in erster Linie der Klerus gemeint war. Diese Einschränkung ist auch für die heutige Diskussion noch von Belang; sie wird in der katholischen Diskussion, aber auch in protestantischen Kreisen ... vertreten."(7) In anderer Form taucht die Form einer Einschränkung des Widerstandsrechts auch in den 50er Jahren bei Hermann Weinkauff, dem Präsidenten des Bundesgerichtshofes, auf. Protestantismus und Widerstandsrecht Erst nach dem Zusammenbruch des NS-Staates gibt es hier wieder eine neue Diskussion. Der Bezug zu Luther ist dabei nicht ganz einfach. Immerhin spielt das Berufen auf das Gewissen eine wichtige Rolle. Auch der Satz aus der Apostelgeschichte "Du sollst Gott mehr gehorchen als den Menschen" taucht in zahlreichen Variationen bei ihm auf. Luther kennt den Ungehorsam, den passiven Widerstand. Einen aktiven Widerstand sah er nur für den Fall einer völligen Pervertierung des Staates. Widerstandsrecht in England und Amerika "Heimstätte des Widerstandsrechts wurde in der Folge England und dann Amerika. Die Magna Charta schuf einen Widerstandsausschuss von 25 Baronen, aus dem sich das Unterhaus und die englische Demokratie entwickelte." (9) Die amerikanischen Staaten haben dann die Menschenrechte konstituiert - das Widerstandsrecht gehörte dazu. Massachussetts drückte es 1775 mit folgenden Worten aus: "Widerstand ist weit davon entfernt, verbrecherisch zu sein. Es ist christliche und soziale Pflicht eines jeden." (10) Widerstandsrecht in Deutschland Immer wieder kritisiert Fritz Bauer Kant und Hegel. Ethisches Handeln bedeute nach Kant Pflichterfüllung ohne Rücksicht auf Inhalt und Zweck des Tuns; ein Widerstandsrecht wird von Kant ausdrücklich bestritten. (12) Und "Hegel vergötzte den Staat, indem er die reine Staatsräson eines Macchiavellismus in den Bereich einer politischen Ethik erhob... Die Gegner der Staatsräson und seiner Machtphilosophie bezeichnete er als 'kannegießerndes Publikum, eine interesse- und vaterlandslose Menge, deren Ideal von Tugend die Ruhe der Bierschänke ist'. So lehrte er den Gehorsam gegenüber der Realität und die normative Kraft des Faktischen. Die Juristen zogen die Konsequenzen eines sturen Gesetzespositivismus.... Reichs- und Kammergericht folgten...Nach dem Kammergericht ist der 'Staat als höchste Rechtsmacht rechtlich an keine Schranken mehr gebunden'...Damit war Auschwitz von vornherein legalisiert. (13) Erst die Opposition im NS-Staat hat sich des Widerstandsrechtes erinnert. Fritz Bauer schreibt dazu: "Professor Kurt Huber hat im Schlusswort des Prozesses gegen die Geschwister Scholl nach Jahrzehnten, ja fast Jahrhunderten fast völligen Verschweigens eines Rechts oder einer Pflicht zum Widerstand die Grenzen jeder Staatsgewalt umrissen. ' Es gibt für alle äußere Legalität des Bürgers eine Grenze, wo sie unwahrhaftig und unsittlich wird. Legales Verhalten des Bürgers wird unsittlich, wenn es zum Deckmantel einer Feigheit wird, die sich nicht getraut, gegen offensichtliche Rechtsverletzungen aufzutreten." (14) Widerstand und Menschenrechte "Nicht jeder Kampf für ein neues - besseres oder schlechteres - Gesetz ist Widerstand. Widerstand meint Verwirklichung eigener oder fremder Menschenrechte. (hervorgehoben von U.D.) Widerstand ist ein Spezialfall der Notwehr oder - wenn Widerstand zugunsten Dritter ausgeübt wird - der Nothilfe. Er setzt einen Angriff oder Eingriff in Grundrechte oder ihre Vorenthaltung voraus. Da aber Menschenrechte