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Fritz Bauer und die "Kriminalität der 'Weißen Kragen'"
Steuerflucht und Wirtschaftskriminalität
Schon in den 1960er wies Fritz Bauer auf die Probleme der Steuerhinterziehung und Wirtschaftskriminalität hin. Er bezieht sich dabei auf den Soziologen Sutherland, der eine Reise "in das unbekannte Land der sogenannten Weißen-Kragen-Kriminalität antrat und zu sammeln begann, welche und wie viele Steuerhinterziehungen, welche und wie viele Patentverletzungen ... von den Groß- und Größtbetrieben" der USA begangen wurden.
Bauer untersucht das Phänomen und weist schon 1967 auf die bevorzugten Steueroasen wie Schweiz, Liechtenstein, Luxemburg, die Bahamas, die Bermudainseln usw. hin.
Er drückt aus, dass es oft schwer zu entscheiden sein mag, was privatwirtschaftlich geboten ist oder was einfach Steuerbetrug ist. "Eine Nachprüfung der Manipulationen scheidet aber so gut wie immer aus, da die Macht der Finanzämter usw. an den Landesgrenzen endet. Viele Strafjuristen kennen diese Dinge... Auch eine breite Öffentlichkeit sollte begreifen, dass sie noch immer affektgeladen auf den nach ihrer Vorstellung typischen Kriminellen starrt, während ihr - ganz zu Unrecht - der moderne Wirtschaftstäter ganz gleichgültig ist" ((Fritz Bauer: Auf der Suche nach dem Recht, Stuttgart.1967. S.246)
In Anlehnung an Sutherland untersucht er den neuen Typ des Wirtschaftskriminellen. Während bisher eher Armut und die unteren Klassen im Blick der Kriminologen waren, wäre eine neue Sichtweise wichtig. "Die Kriminologen, so schrieb er (Sutherland) einmal, betonen emphatisch die Bedeutung der Armut für die Kriminalität und legen Gewicht auf die sozialen und persönlichen Pathologien, die gewöhnlich mit Armut verbunden sind. Die Emphase erklärt sich daraus, daß sie ihre Studien auf Kriminelle der sozialökonomisch unteren Klassen beschränkt haben. Ihre Theorien beruhen daher auf einer einseitigen Auswahl von Kriminellen. Ehrenwerte Geschäftsleute, die die Gesetze verletzen, leben aber selten in Armut und zeigen selten soziale oder persönliche Pathologien." (S.231)
"Die Strafjuristen wissen genau, daß das bisherige Bild vom Verbrecher, das beispielsweise Lombroso gezeichnet hat, das Bild eines Menschen mit fliehender Stirne, mit Tätowierungen, mit Debilität und sozialem Tiefstand nicht stimmt, wie sehr auch dieses Bild den Vorstellungen der breiten Masse entspricht. " (S.242). "Wir wissen, seitdem Sutherland erstmals den Begriff von der Weißen Kragen-Kriminalität gebildet hat, daß Kriminalität vor keinem Berufsstand und keiner Klasse haltmacht, wie hoch auch immer sie eingeschätzt wird, daß aber das aktuelle Recht hinter den sozialen Erscheinungen dieser Welt zurückbleibt, daß die Justitia hinkt und trotz Binde einseitig ist und damit das ganze Recht fragwürdig macht." (S.242)
Sie wollen das Böse, ohne - wie Mephisto - gleichzeitig das Gute zu schaffen...
