Fritz Bauer: " daß unser Strafrecht noch immer die Schalen eines Klassenstrafrechts mit sich schleppt..." (1966)

Offshore-Leaks
Anmerkungen zur Steuerflucht und Kriminalität

Es tut sich viel im Bereich von Steuerflucht, Geldwäsche und Kriminalität. Es geht um Aufklärung. Hierbei ist eine Dynamik entstanden, die noch vor kurzem undenkbar schien.

Anfang April 2013 - in der Woche nach Ostern - tauchte plötzlich eine Daten-CD mit über 2,5 Millionen Dokumenten auf. 260 Gigabyte, mit Daten über 130 000 Menschen aus 170 Ländern. Neu waren nicht die Namen, sondern die ungeheure Menge der Daten. - Diese Datenmenge wurde an internationale Medien und Journalisten aus 46 Ländern gegeben. In Deutschland gehörten die Süddeutsche Zeitung und der NDR dazu. Diese Datenfülle ist bisher noch nicht ansatzweise ausgewertet worden und wird langsam erforscht. (1)

Die Daten dienen nicht zur Strafverfolgung der Täter (das ist Aufgabe der Steuerfahndungen der einzelnen Länder), sondern der Sichtbarmachung der Strukturen, wie Steuerhinterziehung und Steuerflucht funktioniert.

Parallel dazu kaufte das Land Rheinland-Pfalz für über 4,4 Millionen Euro eine CD mit Daten über deutsche Bankkunden in der Schweiz, die jetzt der Steuerfahndung vorliegt. Diese bereiten jetzt wohl den größten Schlag gegen deutsche Steuerhinterzieher vor - gegen ca.
20 000 Bundesbürger. "Das übertrifft alles, was deutsche Behörden bislang durch solche CDs erfahren hatten. Manchmal waren es knapp 2 000 Fälle, meist viel weniger." (2)

Das ist ein vorläufiger Höhepunkt seit dem ersten Ankauf einer Liechtensteiner Steuer-CD durch den BND im Jahre 2007.

Die Steueroasen: Ein neuer Kolonialismus
Nach Angaben der Süddeutschen Zeitung hatten im Jahr 2010 Superreiche weltweit zwischen 21 und 32 Billionen Dollar in Steueroasen versteckt - eine unvorstellbare Summe. "Die Kehrseite dieser gigantischen Vermögen sind die Schulden der öffentlichen Hand, besonders im internationalen Maßstab." (3) Der SZ-Redakteur M.Meinzer bezeichnete dies System als neuen Kolonialismus, da Offshore-Systeme "Diktatoren und Konzernen (helfen), den Armen das Geld vorzuenthalten, das sie brauchen." (4)

Schon Fritz Bauer wies 1966 in seinem Buch "Auf der Suche nach dem Recht" auf die Problematik der Steuerhinterziehung und der Steueroasen hin, die letztlich Mitbürger schädigen, die ehrlich Steuern zahlen. Der Staat verschuldet, die öffentlichen Kassen sind leer. (5)

Er ist damit in gewisser Weise schon einer der Vorreiter für kritische NGOs, die sich für Steuergerechtigkeit und gegen Steuerflucht und Steueroasen einsetzen - ähnlich wie später auch Pierre Bourdieu oder Jean Ziegler. Diese Seite ist bei Bauer - wie viele andere - auch vergessen worden.

Interessant sind hierzu bei Fritz Bauer auch die Untersuchungen zur Wirtschaftskriminalität, die er an Anlehnung an den amerikanischen Soziologen Sutherland "Weiße-Kragen-Kriminalität" nennt. Das Besondere an dieser Kriminalität ist, dass die Täter oft kein Unrechtsbewusstsein haben bzw. die Taten als "Kavaliersdelikt" erscheinen. Das spiegelte sich schon in der Wortwahl wie "Steueroasen" oder "Steuersünder" wider.

Gerade auf diese Wortwahl wies Heribert Prantl in seinem ersten Kommentar nach Erscheinen der Daten-CD in der Süddeutschen Zeitung hin und forderte eine Änderung: "Die erste Maßnahme gegen Steueroasen ist dabei eine semantische: Man muss ihnen den Namen entziehen So wie man Steuerbetrüger nicht verharmlosend Steuersünder nennen soll, soll man die Geldmagnetterritorien und Geldbunkerländer nicht 'Oasen' nennen". (6)

Dort, wo kriminelle Strukturen vorliegen, sollte dies auch benannt werden
Das gilt auch für das "Bankgeheimnis". Wenn Kriminelle wie Drogen- und Waffenhändler oder Steuerbetrüger durch ein "Bankgeheimnis" geschützt werden, dann stimmt da etwas nicht. Dann ist das System selbst kriminell. Insofern ist es schon erfreulich, dass jetzt in einzelnen Ländern wie der Schweiz, Liechtenstein oder auch Luxemburg das Bankgeheimnis gelockert wird. Das ist nicht freiwillig geschehen. "Auch hat der Druck auf die Länder mit starkem Bankgeheimnis Wirkung gezeigt. Ob Luxemburg, Österreich, die Schweiz oder Liechtenstein. Das Bankgeheimnis ist nicht mehr das, was es einmal war." (FAZ vom 17.4.2013) (7) - In der Schweiz sind die Banken durch den Druck vorsichtiger geworden. Hier teilte die Credit Suisse mit: " Wir weisen deutsche Kunden seit längerer Zeit darauf hin, dass sie ihre Situation individuell überprüfen und falls nötig bereinigen sollen." (8)

