Schriftenreihe des "Freundeskreises Fritz Bauer"
Texte über den ehemaligen Generalstaatsanwalt in Braunschweig und Frankfurt am Main
Fritz Bauer (1903- 1968)

Heft 2:

Wer war Fritz Bauer?
Einführende Texte über Fritz Bauer mit Hinweisen auf seine Biographie
und den Fritz Bauer Film von Ilona Ziok

1. Der große Jurist wirkte in Braunschweig
2. Auf der Suche nach dem Recht
3. "Fritz Bauer - Tod auf Raten" - ein Film von Ilona Ziok

 

1. Fritz Bauer – der große Jurist wirkte in Braunschweig

 Wer war Fritz Bauer? Eigentlich kennt ihn kaum noch jemand in Braunschweig, fast niemand – oder auch in Deutschland. Und das ist gerade das Eigenartige an ihm – denn sein Name steht für Gerechtigkeit in einem Maße, wie man es hierzulande kaum kennt.

Wann hat er eigentlich gelebt? Auch das weiß kaum jemand: es sind die Jahre von 1903 bis 1968.

Vielleicht kann man sich ein wenig an ihn herantasten, wenn man hört, dass Konrad Adenauer versucht hat, dass sein Staatssekretär Hans Globke nicht in das Visier von Fritz Bauer kam. Globke war Verfasser des Kommentars der Reichsrassengesetze von 1935 und wurde unter Adenauer Staatssekretär, der als „Graue Eminenz“ in wesentlicher Weise für den Aufbau der Bundesrepublik Deutschland verantwortlich war.

Aber nun zurück zu Fritz Bauer. Er war es, der den Auschwitz-Prozess in Gang setzte. Er gab den entscheidenden Hinweis über den Aufenthaltsort Eichmanns in Argentinien, und zwar direkt nach Israel, wodurch Eichmann gefasst wurde. Er hatte sich nicht an die deutsche Justiz gewandt, obwohl er Generalstaatsanwalt in Frankfurt war.

Wer war Fritz Bauer? 1903 wurde er in Stuttgart in einer deutsch-jüdischen Familie geboren.
Er studierte Jura und wurde mit 27 Jahren Deutschlands jüngster Anwalt. Er war Mitglied der SPD, kam ins KZ, konnte dann mit viel Glück nach Dänemark und später nach Schweden fliehen. Nach dem Krieg wollte er nach Deutschland zurückkehren. So kam er 1949 nach Braunschweig, war zunächst als Direktor am Landgericht und dann ab 1950 als Generalstaatsanwalt in Braunschweig tätig  (bis 1956).

Schon bald wurde er durch seine ungewöhnliche und entschiedene Haltung, NS-Täter zu verfolgen, bekannt – und zwar in einer Zeit des Schweigens und Verdrängens. Von den vielen Prozessen in Braunschweig erregte einer besondere – auch internationale – Aufmerksamkeit. Es war der „Remer-Prozess“.  Remer, Kommandeur des Wachbataillons „Großdeutschland“, hatte nach dem Krieg die Männer des 20.Juli als „Landesverräter“  bezeichnet und verhöhnt. Fritz Bauer erreichte in dem Prozess eine Verurteilung von Remer und eine Rehabilitation der Männer um Stauffenberg.

Nach den sieben Jahren in Braunschweig ging Fritz Bauer nach Frankfurt und war dort von 1956 bis zu seinem Tod (1968) als Generalstaatsanwalt tätig. Dabei kämpfte er gegen das große Schweigen und Vergessen fast als Einzelner gegen eine ganze Gesellschaft (wobei er durchaus gute Unterstützung in seiner Behörde sowie vom Ministerpräsidenten des Landes Hessen hatte). Mit einer Hartnäckigkeit verfolgte er Leute wie Eichmann, Mengele, setzte den Auschwitz-Prozeß (1963-65) in Gang und sorgte dafür, dass die dortigen Verbrechen in das allgemeine Bewusstsein der Öffentlichkeit kamen. Sein weiteres Ziel waren die Euthanasie-Prozesse gegen die beteiligten Ärzte und insbesondere die Juristen, die die rechtlichen Grundlagen für die Euthanasie-Morde gelegt hatten.

