Bericht zur Konferenz:


NS-"Euthanasie"-Verbrechen in europäischer Perspektive
vom 28. - 30. Januar 2013 in Berlin (Kleisthaus)

unter der Schirmherrschaft des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen

In der Veranstaltung waren insgesamt 170 Teilnehmer aus 20 Nationen angemeldet, dazu auch 28 Referenten aus fünf europäischen Ländern. Die Zahl der Anmeldungen war schon nach kurzer Zeit so hoch, so dass die Anmeldeliste früh geschlossen werden musste. Es zeigt, dass das Interesse an der Konferenz überraschend groß war, womit auch die Veranstalter nicht gerechnet hatten. Eine Nachfolgekonferenz erschiene daher sinnvoll, vielleicht auch in einem wesentlich größeren Saal. Das Kleisthaus in der Mauerstraße konnte nur diese begrenzte Zahl der Teilnehmer aufnehmen.

Das Kleisthaus selber ist ein relativ "historischer" Ort. Das Gebäude war im 3.Reich Sitz des Propagandaministeriums und Amtssitz von Goebbels. Heute ist dort der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung sowie das Bundesministerium für Arbeit und Soziales untergebracht.

1. Tag:
Montag, der 28.01.2013

Eröffnung:
Schirmherr Hubert Hüppe, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen
Hubert Hüppe (MdB/CDU) eröffnete die Konferenz mit einer kurzen Rede,, in der er u.a. auf den Beginn des systematischen Massenmordes im 3.Reich hinwies, der mit der Tötung Behinderter und Kranker 1939/40 angefangen hatte. Aber auch schon vorher habe es Opfer gegeben. Er wies darauf hin, dass im Grunde die Debatte um Kranken- und Behindertenmorde auch heute noch aktuell sei, natürlich in anderer Form und wesentlich verdeckter. Dazu brauche man nur in Internetforen zu schauen, insbesondere dort, wo man sich anonym äußern kann. Zum Teil werde dort noch ein regelrechter Hass auch auf Behinderte ausgedrückt.

Weitere Grußworte:

Prof. Barbara John, Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin
Günter Saathoff, Vorstand der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft
Sie wiesen in ihren Grußworten darauf hin, dass eine solche Konferenz noch vor vier Jahren nicht möglich gewesen sei. Auch sei bei der Frage der NS-"Euthanasie" die europäische Perspektive wichtig, da viele Kranken- und Behindertenmorde in damals besetzten Gebieten stattgefunden hatten. - Auch die Anerkennung als Opfer erfolgte insgesamt sehr spät, im Grunde erst seit den 80iger Jahren.

Vorträge:

Dr. Christoph Kopke (Potsdam): NS-"Euthanasie" in Europa - ein Überblick
Christoph Kopke gab einen kurzen Überblick über die NS-"Euthanasie" und wies insbesondere auf die Krankenmorde im Osten hin, an denen z.T. auch die Wehrmacht beteiligt war. Dies ist kaum im westdeutschen Bewusstsein präsent. Die Forschung zu den Krankenmorden im Westen (z.B. in Frankreich, Belgien usw.) stehe noch ganz am Anfang.
In den Anstalten wurde nach Arbeitsfähigen bzw. Arbeitsunfähigen unterschieden. Die letzteren wurden als "unnütze Esser" meist schnell getötet. Bei jüdischen Patienten wurde erst gar nicht unterschieden; sie wurden alle getötet, auch wenn sie noch arbeitsfähig waren. - Einzelne Anstalten wehrten sich gegen Krankenmorde, allerdings meist ohne Erfolg. Ein weiteres Problem ist, dass das GzVeN (Gesetz zur Vererbung erbkranken Nachwuchses) bis heute nicht als Instrument rassischer Verfolgung gilt.