Hier das Bankgeheimnis, dort der Umgang mit Hartz-IV-Empfängern, die ihre finanzielle Situation vollends offenlegen und andernfalls mit scharfen Sanktionen rechnen müssen. Wie unterschiedlich der Umgang mit Reichen und Armen allein in Deutschland ist, zeigt der 4.Armuts- und Reichtumsbericht, der vor kurzem von der deutschen Regierung verabschiedet worden war. Dazu ein Zitat aus der Süddeutschen Zeitung:
 "Ganz abgesehen von dessen sonstigen Lücken: Der Reichtum kam darin praktisch nicht vor, weil es Daten über ihn kaum gibt. Seitdem einst die Regierung Kohl in eines ihrer Steuergesetze den Satz geschrieben hat, die Vermögenssteuer werde von 1997 an 'nicht mehr erhoben' - seitdem werden auch die großen Vermögen nicht mehr wirklich erfasst. Die Listen (mit den Daten), die jetzt veröffentlicht werden, sind daher so etwas wie ein alternativer Armuts- und Reichtumsbericht. Es handelt sich um die notwenige Ergänzung zum Regierungsbericht, der von der Realität des Reichtums nichts wissen und nichts sagen will. Diese Unschärfe-Relation ist ungerecht, sie gefährdet den inneren Frieden: Jeder Hartz-IV-Empfänger muss die Taschen umstülpen, die Hosen herunter- und auch noch den letzten Cent erfassen lassen. Dass nun Namen veröffentlicht werden, schafft gesunde Unsicherheit unter denen, die Geldbunkerländer illegal nutzen." (9)

Bauer kritisiert ebenfalls, dass der Blick auf kriminelles Handeln zu einseitig auf die unteren Schichten gerichtet war und sieht darin noch Relikte eines alten Klassenstrafrechts:
"Vieles von dem, was dem einen oder anderen als asoziales oder antisoziales Verhalten der sogenannten Oberwelt erscheint und auch in den Gesetzen verboten wird, ist in den Gesetzen nicht kriminalisiert, d.h. zu einer strafbaren Handlung gemacht. Nirgends zeigt sich deutlicher als hier, daß unser Strafrecht noch immer die Schalen eines Klassenstrafrechts mit sich schleppt. Brutal formuliert heißt dies, daß die Reichen die Gesetze gegen die Armen machen, sich selbst aber freistellen. Die Mittel- und Oberklassen pflegen nicht zu stehlen, weil sie nicht zu stehlen brauchen, sie brauchen auch nicht mit vorgehaltenem Revolver Banken zu plündern. Sie haben ihre eigenen Safes." (10)

 

Es fehlen nötige Gesetze
Es ist schon enorm, wenn einzelne Politiker den Ankauf einer Steuer-CD für bedenklich halten, weil man mit Datendieben zusammenarbeiten würde. Im Gegenteil: Es zeigt, wie rückständig das Recht noch ist und solche Aufklärung nicht fördert. Das Aufdecken von kriminellen Machenschaften sollte durch den Gesetzgeber unterstützt werden - wie in vielen anderen Bereichen der Wirtschafts- und Arbeitswelt. Das gilt im Grunde z.B. auch für "Whistleblower", die kriminelle Strukturen in Wirtschaft und Politik aufdecken. Auch hier ist das deutsche Recht noch rückständig und könnte reformiert werden.

Aber auch für die FAZ bleibt nach dem Kauf einer Daten-CD "ein unangenehmer Nachgeschmack". Kriminelle Datendiebe zu belohnen, um Steuerbetrüger zu jagen, stehe einem demokratischen Rechtsstaat nicht gut zu Gesicht. (11) Immerhin hat das Bundesverfassungsgericht den Kauf solcher CDs für juristisch einwandfrei erklärt. Insofern scheint es eher geboten, die Gesetze zu ändern, damit ein "Nachgeschmack" nicht bleibt. Damit kriminellen Strukturen und Machenschaften ganz regulär der Kampf erklärt werden kann.
U.D. (Mai 2013)

 

Anmerkungen:
1. SZ vom 13.04.2013, Bastian Obermayer "Legal und legitim"
2. SZ vom 18.04.2013, Hans Leyendecker, Klaus Ott "Sieben Wege ins Unglück"
3. SZ vom 12.04.2013, Markus Meinzer "Der neue Kolonialismus"
4. ebd, SZ vom 12.04.2013
5. Fritz Bauer: Auf der Suche nach dem Recht. Stuttgart 1966,  (S.226- 246; "Die Kriminalität
                  der 'Weißen Kragen' "
6. SZ vom 05.04.2013, Heribert Prantl, "Geld verpflichtet"
7. FAZ vom 17.4.2013, "Im Netz"
8. FAZ vom 17.4.2013, "201 Durchsuchungen nach Kauf von Steuer-CD"
9. SZ vom 05.04.2013, Heribert Prantl "Geld verpflichtet" (in der Reihe "Offshore-Leaks")
10. Bauer a.a.O. S.233
11. FAZ vom 17.April 2013, "Im Netz"

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