Obwohl er diese enorme Aufklärungsarbeit geleistet hatte, ist sein Name doch nur wenigen bekannt geblieben. Und obwohl er zahlreiche Werke und Aufsätze schrieb, die einen wesentlichen und für die deutsche Rechtsgeschichte fast revolutionären Beitrag lieferten, erhielt er kaum Ehrungen – er war und blieb ein einsamer Mensch, der sich in seinem Rechtsempfinden sehr deutlich von seiner ganzen Zeit unterschied. Sein Ziel aber war, dass in der Öffentlichkeit das Bewusstsein von dem Unrecht in der NS-Zeit nicht verlorenging – und das ist ihm gelungen.

Nun scheint man sich in neuer Weise auf Fritz Bauer zu besinnen. Ein Zeichen dafür ist sicherlich die neue – und längst überfällige Biographie über ihn von Irmtrud Wojak, die im Frühjahr 2009 im C.H.Beck-Verlag erschienen ist (34 Euro). Ein großartiges Buch, das spannend wie ein Krimi zu lesen ist und Einblick in das ganz eigene Leben dieses Menschen gibt. Fast wie ein Robin Hood, der in einer Weise für das Gute kämpft, wie es in der deutschen Geschichte nicht so häufig vorkommt.

Und seit 1995 gibt es auch das Fritz-Bauer-Institut, das seinen Sitz im IG-Farben-Haus (!) in Frankfurt hat. Es lohnt sich, diese Internetseite zu besuchen. Ein ungewöhnliches Institut, das sich mit der Aufarbeitung des NS-Unrechtes beschäftigt (www.fritz-bauer-institut.de ).

So ist es auch kein Wunder, dass der Name dieses Mannes lange Zeit fast vergessen war. Er rührte an die Wunden, das Unangenehme – in Deutschland ging es seit 1946 doch fast nur um das Verdängen, den Wunsch, endlich einen Schlussstrich zu ziehen und den Versuch, neu zu beginnen, ohne sich mit dem Alten zu beschäftigen. Die Versuche von Adenauer dazu bis zur unseligen Rede von Martin Walser in der Paulskirche von 1998... und dann ist da ein Mensch, der einfach nicht locker lässt, den es nicht gleichgültig ist, was mit den Opfern passierte...

So ist es erfreulich, dass das Andenken an diesen Menschen wieder beginnt – noch kennen ja  viele nicht einmal seinen Namen mehr. Aber er sollte in einer Reihe der Personen stehen, die wirklich Großes für das eigene Land geleistet haben. Auch Städte wie Tübingen, Stuttgart und Frankfurt beginnen sich langsam wieder auf ihn zu besinnen. In Stuttgart ist er geboren worden und aufgewachsen (dort ist jetzt auf Antrag der Grünen eine Straße nach ihm benannt worden), in Tübingen hat er viel Zeit in seiner Kindheit und Jugend bei den Großeltern verbracht und in Frankfurt gibt es jetzt das Institut mit seinem Namen.

Und in Braunschweig? Keine Erinnerung, kein Gedenken... Dafür hat er andererseits – außer den Prozessen – etwas Markantes in Braunschweig hinterlassen: An das Gebäude der Staatsanwaltschaft hat er in seiner eigenwilligen Art - und für jedermann sichtbar - den Spruch einmeißeln lassen: „Die Würde des Menschen ist unantastbar - sie zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“.  Das war ihm einfach ein Anliegen.