keinen statischen Inhalt ein für allemal haben, umfasst Kampf für sie nicht nur Widerherstellung eines früheren, verlorengegangenen Status, er kann auch einem Neuland gelten, das zu erobern ist." (15) Das Widerstandsrecht gilt für Fritz Bauer nicht nur im innerstaatlichen Bereich, sondern überschreitet auch die nationalen Grenzen. "Es steht nicht nur jedermann zu, sondern kann auch zugunsten von jedermann ausgeübt werden." (16) Beispiele sieht Bauer hier etwa in der "resistance" oder auch im Verhalten des General Osters, der die neutralen, auch durch Nichtangriffspakte geschützten Länder Dänemark, Norwegen, Belgien und Holland vor dem deutschen Angriff warnte (allerdings ohne dass seinen Informationen geglaubt wurde). Im weiteren erinnert Bauer auch an Gandhi oder den südafrikanischen Anti-Apartheids-Politiker und Friedensnobelreisträger Albert Luthuli. (17) Aber Bauer betont, "der große Widerstand im Unrechtsstaat bleibt nur möglich, wenn der kleine Widerstand gegen das Unrecht im staatlichen Alltag geübt und wie eine kostbare Pflanze gehegt und gepflegt wird". (18) Ein wichtiger Satz, den man durchaus beherzigen sollte. Und damit wirkt Fritz Bauer auch in die Zukunft hinein. Es ist einfach zu eng, Fritz Bauer nur im Zusammenhang mit den NS-Verbrechen zu sehen. Sein Impuls ging weit darüber hinaus. Zu empfehlen ist hierbei das Buch von Perels/ Wojak: "Die Humanität der Rechtsordnung", in dem zahlreiche Aufsätze von Fritz Bauer über Widerstandsrecht, Menschenrechte und eine humane Rechtsordnung erschienen sind. Es ist erhältlich über das Fritz Bauer Institut in Frankfurt a.M. (www.fritz- bauer-institut.de) ai und Humanistische Union Udo Dittmann, Braunschweig Anmerkungen:
2. Fritz Bauer und der Kampf gegen Straflosigkeit Straflosigkeit als Begriff ist eher neu. Zwar wurde schon immer davon gesprochen, dass Täter nicht straflos bleiben sollten, aber einen besonderen Stellenwert erhielt der Begriff eigentlich erst durch die Verwendung von Menschenrechtsorganisationen. Bei amnesty international spielt der Kampf gegen Straflosigkeit eine besondere Rolle. Nicht zuletzt durch das Erleben der Militärdiktaturen in Lateinamerika in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts, als viele der Folterer und der für Menschenrechtsverletzungen Verantwortlichen zunächst straflos blieben. Der Kampf gegen Straflosigkeit wurde ein zentrales Thema bei ai. In den 90iger Jahren bildete sich in der deutschen Sektion eine eigene KoGruppe (d.h. Koordinationsgruppe) dazu, die Fälle von Straflosigkeit untersucht und die Überwindung der Straflosigkeit bei Menschenrechtsverletzungen fordert. Dort heißt es u.a. in einem Flyer: "Gegen die Straflosigkeit von Menschenrechtsverletzungen Insbesondere in den 90er Jahren hat es hierzu wichtige Entwicklungen auf internationaler Ebene gegeben: Fritz Bauer und "Straflosigkeit" Während Bauer sich einerseits für ein reformiertes, liberales Strafrecht und einen Strafvollzug einsetzte, bei dem die Würde des Menschen im Vordergrund stand, war ihm darüberhinaus auch eine Aufarbeitung der deutschen Geschichte wichtig. "Er wusste, dass eine demokratische Gesellschaft und ein neuer deutscher Staat nur dann entstehen können, wenn die Menschen aus der Vergangenheit lernen. Dies bedeutete, Geschichte nicht zu verdrängen, sondern sich zu ihr zu bekennen, sich zu erinnern. Fritz Bauers Verdienst ist ganz wesentlich in seinem konsequenten Bemühen um die juristische Aufarbeitung mit den Verbrechen der Nazizeit zu sehen. Er wollte die Täter zur Rechenschaft ziehen, aber nicht nur die Ausführenden, die unmittelbar Handelnden, sondern auch die Schuldigen hinter den Schreibtischen, Planer, die Teilnehmer an den Konferenzen, schließlich auch jene, die die Tolerierung und Nichtverfolgung von grauenhaften Verbrechen verabredeten.".