"Denken wir an Steuerhinterziehungen, die nicht nur den sogenannten Staat schädigen, sondern in Wahrheit die Mitbürger, die statt ihrer nun höhere Steuern bezahlen müssen. Sie schädigen zugleich ihre steuerwilligen Konkurrenten, die möglicherweise durch die Steuerhinterziehungen der anderen aus dem Felde geschlagen und ruiniert werden, dadurch ihre Gläubiger in Mitleidenschaft ziehen und möglicherweise auch sie zum Zusammenbruch bringen. Die Kettenreaktion, die in aller Regel die Unschuldigen, ja die Tüchtigen und Anständigen trifft, wird oft übersehen." (S.233)
Kriminelles Verhalten als Kavaliersdelikt
"Folgt man Sutherland, so weitet sich der Kreis der Weißen-Kragen-Kriminalität aus. Eine solche Betrachtungsweise stößt freilich naheliegenderweise auf den heftigsten Widerstand der betroffenen Kreise, die nicht ohne Grund die Kriminalisierung ihres Verhaltens als Kavaliersdelikt abzutun pflegen. Sie fühlen sich nicht als Kriminelle; in aller Regel werden sie auch dann in der breiten Öffentlichkeit nicht für kriminell gehalten, wenn sie eindeutig strafbare Handlungen begehen... Zechbetrug, wenn er nur ein paar Mark beträgt, pflegt bei der Polizei angezeigt zu werden und führt oft genug zu Verhaftungen Der universelle Steuerbetrug durch Vortäuschung von Geschäftsausgaben gilt als clever, obwohl der Schaden für alle Bürger eines Staates um Hunderte von Millionen den der armseligen Zechbetrüger übertrifft." (S.255) - "Der Präsident der New Yorker Börse hat einmal völlig zutreffend gesagt, es sei strafrechtlich und sozial riskanter, ein Stück Brot im Wert von 10 Cent zu stehlen, als in betrügerischer Absicht Aktien im Nennwert von Hunderten Millionen Dollar zu verkaufen." (S.255)
"...daß unser Strafrecht noch immer die Schalen eines Klassenstrafrechts mit sich schleppt."
"Vieles von dem, was dem einen oder anderen als asoziales oder antisoziales Verhalten der sogenannten Oberwelt erscheint und auch in den Gesetzen verboten wird, ist in den Gesetzen nicht kriminalisiert, d.h. zu einer strafbaren Handlung gemacht. Nirgends zeigt sich deutlicher als hier, daß unser Strafrecht noch immer die Schalen eines Klassenstrafrechts mit sich schleppt. Brutal formuliert heißt dies, daß die Reichen die Gesetze gegen die Armen machen, sich selbst aber freistellen. Die Mittel- und Oberklassen pflegen nicht zu stehlen, weil sie nicht zu stehlen brauchen, sie brauchen auch nicht mit vorgehaltenem Revolver Banken zu plündern. Sie haben ihre eigenen Safes." (S.233)
Der Begriff des Schreibtischtäters bei großen Gesellschaften
Bei Großkonzernen trifft Bauer auf Strukturen, die ihn aus den Auschwitz-Prozessen bekannt sind. "Bei den großen Gesellschaften begegnen wir weiter dem Begriff des Schreibtischtäters, der uns von den Massenverbrechen des nazistischen Unrechtsstaates bekannt ist. Es herrscht eine weitgehende Arbeitsteilung, so daß eine große Zahl von Verdächtigen auftaucht, von denen jeder nur einen Bruchteil getan hat oder getan haben will, ohne die Gesamtmanipulation zu durchschauen. Jeder schiebt die Schuld auf einen anderen; je höher wir in der Hierarchie der Aktiengesellschaft oder gar des Konzerns gelangen, desto weniger behaupten die Manager zu wissen. Wie in den NS-Prozessen pflegt dann die Schuld an den Tätern der unteren Ränge hängenzubleiben, die in Wahrheit nur ausführende Organe gewesen sind und den geringeren Vorteil hatten. Oft mögen sie im Hinblick auf das Prestige der Firma oder mit Rücksicht auf ihr späteres Fortkommen die Schuld auf sich nehmen. Das strafrechtliche Resultat, sofern ein solches überhaupt erzielt wird, besteht dann in der Verurteilung ziemlich unbedeutender Angestellter zu bescheidenen Strafen, während der Gesamtkomplex unberücksichtigt bleibt." (S.241)
Hier mag sich jetzt manches geändert zu haben. Inzwischen werden auch häufiger Spitzenmanager angeklagt. Wichtig ist aber auch, dass jeweils der Gesamtzusammenhang ins Visier gerät. Gerade diese Vorgehensweise ist typisch für Bauer.
Zitate sind aus folgendem Buch: Fritz Bauer - Auf der Suche nach dem Recht. Stuttgart.1967
U.D. (April 2013)
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