Damit dieser Satz nicht vergessen wird, sollte man auch das Andenken an diesen großen Mann wieder pflegen – der nach der unseligen Rolle Braunschweigs vor und im 3.Reich solche positiven und kraftvollen Akzente gerade hier wieder gelegt hat. Vielleicht wäre es schön, wenn auch hier eine Straße oder ein bedeutender Platz nach ihm benannt würde. Damit auch nachfolgende Generationen und vor allem auch junge Leute Kenntnis von diesem Menschen haben, der schon in den fünfziger Jahren einen Aufsatz schrieb mit dem Titel „Im Kampf um des Menschen Rechte“ (1955), als hier dieser Begriff der Menschenrechte noch wenig bekannt war. Nicht nur seine Handlungen wie in den Prozessen sind wegweisend, genauso seine Gedanken, die in vielen Aufsätzen und Büchern zum Ausdruck kommen. Mögen die Braunschweiger das Erbe dieses großen Menschen, der eine wichtige Etappe seines Lebens hier in der Stadt verbracht hat,, in angemessener Weise pflegen. 

Dabei fühlte er sich gerade auch wegen seiner jüdischen Wurzeln als Patriot, was später in den Kontakten zu Thomas Harlan (dessen Vater den unseligen Film „Jud Süß“ gedreht hatte), sehr deutlich zum Ausdruck kam. Thomas Harlan, der sich deutlich von seinem Vater abgegrenzt hatte, war immer wieder überrascht, wie sehr sich Fritz Bauer mit Deutschland verbunden fühlte und für das „positive“ Deutschland eintreten wollte, ein Deutschland, in dem menschliche Werte und Menschenwürde eine wichtige Rolle spielen.

Darüberhinaus ist es mir ein Anliegen, dass in Braunschweig eine Straße oder ein Platz nach ihm benannt wird. Wer diese Initiative unterstützen möchte, kann sich gern bei mir melden
Udo Dittmann, Große Str.9, 38116 Braunschweig, tel  0531- 57 69 42;
 udo.dittmann@t-online.de .

 

2. Auf der Suche nach dem Recht
Der Impuls des Fritz Bauer in Braunschweig

Zur Aufführung des Filmes „Fritz Bauer – Tod auf Raten“
am 11.Mai 2010 im Cinemaxx Braunschweig mit Ilona Ziok

Am 11.Mai wurde im Cinemaxx in Braunschweig der Film „Fritz Bauer –Tod auf Raten“ gezeigt. Die Filmemacherin Ilona Ziok war auch anwesend und stellte sich dem Publikum für Fragen zur Verfügung.

Nun, was war das Besondere an dem Film? Zunächst einmal, dass er fast ausverkauft war. Zum ersten Mal hatte ich für einen Film einen Platz reservieren lassen. Das heißt, dass immerhin in Braunschweig einige Personen schon etwas über Fritz Bauer wissen. Denn das ist ja das eigentlich Ungewöhnliche an ihm, dass ihn in Deutschland fast niemand mehr kennt,
obwohl er eine der bedeutendsten Personen der deutschen Nachkriegsgeschichte ist. Und das hängt mit der Verdrängung der deutschen Geschichte zusammen, zu der Historiker, Juristen, Politiker und auch Medien wesentlich beigetragen haben.

Aber nun zum Film: Frau Ziok wies darauf hin, wie schwierig es war, eine Finanzierung für den Film zu finden. Drei große deutsche Sendeanstalten waren nicht dazu bereit, schließlich übernahm der kleinste deutsche Sender, der Saarländische Rundfunk, einen Teil der Kosten. Auch bei der weiteren Vorbereitung des Filmes fand sie überraschend wenig Unterstützung.

Lag es daran, dass es um Fritz Bauer ging? Der Generalstaatsanwalt, der den Auschwitz-Prozess initiierte. Der dafür sorgte, dass Eichmann 1961 in Argentinien gefasst wurde, indem er den Tipp über dessen Aufenthaltsort an den israelischen Geheimdienst gab und nicht an die deutsche Justiz. Der in Braunschweig den Remer-Prozess führte, bei dem es um die Attentäter des 20.Juli ging. Durch ihn wurden diese und ihre Familien rehabilitiert, weil der Angriff auf einen Tyrannen kein Verbrechen sei, sondern eine notwendige Tat.