Dr. Stefanie Endlich (Berlin): Gedenken an die NS-"Euthanasie"
Sie drückte aus, dass die Gedenkplatte zur T4-Aktion hinter der Philharmonie in der Tiergartenstraße oft in einem schlechten Zustand sei - auch könne die Gedenkplatte, die im Fußweg eingelassen ist, leicht übersehen werden. Deswegen sei die Gestaltung eines neuen Gedenkortes dort längst überfällig.
Sie wies darauf hin, dass es in den Familien der Opfer lange Zeit ein Schweigen gegeben habe und die juristische Aufarbeitung nach dem Kriege sehr zögerlich verlaufen sei. Die Krankenmorde seien aber auch nach dem Krieg bei vielen Menschen sehr präsent gewesen, insbesondere der VVN sei für eine Erinnerung eingetreten. Die DDR habe sich gegen eine Gedenkpolitik gewandt, dort sei der VVN 1953 aufgelöst worden. Die T4-Vernichtungsstätte in Bernburg sei dort bis 1982 nicht für die Öffentlichkeit zugänglich gewesen.
Im Westen erfolgte ein Umschwung hinsichtlich der Erinnerung erst in den 80iger Jahren, zunächst von Ernst Klee (1985), von Friedländer (1995) und Götz Aly (1997). Anstöße dazu hatte es aber schon vorher in den 70iger Jahren gegeben. - In den 80iger und 90iger Jahren entstanden dann verschiedene Selbsthilfegruppen und Teams in Kliniken, die sich mit dem Thema der Krankenmorde beschäftigen, sowie verschiedene Wissenschaftler. Die Anstöße kamen oft von "unten". So sei auch die Aktion für ein neues T4-Denkmal ohne bürgerschaftliches Engagement nicht möglich gewesen.

 

Dr. Ulrich Baumann (Stellvertretender Direktor Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas): NS-"Euthanasie" - die europäische Perspektive Gedenkens
Baumann wies zunächst auf die enge Kooperation der "Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas"  mit der Stiftung "Topographie des Terrors" hin, die zusammen mit dem "Runden Tisch T4" den Wettbewerb für einen neuen T4-Gedenkort gefördert haben.
Inzwischen sei es zu verschiedenen Gedenkorten gekommen: es gibt ein Denkmal für die ermordeten Juden (2005), für die verfolgten Homosexuellen (2008) und zu den Sinti und Roma (2012). Es sei erfreulich, dass nun auch ein Gedenkort zu den "Euthanasie"-Verbrechen in der Tiergartenstraße entstehen werde. Nähere Infos zu den Gedenkorten finde man unter www.memorialmuseum.org.
Im weiteren erwähnte er die Tötungen von Behinderten im Tiegenhof bei Gnesen (Polen) sowie das Hungersterben im besetzten Frankreich. In Deutschland sei das Hungersterben noch bis 1947 weitergegangen. Ein Hungersterben habe es jedoch schon im 1.Weltkrieg gegeben, dem damals etwa 70 000 Behinderte zum Opfer fielen.
Dr .Ulrich Baumann (Stiftung Denkmal für die ermordeten
                                                       Juden Europas)

Mark Zaurov (Hamburg) und Helmut Vogel (Frankfurt a.M.): Gehörlose, gehörlose Juden und die NS-"Euthanasie" (Vortrag in Gebärdensprache mit Übersetzung)
Mark Zaurov berichtete über die Geschichte der Gehörlosen in Deutschland. Auch bei der SA gab es zum Beispiel einen SA-Gehörlosen-Verband. Darüberhinaus bestand in Deutschland ein "Reichsverband deutscher Gehörlosen" (Regede), aus dem jedoch Juden ausgeschlossen wurden. An Sportveranstaltungen im 3.Reich konnten durchaus auch Gehörlose teilnehmen. So gab es 1937 ein Sportfest in Königsberg, an dem auch Gehörlose teilnahmen.
Insofern gehören Gehörlose zu den Tätern und Mitläufern, waren später aber auch zum Teil Opfer. Die T4-Aktion betraf eher Geistigbehinderte, nicht Gehörlose. Die beiden wichtigsten Diskriminierungsgesetze (Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses, vom 14.7.1933) und das Nürnberger Rassegesetz, vom 15.9.1935) wirkten sich allerdings auch auf Gehörlose aus.
Zaurov berichtete von einem jüdischen gehörlosen Tischler in Berlin, der trotz der Gehörlosigkeit eine gutgehende Tischlerei besaß. Er wurde später ermordet - nicht im Rahmen der T4-Aktion, sondern bei einer späteren Tötung jüdischer Personen in Berlin.

Helmut Vogel berichtete dass die Gehörlosenverbände bis 1980  wenig zur NS-"Euthanasie"  gearbeitet haben. Insgesamt seien etwa 1000 Gehörlose ermordet worden. Er führte zwei Biographien von Gehörlosen aus der NS-Zeit an und drückte aus, dass es noch mehr Forschung gerade im Bereich der Biographien geben sollte.