(3) Dabei ging es ihm um Gerechtigkeit, nicht um Sühne und Vergeltung. Ziel war die Überwindung der Straflosigkeit - insbesondere und vor allem bei NS-Verbrechen. Wie dies ablief, zeigte sich u.a. bei seinem energischen Handeln in Frankfurt. Die "Übernahmefreudigkeit" von Fritz Bauer "Im April 1959 hatte Fritz Bauer erwirkt, dass der Bundesgerichtshof nach §13a GVG Frankfurt für die Durchführung des Auschwitz-Verfahrens für zuständig erklärte. Das war nicht selbstverständlich. Der Tatort (Oswiecim/ Auschwitz) - lag außerhalb der deutschen Grenzen, und der erste Zugriff auf die in Rede stehenden Auschwitz-Täter war in Baden-Württemberg." (4) Wegen seiner "Übernahmefreudigkeit" (5) hatte Fritz Bauer mit Personalsorgen zu kämpfen und wurde auch von seinen Mitarbeitern in zunehmenden Maße verlassen. "Keine andere Strafverfolgungsbehörde im Bundesgebiet hatte damals eine solche Arbeitslast an NSG-Verfahren (6) zu tragen wie die Frankfurter Justizbehörden.... Die ungeheure Verfahrenslast musste bewältigt werden, ohne dass die für eine ausreichende Personalausstattung der Justizbehörden verantwortlichen politischen Stellen entsprechend reagierten."(7) Kurz nach der Übernahme des Auschwitz-Verfahrens im April 1959 kam Ende des Jahres ein neues Großverfahren hinzu. Prof.Dr. Werner Heyde, der Leiter der medizinischen Abteilung der KdF (Kanzlei des Führers) und Verantwortliche der Euthanasie-Aktion unter dem Tarnnamen "Aktion T4", hatte sich selbst am 12. November 1959 in Frankfurt gestellt. In dem Zusammenhang mit diesem Verfahren gegen Heyde folgten nun die weiteren Verfahren gegen das Personal der "Aktion T4" (d.h. gegen Ärzte und Pfleger) sowie das Verfahren gegen die Juristen, die den Anstaltsmord juristisch deckten, d.h. insbesondere gegen die Teilnehmer der Konferenz vom 23./ 24. April 1941, deren Vorsitz der Staatssekretär Prof. Dr.Schlegelberger hatte. "Verständnis für seinen Wunsch, gegen die hochrangigen Juristen in Hessen ein Verfahren einzuleiten, konnte Fritz Bauer um so weniger erwarten, als die Zuständigkeiten der hessischen Strafverfolgungsbehörden durchaus nicht auf der Hand lag. Zwar kann auch der sog. Tatort eine Zuständigkeit begründen (§7 StPO). Tatort waren u.a. der Konferenzort Berlin und die sechs "offiziellen" Tötungsanstalten, die es nicht nur im hessischen Hadamar, sondern mit der Anstalt Grafeneck auch in Baden-Württemberg gegeben hatte. Den Ausschlag geben konnte somit die wahlweise neben der Tatortzuständigkeit gegebene Wohnsitzzuständigkeit. (§ 8 StPO). Von den anfangs noch lebenden dreißig Beschuldigten wohnte aber kein einziger in Hessen. (Hervorhebung von U.D.) Für die Strafverfolgung erschienen also die außerhessischen Länder eher prädestiniert. So kam besispielsweise eine Übernahme durch die Staatsanwaltschaft in Flensburg in Betracht. In Flensburg lebte Staatssekretär a.D. Schlegelberger, der Leiter der Konferenz vom 23.April 1941." (8) Da es für viele Nachkriegsjuristen kaum denkbar erschien, die Elite der NS-Juristen als Mordgehilfen des NS-Staates anzuklagen, war eine Initiative