Der Film wirft auch neue Fragen auf. Zum Beispiel, ob Bauer eines natürlichen Todes starb. So beginnt der Film gleich mit dem ungewöhnlichen Tod von ihm; er starb in der Badewanne. Und es fand nur eine normale Obduktion statt. Normalerweise wird in solchen Fällen, insbesondere bei prominenten Opfern noch eine zusätzliche richterlich angeordnete Obduktion vorgenommen. Das ist in diesem Fall nicht gemacht worden, obwohl nicht eindeutig geklärt war, wie es passierte. Dabei hatte Bauer jahrelang zahlreiche Morddrohungen erhalten; immerhin trug er auch eine Pistole, die er wegen dieser Drohungen beantragt und erhalten hatte.

Der Film spielt ganz in den 50iger und 60iger Jahren, in denen Bauer zuerst in Braunschweig und dann in Frankfurt tätig war. Nur die Zeitzeugen berichteten aus der Gegenwart heraus rückblickend in diese Jahre bzw. die Personen, die dabei etwas über Fritz Bauer und seine Wirkung mitteilen konnten, z.B. auch der ehemalige spätere Braunschweiger Generalstaatsanwalt Herr Kintzi.

Markant ist auch, dass Fritz Bauer schon in den 50iger Jahren als Generalstaatsanwalt in Braunschweig (und später auch in Frankfurt) den Spruch in das Gebäude der Staatsanwaltschaft gegenüber dem Dom von Heinrich dem Löwen einmeißeln ließ: „Die Würde des Menschen ist unantastbar – sie zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt:“ Es ist ja der Satz, der 1961 zum Leitmotiv von amnesty  international wurde, als die Organisation in London vom dortigen Rechtsanwalt Peter Benenson gegründet wurde. Er hatte – als er von willkürlichen Verhaftungen in Portugal gehört hatte – einen Aufruf in Londoner Tageszeitungen gestartet und eine überraschende große Resonanz gefunden.                                 
Dieser Impuls hätte schon Jahre vorher von Braunschweig oder Frankfurt ausgehen können – durch Fritz Bauer. Stattdessen berichtete er – wie es in dem Film Ralph Giordano erwähnt – wenn er in Frankfurt sein Büro verlasse, sei er in „Feindesland“. Nur mit äußerster Mühe und Kraft und gegen viele Widerstände gelang es ihm, seine Prozesse erfolgreich durchzuführen – in einem Land, in dem man von Aufarbeitung und Wahrheit wenig hören wollte. So waren viele letztlich froh, als er gestorben war – wie sollte man es auch sonst erklären, dass ein Mensch in solcher Weise in Vergessenheit geraten konnte.
Sein nächstes geplantes Vorhaben, die Euthanasie-Prozesse durchzuführen, entfiel damit, niemand nahm seine Nachfolge ein. Selbst seine Bücher und Schriften gerieten in Vergessenheit, in denen er neue und auch für die Justiz ungewöhnliche Gedanken entwickelte und damit seiner Zeit weit voraus war. Und dabei fühlte er sich mit der Bundesrepublik Deutschland und seinen Gründungsimpulsen und Rechtsgrundsätzen eng verbunden. Er glaubte an das Recht.

Aber das Recht und auch die Menschenrechte sind eben nicht in Deutschland entstanden. Anders als in den westlichen Ländern mit einer demokratischen Tradition trat in Deutschland der Individualgedanke hinter dem Kollektivgedanken zurück. Der Versuch, die Würde des einzelnen Menschen – wie es im Grundgesetz verankert ist – auch in der Praxis umzusetzen, war nicht einfach. Man muss sich vorstellen, dass Adenauer genau den Mann zum zweitmächtigsten Mann im Staat nach sich machte, der als Kommentator der Nürnberger Rassengesetze die Ungleichheit  der Menschen als den eigentlichen Fortschritt der nationalsozialistischen Revolution erklärte: „Das rassische Denken des Nationalsozialismus bedeutet (...) die Abkehr von dem liberalistischen Grundsatz von der Gleichheit aller Menschen.“ (Stuckard, Globke: Kommentar zur Reichsrassengesetzgebung, 1936). Globke war durch Adenauer die graue Eminenz,  der als Staatssekretär für  viele zentralen Weichenstellungen in der jungen Bundesrepublik  verantwortlich war und wichtige Entscheidungen fällte, aber wegen seiner Vergangenheit im Hintergrund blieb. Auch er ist heute fast niemandem bekannt, jedoch aus ganz anderen Gründen.