 

Michal Simunek (Praha/ CZ): Krankenmorde im Gebiet des heutigen Tschechien
Michal Simunek stellte die Ergebnisse seiner Forschungen zur NS-Euthanasie im Sudetengau und Protektorat Böhmen-Mähren vor. Einen besonders interessanten Aspekt stellten die Verlegungen jüdischer Patienten aus dem Altreich in das Ghetto Theresienstadt und von dort weiter in den Osten - etwa nach Maly Trostenez dar. Nur 17  jüdische Patienten des Protektorats überlebten den Krieg (aus: www.gedenkort-T4.eu )

 

Artur Hojan (Koscian/ PL) und Cameron Munro (GB): NS-"Euthanasie" im Gebiet des heutigen Polen (in englischer Sprache)
Im Zentrum dieser Ausführungen stand das SS-Sonderkommando Lange, das einen Großteil der Krankenmorde im heutigen Polen durchführte. Dies Kommando war nicht Teil der T4-Aktion; Lange unterstand Neumann, dessen Vorgesetzter war Heydrich. Lange wurde entsprechend nicht von der T4-Zentrale bezahlt, sondern erhielt ein normales Polizistengehalt.
Die Krankenmorde in Polen wären daher nicht als Teil des T4-Mordprogramms anzusehen.
Merkmale der T4-Aktion in Deutschland waren:
- die Opfer wurden genau registriert
- die Vergasung wurde von Ärzten kontrolliert. (Karl Brandt hatte angeordnet, dass die Euthanasie nur Ärzte durchführen sollten, da es ein medizinisches Thema sei)
- die T4 verschickte nach der Tötung jeweils die Beileidsschreiben an die Angehörigen
In Polen dagegen wurden - insbesondere durch das Sonderkommando Lange - ganze Gebäude "leergeräumt", die Patienten wurden getötet, Beileidsschreiben gab es nicht.
In der Diskussion wurde weiter auf das Sonderkommando eingegangen. Es sei sehr bekannt gewesen. 1944 sei Lange mit dem Kommando auch an der Niederschlagung des Aufstands am 20.Juli beteiligt gewesen. Später wurde es im Kampf gegen Partisanen in Jugoslawien eingesetzt, wobei viele Personen des Kommandos getötet worden waren. Über das weitere Schicksal von Lange ist nicht viel bekannt. Vermutlich wurde er im Abwehrkampf um Berlin 1945 getötet. Über die weiteren Mitglieder des Kommandos wurde bisher wenig geforscht.

Kornel Miglus (Referent für Film am politischen Institut Berlin): Einführung in den Film "Das Hospital der Verklärung"
Es wird der Film "Hospital der Verklärung" ("Szpital Przemienienia") in polnischer Sprache mit englischen Untertiteln gezeigt. In dem Film geht es um eine polnische Psychiatrie, deren Patienten und Ärzte später von einer deutschen Einsatzgruppe ermordet wurden.
Der Film wurde statt des Fritz Bauer Filmes "Tod auf Raten" für die Konferenz ausgewählt, da er für die internationale Veranstaltung mit EU-Geldern gefördert wurde. Sicher wäre der Fritz Bauer Film auch in diesem Rahmen sehr geeignet gewesen.

Abschließend:
Vorführung des Circus Sonnenstich: Zirkuskunst für Menschen mit und ohne Behinderungen

 