der außerhessischen Staatsanwaltschaften unwahrscheinlich. Eine Strafverfolgung von Schlegelberger zum Beispiel wurde durch den Generalstaatsanwalt von Schleswig-Holstein sogar ausdrücklich mit der Begründung abgelehnt, "die deutsche Gerichtsbarkeit sei durch den mit den westlichen Alliierten geschlossenen sog. Überleitungsvertrag an einer Verfolgung Schlegelbergers gehindert, da dessen Beteiligung an der 'Aktion T4' Gegenstand des Nürnberger Juristenprozesses gewesen sei." (9) Problem der Verjährung Untätigkeit der außerhessischen Staatsanwaltschaften Das Vorgehen Fritz Bauers "In dieser schwierigen Situation suchte und fand Fritz Bauer den einzig gangbaren Weg: Einleitung eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren in Hessen mit der Erwartung, die hessischen Staatsanwälte durch alsbaldige Abgabe des Verfahrens an ein anderes Bundesland entlasten zu können, vielleicht sogar mit der Aussicht einer Rückübernahme des Verfahrens zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich wenn nach Beendigung des Auschwitz-Prozesses der Frankfurter Justiz neben den anderen 'Euthanasie'- Prozessen ein weiterer großer Prozess zugemutet werden konnte" (11) Helmut Kramer führt weiter aus: "Für die Verwirklichung dieses Plans benötigte er freilich einen außerhessischen Rückhalt. Diesen fand er nun ausgerechnet in dem Generalstaatsanwalt des Landes Schleswig- Holstein, Dr. Adolf Voss. In einer stundenlangen Besprechung zwischen Fritz Bauer, Adolf Voss und Generalstaatsanwalt Max Güde kam es am 2.Mai 1960 zu einer gütlichen Einigung. Darin hieß es unter anderem: Fritz Bauer leitete am 3. und 5.Mai 1960 im Ermittlungsverfahren gegen zunächst 29 Beschuldigte wegen Beihilfe zum Mord ein. "Durch die von Fritz Bauer beschleunigt erwirkte richterliche Vernehmung von Professor Heyde durch das Amtsgericht Frankfurt wurde die Verjährung rechtzeitig, vier Tage vor dem Verjährungsstichtag 8.Mai 1960, unterbrochen." (13) Lustlose Ermittlungen der Stuttgarter Staatsanwaltschaft Konnten die Ermittlungen endlich beginnen, musste er sich dann mit Konstruktionen von Strafrechtlern, Strafverteidigern und Richtern auseinandersetzen, die die Angeklagten entlasten sollten. Begrifflichkeiten wie "Verbotsirrtum" bei Pflegern und "Pflichtenkollision" bei Ärzten wurden ins Spiel gebracht. Verantwortliche für den Anstaltsmord sollten zum Beispiel nicht als Täter, sondern nur als Gehilfe qualifiziert werden. Man begann Sanktionsfreiheit zu fordern, wenn man als Täter einige Opfer rettete, während man viele andere getötet hatte usw. Die Entlastungsstrategien, die immer vorgebracht wurden, gab es waren zahlreich und können in diesem Rahmen nicht weiter ausgeführt werden. Was es kaum in juristischen Kreisen gab, war das Entsetzen über die begangenen Taten. Deutlich wurde das, als nach dem plötzlichen Tod von Fritz Bauer 1968 die Ermittlungen ab 1971 stillschweigend eingestellt wurden. Erst durch einen Aufsatz von Helmut Kramer im Jahr 1984 wurden Ermittlungen wieder aufgenommen. Überwindung der Straflosigkeit Das Beeindruckende bei Fritz Bauer ist dabei, dass er sich in seiner Vorgehensweise und der Argumentation auf die Begriffe "Vergehen gegen die Menschlichkeit", "Kriegsverbrechen" und "Völkermord" berief. Das waren Werte und Begrifflichkeiten, die nach dem Krieg von den westlichen Alliierten geprägt worden waren und ihren Niederschlag im sog. "Kontrollratsgesetz Nr.10" (KRG Nr.10) fanden. Die