Vielleicht gelingt es in der heutigen Zeit wieder, an den Geist des Grundgesetzes anzusetzen, dem Fritz Bauer sich so verbunden fühlte. Amnesty international wird 2011  50 Jahre alt und ist zur größten Menschenrechtsorganisation weltweit geworden. Vielleicht kann man sich dabei auch auf Fritz Bauer besinnen und sich wünschen, dass immer mehr Menschen solche Menschenrechtsimpulse aufgreifen. Vielleicht können dann von Deutschland aus auch positive Impulse ausgehen.

Der Film stellt einen wichtigen Beitrag dar, Fritz Bauer und seinen Anlegen dem Vergessen zu entreißen. Bei der Diskussion im Cinemaxx erwähnte die Filmemacherin Frau Ziok, dass es inzwischen auch eine Anfrage wegen einer möglichen Oskar-Nominierung im Bereich Dokumentarfilm gegeben hätte. Man würde es dem Film, der auch technisch gut gemacht ist und nicht den modernen History-Filmen á la Guido Knopp entspricht, wünschen. Und das damit seine Botschaft gehört wird, nämlich das „Recht“ zu suchen – auf der Grundlage der Würde jedes einzelnen Menschen, wie es Fritz Bauer auch in einem seiner Bücher in den 50iger Jahren schrieb („Auf der Suche nach dem Recht“)

Man sollte daran denken, was Deutschland ohne Menschen wie Fritz Bauer wäre. Man mag nicht daran denken. Er wollte den Opfern eine Stimme geben.
Wenn es darum geht, eine Straße oder Platz nach dieser Persönlichkeit in Braunschweig zu benennen – wie es auch im Publikum gefordert wurde – wäre es dann nicht naheliegend, den Platz vor der Staatsanwaltschaft nach ihm zu benennen, direkt neben der Burg und dem Dom Heinrich des Löwen? Welch ein moralischer Impuls – direkt im Herzen der Stadt.

Infos zum Film sind zu finden auf der Webseite: www.fritz-bauer-film.de

 

"Fritz Bauer - Tod auf Raten"
Filmbeschreibung aus dem Filmfestival "UeberMut" (www.uebermut.de )

„Nichts gehört der Vergangenheit an. Alles ist Gegenwart und kann wieder Zukunft werden“. Dieses Zitat spiegelt am besten wider, was den Juristen Fritz Bauer in den 1950er und 1960er Jahren bei der juristischen Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in Deutschland antreibt. Für ihn spielte die Justiz eine entscheidende Rolle beim Wiederaufbau der Demokratie. Als Generalstaatsanwalt rehabilitierte er die Widerstandskämpfer vom 20. Juli 1944 und initiierte den Frankfurter Auschwitzprozess. In der Bundesrepublik löste Bauer damit erstmals eine breite öffentliche Diskussion über den Holocaust aus. Die Dokumentation führt in eine Zeit, in der vor allem die ältere Generation in Deutschland die NS-Vergangenheit verdrängte. 1968 starb Fritz Bauer. Sein überraschender Tod ist bis heute ungeklärt.