2. Tag:
Dienstag, der 29.01.2013

Margret Hamm (AG Bund der Euthanasieopfer und Zwangssterilisierten/ BEZ): Der Kampf um Anerkennung und Entschädigung
Margret Hamm wies in ihrem Vortrag darauf hin, dass die Entschädigungsdiskussionen für Euthanasieopfer und Zwangssterilisierte noch nicht zu Ende seien. -  Die Bundesrepublik verstand sich als Nachfolgestaat des 3.Reiches. Im NS-Staat wurden viele Personen mit Krankheitsdiagnosen ausgegrenzt und später ermordet. Grundlage für die medizinische Diagnose war das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (GzVeN), das nach dem Krieg nur in Bayern und Thüringen sowie in der sowjetischen Besatzungszone aufgehoben wurde. In der Bundesrepublik gab es sogar noch in den 60iger Jahren wieder Forderungen nach einem neuen Sterilisationsgesetz
1956 wurde das BEG (Bundesentschädigungsgesetz) verabschiedet. Hier gab es jedoch die Argumentationslinie der Justiz, dass z.B. die Zwangssterilisation kein typisches NS-Unrecht sei, so dass es daher nicht zu Entschädigungen kam. Als Beispiel führte sie den Fall Knauff an, die damals vergeblich Entschädigungsforderungen stellten. So wurden die Opfer ein zweites Mal diskriminiert.
In den 90iger Jahren versuchte der BEZ (der 1987 in Detmold gegründet wurde)  ein weiteres Mal, eine Aufhebung des GzVeN zu erreichen. Schließlich kam es 2007 nur zu einer Ächtung des Gesetzes, was ein Kompromiss mit den Opfergruppen war. Die juristische Sicht unterschied sich deutlich von der der Opfer.
Führende Fachleute der NS-Psychiatrie waren auch nach dem Krieg als Ärzte tätig, z.B. Prof. Ehrhardt (NS-Gutachter), Prof. Nachtsheim (Rassehygieniker am Kaiser Wilhelm Institut) oder Dr.Villinger (T4-Gutachter).
Am 27.Januar 2011 wurde eine Erhöhung der Leistungen für NS-Opfer angekündigt. Aber auch jetzt gab es wieder Schwierigkeiten für NS-Euthanasieopfer und Zwangssterilisierte. Ein erstes Buch bezüglich der NS-Euthanasieopfer und Zwangssterilisierten erschien in den 1980er Jahren unter dem Titel: "Kleinkrieg gegen die Opfer".

Preisverleihung des Bundeswettbewerbes "andersARTig gedenken!"

Anne -Christin Plate (Moderation)
Die Aufgabe des Ideenwettbewerbes hieß: Wie kann ein Denkmal für die Opfer der NS -“Euthanasie“ aussehen? Er richtete sich an Schüler und Schülerinnen der Klassen 9-13 aller Schularten. Vom 1.Juni- 30.November 2012 konnten Beiträge eingereicht werden. Ausrichter des Wettbewerbes waren die AG gedenkort T4 und der Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin.
Es beteiligten sich 47 Schulen aus dem gesamten Bundesgebiet von Baden-Württemberg bis Schleswig-Holstein, 2 Internationale Deutsche Schulen aus Brüssel und Changchung in Nordchina am Wettbewerb und sandten bis zum 30. November 2012 insgesamt 159 Wettbewerbsbeiträge ein. Unter den Schulen waren:

  • 22 Gymnasien
  • 5 Haupt- und Realschulen
  • 5 Gesamtschulen
  • 4 Schulen in Trägerschaft der ev. Kirche
  • 2 Schulen in Trägerschaft der kath. Kirche
  • 2 Oberstufenzentren
  • 2 Internationale Dt. Schulen
  • 1 Schule für Hörgeschädigte,
  • 1 Förderzentrum Schwerpunkt: geistige Behinderung
  • 1 Berufschule
  • 2 Waldorfschulen

Es wurden drei Hauptpreise und zwei Anerkennungspreise vergeben. Die 20 besten Arbeiten wurden während der Konferenz ausgestellt (sowie auf www.gedenkort-t4.eu)
Die Jury bestand aus folgenden Personen:

  • Prof. Stefanie Endlich, Honorarprofessorin Kunst im öffentlichen Raum, UdK, Berlin
  • Prof. Hanna Hennenkemper, Gastprofessorin, Malerei, KH Weissensee, Berlin
  • Dr. Wiebke Willms, Dozentin für Soziale Arbeit, Alice Salomon Hochschule, Berlin
  • Andreas Knitz, Architekt und bildender Künstler, Ravensburg
  • Maria Smolen-Rathey, bildende Künstlerin, Ensemblemitglied des Theater Thikwa, Berlin