Gerichtsverfahren in den ersten Nachkriegsjahren hatten sich in den westlichen Zonen daran zu orientieren und ermöglichten so maßgeblich eine Verurteilung von NS-Kriegsverbrechern. - Genau das versuchten aber die deutschen Juristen - wenn möglich - zu verhindern. Sie wollten nach "deutschem Recht" urteilen, das diese Begrifflichkeiten nicht enthielt. Nach der Gründung der Bundesrepublik wurde dann schließlich die Rechtsprechung nach dem KRG Nr.10 abgeschafft - ein wesentlicher Schritt neben anderen, Straffreiheit für NS-Täter zu ermöglichen sowie ihre Rehabilitierung und Wiedereingliederung in die Gesellschaft der Bundesrepublik voranzubringen. Die Folgen waren gravierend. Gegen diesen Strom wandte sich Fritz Bauer - und wurde entsprechend angefeindet. Trotzdem erreichte er, dass zahlreiche Ermittlungen durchgeführt oder wieder aufgenommen wurden und die - wie im Fall der Auschwitz-Prozesse - auch zu Verurteilungen führten. Die Begrifflichkeiten und Werte des KRG Nr.10 waren ihm dabei immer wieder wichtig. Eigentlich hatte er schon Jahre vorher im Exil in Schweden an der Ausarbeitung ähnlicher Begrifflichkeiten gearbeitet und dies in einem Buch mit dem Titel "Die Kriegsverbrecher vor Gericht" im Jahre 1944 veröffentlicht. Im Grunde beschreibt er da schon die Tatbestände, die dann im KRG Nr.10 formuliert werden. Das sind aber die Inhalte und Werte, die später Grundlage für die Rechtsprechung des Internatonalen Strafgerichtshofes werden - Werte, die u.a. Leitmotiv für moderne Menschenrechtsorganisationen wie amnesty international sind. Inzwischen bekennt sich auch die Bundesrepublik Deutschland zu diesen Werten; die Arbeit des internationalen Strafgerichtshofes und seine Prinzipien werden anerkannt. Auch die Arbeit von ai findet hierzulande eine hohe Akzeptanz. Wie anders sah es da noch nach dem Krieg aus, als man hier versuchte, diese Werte zu umgehen und in manchen Kreisen sogar als "Siegerjustiz" versuchte zu diffamieren. Es ist das Verdienst von Fritz Bauer, sich an diesen Werten zu orientieren. Er nahm sie in seinem Kampf gegen Straflosigkeit als Richtschnur - gegen den Widerstand vieler Berufskollegen. Inzwischen sind diese Werte anerkannt als wesentliches Fundament bundesdeutscher Justiz und Rechtsprechung. Mögen auch entsprechend die Handlungsweisen und Initiativen von Fritz Bauer Vorbild bleiben - gegen Untätigkeit, Gleichgültigkeit und Vergessen. Auch in unserer Zeit. Der Kampf gegen Straflosigkeit ist vielschichtig und hochaktuell - national wie international. Möge es daher viele Menschen wie Fritz Bauer geben - darunter auch Politiker und Juristen, die sich in dieser Weise für das Recht einsetzen. Bequem und einfach ist es nicht... aber unbedingt wichtig für eine demokratische Gesellschaft. Und dieses Feld kann nicht nur allein Menschenrechtsorganisationen überlassen werden...
Anmerkungen:
3. Fritz Bauer und das Vergeltungsstrafrecht Und nun der Text über das Vergeltungsstrafrecht und Fritz Bauer:
Gegen das Vergeltungsstrafrecht Fritz Bauer schwebte eine Reform des Strafrechts vor, in der das traditionelle Vergeltungsstrafrecht überwunden werden sollte. Das Vergeltungsstrafrecht hatte in der Vergangenheit die Strafgerichtsbarkeit bestimmt und fand nicht zuletzt in dem Bild von der Justitia mit verbundenen Augen und der Waage in der Hand seinen bildhaften Ausdruck. "Auge um Auge, Zahn um Zahn". Dieses Denken zieht sich durch die Kulturen hindurch und "letztlich wusste (auch) Kant über den Vergeltungsgedanken hinaus keine rechte Antwort auf die Frage, was Recht ist oder nicht". (1) In seinem Buch "Auf der Suche nach dem Recht" (2) und in zahlreichen anderen Aufsätzen untersucht Fritz Bauer diese Fragestellung. Angesichts der Tatsache, dass er es in seinen Prozessen mit NS-Tätern mit schweren und schwersten Menschenrechtsverletzungen zu tun hatte, kommt er zu erstaunlichen Ergebnissen: nicht um Vergeltung geht es ihm, sondern um individuelle Strafe. Um eine Vorstellung von dem zu erhalten, worum es Fritz Bauer dabei geht, möchte ich zwei Beispiele anführen, die er zwar selber an keiner Stelle erwähnt, die aber zu seinen Gedanken hinführen und diese etwas verständlicher machen können. Mozart und die "Zauberflöte" In diesen Worten kommt der Gedanke der Liebe zum Ausdruck, der die Rache überwindet. Der Täter, der gegen Gesetze verstoßen hat, soll wieder auf die rechte Bahn geführt werden. Vielleicht könnte man so die Ideen von Bauer zum Strafrecht bzw. zur Strafrechtsreform als den Versuch ansehen, die Kerngedanken Mozarts in praktisches Recht umzusetzen. Luther: Der "strafende" und der "gnädige" Gott Luther ist als junger Mensch erfüllt von der Angst vor dem "strafenden" Gott. Am 2.Juli 1505 hat er während eines Gewitters ein einschneidendes Erlebnis. Er hat solche Angst und Todesfurcht, dass er beschließt, Mönch zu werden. Hier zeigt sich bei Luther noch das christliche Verständnis des mittelalterlichen Menschen, das bestimmt ist von der Angst vor Hölle und Fegefeuer. "Luther hat furchtbare Angst vor dem jüngsten Gericht, vor dem strafenden Gott, der nach dem Tod über den Menschen Gericht hält... Kein Mensch auf Erden, denkt er, sei er auch noch so bemüht und rechtschaffen, werde je vor Gott bestehen können. Denn jeder Mensch sündigt, jeder Mensch hat Phasen in seinem Leben, in denen er sich gegen Gott entscheidet. Das bedeutet also, wenn Gott gerecht wäre, müsste der Mensch nach seinem Leben und seinen Taten in jedem Fall gerichtet und bestraft werden." (3) Als er später den "gnädigen" Gott entdeckt, ist das ein wichtiges und gravierendes Erlebnis für ihn. Es bedeutet für Luther, dass Gott größer ist, als nur gerecht zu sein, indem der Mensch auch durch Gnade erlöst werden kann. Das Vergeltungsstrafrecht - der Jurist als Buchhalter Erst am Ende des 19.Jahrhunderts wird der Vergeltungsgedanke in Frage gestellt und als Ziel des Strafrechts und des Strafvollzuges die Verbrechensverhütung angesehen. "Die Aufgabe ist, den Straffälligen wieder zu einem möglichst nützlichen Mitglied der menschlichen Gesellschaft zu machen." (5) Gegen Straflosigkeit In Hinblick auf eine Strafrechtsreform in Deutschland schlägt Fritz Bauer 1959 z.B. einen konkreten Katalog von Maßnahmen strafender, bessernder und sichernder Art vor, wobei das Gericht das Vorleben des Täters, seine persönlichen und sozialen Verhältnisse berücksichtigen sollte. (5) Im Grunde gilt dies auch für NS-Täter. Was Bauer aber nicht behagte, war eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft ohne Gerichtsverfahren. Sein Handeln war ein Kampf gegen das Vergessen. Dabei ging es ihm aber nicht um Rache und Vergeltung. Sein Ansatz war viel umfassender und gestand auch jedem Täter ein Grundrecht an Menschenwürde zu, um wieder positiver Teil der Gesellschaft werden zu können. Die Ablehnung der Todesstrafe war deshalb für ihn auch selbstverständlich. (6) U.D. Anmerkungen: |