 

Filmbeschreibung aus der Webseite des Filmes www.fritz-bauer-film.de
3. "Fritz Bauer - Tod auf Raten"
Ein Film von Ilona Ziok
Deutschland 2010, 97 Minuten, Format Digital Beta, Farbe & s/w 
Ein deutscher Staatsanwalt, der bei seinen Ermittlungen über NS-Verbrechen in die Netzwerke von Alt-Nazis gerät.
Das Psychogramm eines Aufrechten in den 60er Jahren und einer Nation, die von ihrer Vergangenheit nichts wissen wollte.
Deutsche Geschichte ganz nahe am Abgrund? 
Wir Emigranten hatten so unsere heiligen Irrtümer. Daß Deutschland in Trümmern liegt, hat auch sein Gutes, dachten wir. Da kommt der Schutt weg, dann bauen wir Städte der Zukunft. Hell, weit und menschenfreundlich. [...] Dann kamen die anderen, die sagten: „Aber die Kanalisationsanlagen unter den Trümmern sind doch noch heil!“ Na, und so wurden die deutschen Städte wieder aufgebaut, wie die Kanalisation es verlangte. [...] Was glauben Sie, kann aus diesem Land werden? Meinen Sie, es ist noch zu retten? [...] Nehmen Sie die ersten Bonner Jahre! Keine Wehrmacht! Keine Politik der Stärke! Nun betrachten Sie mal die jetzige Politik und die Notstandsgesetze dazu! Legen Sie meinethalben ein Lineal an. Wohin zeigt es? Nach rechts! Was kann da in der Verlängerung herauskommen?
Fritz Bauer
1903-1968