Verleihung der Preise durch:
Dr.Wolfgang Thierse (Vize -Präsident des Deutschen Bundestages)
In einer kurzen Rede drückte Wolfgang Thierse aus, dass er den Entschluss zu dem Wettbewerb begrüßt hatte und schon "neugierig" auf die Ergebnisse gewesen sei. Er wies auf die Rede von Inge Deutschkron am kommenden Tag im Bundestag hin und betonte, dass "historische Aufklärung kein Selbstzweck, sondern notwendig sei". Empathie sei auch mehr als nur aufgeklärtes Wissen. Es gehe um ein Wissen, dass nicht ohne Folgen bleibe. Er habe auch den Beschluss des Deutschen Bundestages vom November 2011 begrüßt, dass für die T4-Opfer endlich ein Denkmal errichtet werden soll.
1. Anerkennungspreis:
Klasse O1 - Oberstufe der Don Bosco Schule Lippstadt: Sie hatten ein Jahr zu dem Thema Menschenrechte gearbeitet, darunter auch zur NS-"Euthanasie". In diesem Rahmen hatten sie auch eine Gedenkstätte in Lettland besucht. 
2. Anerkennungspreis
Klasse 9 (katholischer Religionskurs) der Günther Eckerland Realschule Marl: Sie führten mehrere Aktionen durch, wobei ihnen auffiel, dass sich fast niemand mit dem Thema auskannte.
3. Hauptpreis
Klasse 10c, Heinrich-Böll-Schule, Nieder-Roden (bei Frankfurt): Thema - "Nicht nur Juden wurden verfolgt...." Die Schüler schrieben ein Theaterstück zur Euthanasie und stellten es auf Youtube ins Internet.         
2. Hauptpreis
Klasse 11 (Kunst-Kurs), Mallinckrodt-Gymnasium, Dortmund: Titel- "Pars pro toto". Sie fertigten ein Kunstprojekt mit Würfeln und Spiegeln her sowie ein Puzzle mit fehlenden Teilen.          
1. Hauptpreis
Klasse 10c, Heinrich-Böll-Schule, Nieder-Roden (bei Frankfurt): Die Klasse erstellte eine Foto-Collage mit dem Titel "Gegen das Vergessen". Dazu besuchten sie auch den Wochenmarkt in Frankfurt und interviewten Personen zu dem Thema Euthanasie.        
Kommentar:
Bei der Auswahl der Preisträger spielten ästhetische bzw. künstlerische Gesichtspunkte eine große Rolle. Auch wurde bei der Begründung der Preise angemerkt, dass die Arbeiten nicht "zu schaurig" sein sollten, d.h. dass etwa keine Gaskammern oder ähnliches dargestellt werden sollten. Die Betonung des Künstlerischen mag auch mit der Zusammensetzung der Jury zusammenhängen, die überwiegend Kunstkenner bzw. Kunstkritiker waren. Historiker waren gar nicht vertreten. - Dadurch mag eine Einseitigkeit bzw. deutliche Überbetonung künstlerischer Aspekte entstanden sein. Gerade bei diesem Thema wäre vielleicht auch stärker eine inhaltliche Auseinandersetzung mit historischen Bezügen angebracht gewesen.
Es ist offen, ob der Wettbewerb eine einmalige Angelegenheit bleibt oder später wiederholt wird. Die Resonanz von Seiten der Schulen war positiv. Letztlich wird es eine finanzielle Frage sein, ob sich genügend Sponsoren für einen solchen Wettbewerb finden.

Nach der Preisverleihung zum Bundeswettbewerb "andersARTig gedenken" wurde der Gestaltungswettbewerb zum Informations- und Gedenkort an der Tiergartenstraße 4 vorgestellt. Anschließend erfolgte die Präsentation des Siegerentwurfs.
Der Gestaltungswettbewerb zum Informations- und Gedenkort an der Tiergartenstraße 4
Ralf Sroka (Berlin), Koordinator im Auftrag des Landes Berlin
Ralf Sroka beschrieb zunächst die verschiedenen Aspekte, die für diesen Gestaltungswettbewerb berücksichtigt werden mussten:
Im Bundestag war am 9.November 2011 der Beschluss erfolgt, dass wegen der Euthanasie-Verbrechen im 3.Reich ein Denkmal an der Tiergartenstraße 4 errichtet werden sollte, d.h. an der Stelle, an der sich die Zentrale der T4-Aktion befand. Dafür wurden 500 000€ bewilligt. Drei Gruppierungen waren dann für den Wettbewerb verantwortlich:
- die Stiftung "Topographie des Terrors"
- die Stiftung "Denkmal für die ermordeten Juden Europas"
- der "Runde Tisch T4"
Es wurden 92 Entwürfe eingereicht, davon kamen 30 in die engere Auswahl. Folgende Punkte sollten bei einer Entscheidung berücksichtigt werden:
- Die Adresse "Tiergartenstraße 4" sollte wieder kenntlich gemacht werden (jetzt gibt es dort nur eine Bushaltestelle. Seit 1988 gibt es eine Gedenkplatte im Fußweg, die leicht übersehen wird).
- der Ort sollte barrierefrei sein.
- Gruppenbesuche sollte möglich sein
Die Spuren der einstigen Villa in der Tiergartenstraße 4 sind nicht mehr zu erkennen. Die Philharmonie und eine Bushaltestelle prägen den Ort. Da der Busbahnhof auf dem Gelände inzwischen fast gar nicht mehr benutzt wird, könnte der Platz neu gestaltet werden.
Eine besondere Überlegung war, ob das Haus an der Tiergartenstraße wieder errichtet werden sollte. Das wurde jedoch - leider- bald ausgeschlossen. Als ein Grund wurde genannt, dass dann die Täter zu stark betont werden würden. (Sicher gäbe es auch andere Gründe, die für eine Rekonstruktion der Villa sprechen würden. Da diese aber direkt an die Philharmonie angrenzen würde, könnte man von dieser Seite wohl mit Widerständen rechnen ). - So würde es eher eine "Minimallösung" geben, auch angesichts der eher geringen Summe von 500 000€. Ein eigener Lern- und Gedenkort (auch als eigenes Haus, eventuell an anderer Stelle) wäre später einmal anzudenken.
Es gab drei Preise. Den 3.Preis erhielt eine Wandinstallation mit Infos zur T4-Aktion, den 2.Preis bekam ein Entwurf, bei dem Kreise in den Boden eingelassen wurden, die das Feld der ehemaligen T4-Zentrale näher beschrieben.
Präsentation des Siegerentwurfs
Ursula Wilms (Berlin/ Aachen): Siegerin des Gestaltungswettbewerbes T4    
Bei dem Siegerentwurf handelt es sich um eine 31 m lange und 3,10 m hohe transparente und hellblau eingefärbte Glaswand, die auf einer schiefen Fläche aus dunklen Betonplatten auf dem ehemaligen Gelände der T4-Zentrale errichtet werden soll. Auf der Glaswand wird es jeweils Informationen zur T4-Aktion geben. Für die inhaltliche Ausarbeitung wird ein Fachteam zuständig sein. Die alte Gedenkplatte würde an der bisherigen Stelle erhalten bleiben. Der Ort wäre behindertengerecht und auch gut für Gruppen zugänglich. Weitere Informationen unter http://blog.gedenkort-t4.eu/2012/11/23/t4-denkmal-der-siegerentwurf/