Aus: Gerhard Zwerenz: Gespräche mit Fritz Bauer. In: Streit-Zeit-Schrift VI,2,
Frankfurt a.M., September 1968, S. 89-93, hier S. 92f.
Fritz Bauer war wohl der profilierteste Staatsanwalt, den die Bundesrepublik je hatte! Er sah sich in der Tradition Gustav Radbruchs als „Jurist aus Freiheitssinn“, glaubte, dass „Unruhe die erste Bürgerpflicht“ sei und war davon überzeugt, dass der Bürger ein Widerstandsrecht gegen Willkürakte des Staates habe. Hierfür stritt er als als Generalstaatsanwalt von Niedersachsen in einem Aufsehen erregenden Prozess in Braunschweig (1952/53), in dem es um die rechtliche Legitimität des 20. Juli 1944 ging und in dessen Verlauf Bauer die Rehabilitierung der hingerichteten Verschwörer erreichte. Damit war er ein Pionier modernen „zivilgesellschaftlichen“ Denkens, aus dem das Rechtswesen nicht ausgenommen war.
Mit derselben Zielgerichtetheit mit der Fritz Bauer die Angehörigen des 20. Juli-Putsches rehabilitierte, hat er wie kein anderer Jurist die Aufhellung und Ahndung der NS-Verbrechen in Gang gesetzt. Als hessischer Generalstaatsanwalt (1956-1968) war er der maßgebliche Initiator der Frankfurter Auschwitzprozesse
Eine wichtige Rolle spielte Bauer auch bei der Ergreifung Adolf Eichmanns. Da er berechtigte Zweifel hegte, dass die deutsche Justiz nachdrücklich genug Eichmanns Auslieferung fordern und ihn konsequent wegen Mordes in vielen tausend Fällen anklagen würde, verriet er den Aufenthaltsort des berüchtigten „Buchhalters der Endlösung“ an den israelischen Mossad, damit Eichmann in Jerusalem vor Gericht gestellt werden konnte.
Während seiner Amtszeit in Frankfurt a.M. hat Bauer in Hessen als erstem Bundesland außerdem auch die Reform des Strafvollzugs vorangetrieben. Dessen Humanisierung gehörte für ihn zu einer humanen Gesellschaft.
Durch sein vielfach provozierendes Auftreten – so redete er einmal Strafgefangene mit „Meine Kameraden“ an – und durch seine Härte gegenüber NS-Verbrechern wurde Bauer im restaurativen Klima der Adenauer-Ära zur „Provokation für den Zeitgeist“, nicht nur der rechten und rechtsradikalen Kritik. Aufsätze und Reden mit Titeln wie „Mörder unter uns“ und „Am Ende waren die Gaskammern“ erregten auch beim bürgerlichen Publikum der 50er und 60er Jahre Anstoß. Antisemitische und politische Anfeindungen begleiteten das Leben des jüdischen Schwaben. So wie Kleinbürger und Bourgeoisie vor der Machtübergabe an Hitler die Gefahr nicht erkannt haben, die in ihrer Haltung lag (bzw. das, was sich abzeichnete, nicht als Gefahr betrachteten), so waren sie auch nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches nicht fähig, diese – nun in anderer Form wiederkehrenden – Zusammenhänge zu erkennen bzw. falls erkannt, als Gefahr zu begreifen. Der status quo ante bestimmte – mutatis mutandis – die Situation der jungen BRD. Indem sich Bauer dagegen wandte, dass sich die Gesellschaft in einer moralischen (und damit auch rechtlichen) Intransigenz einrichte, in der man die Vergangenheit auf sich beruhen lassen konnte, weil er darin keinen wirklichen Neuanfang sah, erntete er durchweg Ablehnung und Verweigerung gegenüber seinen Forderungen; von Seiten der Unverbesserlichen bis hin zu den strukturell Konservativen, Opportunisten und Beschwichtigern. Die Verbindung dieser Tendenzen definiert die Wissenschaft heute als das „Nachkriegssyndrom“. Dieses zu überwinden gelang Bauer nicht. Intrige, Sabotage und Rufmord begleiteten stets und von allen Seiten seine Arbeit. Erst im erheblich späteren Stadium der BRD-Geschichte stellte sich eine langsame Entmischung dieser verbundenen Tendenzen ein. Bauer war seiner Zeit zu weit voraus, seine rechts- und gesellschaftspolitischen Vorstellungen, auch die des internationalen Gerichtshofs stießen kaum auf Resonanz, das Klima war hierfür noch nicht reif. Die Unentschiedenheit der Gesellschaft im Hinblick auf ihre Vergangenheit, die Portionierung der bitteren Einsichten und ihre Streckung über Jahrzehnte, die darin liegende Selbstschonung vor dem Schock, den der Blick in den eigenen Abgrund hätte auslösen müssen, zeigen noch lange nach Bauers Tod wie sich die Gesellschaft selbst betrog.
Bauer zog sich immer mehr auf die Arbeit an seinen politischen Prozessen zurück. Seine Position in der Justiz beschrieb er als „Exil“ (vielleicht auch wegen des wieder mit Altnazis durchsetzten Apparats, aber auch mit vielen traditionell denkenden Juristen, die für die o.g. Kompromisse, fürs Lavieren und Intransigenz waren) und seine Umgebung immer mehr als „feindliches Ausland“.
Ein schwerer Schlag waren für Bauer schließlich die Notstandsgesetze, die die Frontstellung gegenüber extremistisch-terroristischer Gefahr markierten, wobei man damals nur an links dachte. Bauer sah die Notstandsgesetze als eine irreparable Wende zum autoritären Staat an, in dem sich die junge Demokratie unter dem Vorwand aufgab, sich selbst zu retten, wahrscheinlich konnte sie auch nicht anders, weil sie noch zu wenig Substanz hatte. Als im Mai 1968 schließlich die Dreher-Gesetze vom Bundestag verabschiedet wurden, bedeutete dies den Dolchstoß für Bauer.
Am 30. Juni 1968 wurde er tot in seiner Frankfurter Wohnung aufgefunden. Die Räume waren ‚aufgeräumt’, das heißt, es lagen nicht – wie sonst – überall angefangene Skripte und Materialien herum: Alles war weg. Die Umstände seines Todes geben bis heute Rätsel auf
Mit Akribie hat die Regisseurin Archive durchforscht und wegweisende Statements des hessischen Generalstaatsanwalts ausgegraben. Um sie herum montiert sie in Form eines filmischen Mosaiks Archivmaterial mit ausgesuchten Werken klassischer und zeitgenössischer Komponisten und die Aussagen von Bauers Zeitzeugen: Freunde, Verwandte und Mitstreiter. Dabei entsteht nicht nur die spannende Handlung eines beeindruckenden Lebens, sondern auch das eindrucksvolle Porträt eines der bedeutendsten Juristen des 20. Jahrhunderts.
© 2010 CV Films

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