Fortsetzung der Konferenz nach dem Mittagessen um 14 Uhr:
Robert Parzer (Pregarten/ A): gedenkort-T4.eu: wie Internet, facebook und twitter das Gedenken verändern
Robert Parzer gab einen Überblick über die Entstehung des Gestaltungswettbewerbes T4-Denkmal und die Rolle von Blogs, Facebook und Twitter.
Angefangen hatte alles im Januar 2010 mit der Übergabe der Totenbücher aus Meseritz-Obrawalde. Dazu wurde eine Webseite mit einem Blog eingerichtet, der gut genutzt wurde. Langsam erfolgte dann der Ausbau der Webseite, zunächst noch im Web 1.0 (das ist die alte statische, "normale" Form des Internets), dann im Web 2.0 (das ist die dynamische Version, in der Facebook, Twitter usw. einbezogen sind).Wieder gab es eine große Nachfrage - über 100 000 Aufrufe in einem Jahr, auch international wurde die Seite oft aufgerufen. Typisch war dabei, dass es nur wenige Kommentare, aber viele eigene Beiträge gab.
Ein Schwerpunkt der Seite lag bei Twitter. Dies ist eher ein Forum bzw. Medium, dass auch von wissenschaftlichen Instituten genutzt wird, während Facebook eher den persönlichen Bereich betrifft. Interessant ist dabei der Unterschied der Nutzung in Deutschland und dem Ausland, was insbesondere für die Gedenkstättenarbeit von Bedeutung ist.
Während man in Deutschland eher zurückhaltend im Umgang mit den sozialen Medien ist, sieht es in anderen Ländern dagegen deutlich anders aus. Dort präsentieren sich z.B. die Gedenkstätten wesentlich stärker im Netz, auch mit ihren Ausstellungen (z.B. in Österreich die Gedenkstätten Schloss Hartheim und Steinhof), während das in Deutschland nicht der Fall ist. Als einer der Gründe wird der Abbau von Ressourcen genannt. - Auch die Gedenkstätten in Polen (z.B. Auschwitz, Stutthof) und in Israel (Yadvashem) sind im Netz viel aktiver.
Außer der schlechten quantitativen und qualitativen Nutzung des Web 2.0 in Deutschland kommt hierzulande noch eine zusätzliche Hemmung durch Gesetze hinzu. Insofern dürfte für Deutschland der internationale Austausch (wie in dieser Konferenz) nicht nur in sachlicher Hinsicht interessant sein, sondern auch der unterschiedliche Umgang mit Erinnerung, Daten und Informationen. Mangelnder Mut und fehlendes Personal dürften ein weiteres Problem sein.- Die Webseite gedenkort-T4.eu ist aber weiterhin gut angenommen. Allerdings kann sie nicht die Aufgabe einer Vernetzung von Gedenkstätten übernehmen, wie es von verschiedener Seite vorgeschlagen wurde.
Noch einige Bemerkungen zum unterschiedlichen Umgang mit Daten in Deutschland und dem Ausland. Während außerhalb Deutschlands die Daten von Opfern und Tätern leichter zugänglich sind, gibt es in Deutschland noch eher eine "Scham der Angehörigen" (gerade im Bereich der NS-"Euthanasie" und Zwangssterilisation), die der Nutzung und Öffnung von Daten entgegenstehen. Außerdem gibt es in Deutschland 16 unterschiedliche Archivregelungen, die ebenfalls blockierend wirken. - (Weiterhin ist festzustellen, dass jüdische Menschen oft online stehen, während nichtjüdische Personen sich eher scheuen. Gerade auch Angehörige von Behinderten sollten hier auch stärker ihre Scham überwinden, was den Umgang mit Daten hierzulande wesentlich erleichtern würde. In vielen Familien, in denen es Opfer von NS-"Euthanasie" oder Zwangssterilisation gab, wurde lange nicht darüber gesprochen. Erst spät oder durch Zufall wurde dies von nachgeborenen Familienmitgliedern bemerkt. Anmerkung U.D.)
Diskussion: Ein drastisches Beispiel für den Umgang mit Daten war in Deutschland der Fall Talbot. Er hatte Daten über T4-Opfer entwendet und öffentlich gemacht. Er wurde in Deutschland dafür heftig kritisiert, da er "gestohlene Daten" in die Öffentlichkeit gebracht hätte. In der Diskussion verteidigte Sigrid Falkenstein (vom Runden Tisch T4) dies Vorgehen. Nur dadurch habe sie überhaupt erfahren, dass eine behinderte Verwandte von ihr 1940 in der Gaskammer ermordet worden sei. Das sei dann für sie Anlass zu Recherchen gewesen, die sie dann später in dem Buch "Annas Spuren" beschrieben hat. (Sigrid Falkenstein: Annas Spuren. Ein Opfer der NS-Euthanasie". München 2012)
Bernhard Selting (Moos): Lesung "Betriebsausflug in die Gaskammer"
Auch Bernhard Selting war erst spät durch Erzählungen in der Familie darauf gestoßen, dass ein Onkel von ihm in einer Gaskammer ermordet worden ist. In der Familie war zunächst nicht darüber gesprochen worden, nur dass er in der NS-Zeit gestorben war. Erst als er selber zu recherchieren begann, entdeckte er die näheren Zusammenhänge. Eigentlich war der Onkel Ingenieur gewesen und hatte schon als 17jähriger im 1.Weltkrieg bei der Marine gedient. Nach dem Krieg hatte er bei den Revolten in Berlin ein Trauma erlitten, woraufhin er später von Ärzten die Diagnose "Schizophrenie" erhielt. Im Grunde war das dann sein Todesurteil.
Selting stellte die Geschichte seines Onkels Schritt für Schritt vor und las dazu auch Passagen aus seinem Buch "Betriebsausflug in die Gaskammer" vor, das er über seinen Onkel geschrieben hatte. Besonders bedrückend dabei war die Rolle der Ärzte und Erbgesundheitsgerichte, die seinen Onkel regelrecht als Kranken abstempelten, ihn unter Zwang sterilisierten. 1940 wurde er dann in der Anstalt Brandenburg-Göhrden vergast. (Bernhard Selting: Betriebsausflug in die Gaskammer. Oldenburg. 2009)
Dr. Ilja Seifert (MdB): Barrierefreies Gedenken - die UN-Behindertenkonvention
Ilja Seifert wies in seinem Beitrag vor allem auf die Forderung nach Barrierefreiheit in der UN-Konvention hin, die auch in Deutschland stärker umgesetzt werden sollte, insbesondere bei Gedenkstätten, um so auch Rollstuhlfahrern den Zugang zu erleichtern. Das sei oft noch nicht der Fall. Als Beispiele führte er das Kriegerdenkmal (der Roten Armee) in Berlin an der Straße des 17.Juni sowie die Gedenkstätte in Alt-Rehse an. Die letztere liege in ländlicher Landschaft nördlich von Berlin und sei für Rollstuhlfahrer kaum zugänglich. In Alt-Rehse war in der NS-Zeit die Schulung der NS-Ärzte in Hinblick auf die Rassenideologie erfolgt.
Dr. Uta George (Bad Homburg): Gedenkstättenarbeit für Menschen mit Behinderung
Uta George hatte ca.15 Jahre lang in der Gedenkstätte Hadamar als Diplom-Pädagogin gearbeitet und insbesondere Besuchergruppen betreut. Ein wichtiges Thema sei für sie dabei gewesen, wie Menschen mit geistiger Behinderung in die Gedenkstättenarbeit mit einbezogen werden könnten. Noch vor zehn Jahren sei dies kein Thema gewesen. Es sei zu schwierig und zu belastend für sie gewesen, hieß es.- Inzwischen wurde ein Konzept entwickelt, wie Menschen mit geistiger Behinderung bzw. Menschen mit Lernschwierigkeiten (dies ist der neue Terminus, der von den Menschen selbst gewählt wurde) mit dem Thema umgehen können - auch als Besucher einer T4-Gedenkstätte. Die Erfahrung hatte gezeigt, dass auch bei dieser Gruppe (als der eigentlichen Opfergruppe) durchaus Interesse bestand und eine Beschäftigung mit dem Thema möglich war. Es wurde zahlreiches Material in angemessener Form erstellt, das dieser Personenkreis nun nutzen kann.
Jana Hoeftmann und Enrico Schaffrath, Capito (Berlin): Warum schwer, wenn es auch leicht geht? Texte zur NS-"Euthanasie" in Leichter Sprache
Jana Hoeftmann und Enrico Schaffroth stellten das Projekt "Capito" in Berlin vor, das Texte in Leichter Sprache herausgibt. Die Texte werden vor der Veröffentlichung jeweils auch von Benutzern von Leichter Sprache begutachtet und auf Verständlichkeit geprüft. Da es hier um die Gruppe der eigentlich Betroffenen geht, sei es natürlich wichtig, dass nicht nur spezielle Fachliteratur zur T4-Aktion erscheint, sondern auch Texte, die für diese Gruppe verständlich sind. - Inzwischen ist ein Heft auch über die T4-Zentrale in Leichter Sprache erschienen, das im einzelnen vorgestellt wurde (36 Seiten, mit individuellen Handzeichnungen) Kurze Sätze, einfacher Satzbau, die Verwendung der aktiven Zeitform und  direkte Ansprache seien dabei beachtet worden. 
Helmut Vogel (Frankfurt/ M) und Mark Zaurov (Hamburg): Das Gebärdensprachvideo über die Aktion T4
 Mark Zaurov und Helmut Vogel stellten zum Tagesabschluss Gebärdensprachvideos zur  T4-Aktion vor. Es handelt sich dabei um die ersten Gebärdensprachfilme zum Thema NS-"Euthanasie". Die Übersetzung sei dann wie in jede Fremdsprache zu leisten, wobei ausdrücklich erwünscht sei, dass auch das wissenschaftliche Niveau dabei erhalten bliebe. Weiteres ist unter dem Link    http://gedenkort-t4.eu/de-sg/vergangenheit/aktion-t4. zu finden.

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