Eine Rechnung steht noch aus... Fritz Bauer und die Frage der "Euthanasie" Fritz Bauer hatte nach dem Auschwitz-Prozess noch einen "Euthanasie"-Prozess geplant, der zum einen gegen die Täter der Euthanasie-Aktionen (Ärzte und Pfleger) sowie gegen die daran beteiligten Juristen gehen sollte. Eigentlich sollte dieser Euthanasie-Prozess zur größten öffentlichen Abrechnung mit dem nationalsozialistischen Regime werden. Über 80 000 Seiten Prozessakten und über 300 Zeugen waren geladen worden. (Wojak: Bauer S.386) Kurz vor dem Prozessbeginn stürzte sich einer der Hauptangeklagten, Friedrich Tillmann, am 12.Februar 1964 unter ungeklärten Umständen aus dem Fenster eines Kölner Hochhauses zu Tode. Prof. Dr.Heyde, der Leiter der T4-Zentrale, der für den Tod von mindestens 100 000 Menschen verantwortlich war, wurde einen Tag später, am 13.Februar 1964 am Heizungskörper seiner Zelle erhängt aufgefunden. - Zwei weitere Angeklagte, Dr. Gerhard Bohne (der erste Geschäftsführer der T4) und Dr.Hans Hefelmann (Organisator der Kinder-"Euthanasie") wurden vom Gericht als "verhandlungsunfähig" erklärt. Der fünfte Hauptangeklagte, der berüchtigte Dr.Schumann (Leiter in den Vernichtungsanstalten Grafeneck und Pirna/ Sonnenstein) war nach Ghana geflüchtet und leitete unter dem dortigen Diktator ein Krankenhaus. Der Großprozess kam nicht mehr zustande. Die Anklageschrift von Fritz Bauer, die noch heute als Standardwerk über die "Euthanasie" gilt, bewirkte im Ergebnis nicht viel. Nach seinem Tod kam es zwar noch zu einzelnen Prozessen gegen "Euthanasie"-Täter, die Bilanz aber war katastrophal: Das Verfahren gegen die an der "Euthanasie-Konferenz" vom 23./24.April 1941 beteiligten Juristen David, Hirte und Jung wurde am 27.Mai 1970 vom Landgericht Limburg mit einer neunzeiligen Erklärung stillschweigend eingestellt. (1) Durch den Auschwitz-Prozess wurde eine große Öffentlichkeit erzeugt Es ist, als wenn noch etwa aussteht. Fritz Bauer starb 1968 sehr plötzlich, vielleicht hätte er sich hier noch stärker eingebracht. Es scheint, als wenn irgendeine Rechnung noch offen ist... Zwar hat sich inzwischen einiges an Aufklärungs- und Forschungsarbeit getan, es sind viele Gedenkstätten, Forschungsprojekte u.a. auch zu T4-Verbrechen entstanden, aber insgesamt scheint das Thema noch wenig in der Öffentlichkeit verankert zu sein. Ein aktuelles Beispiel dafür, wie wenig öffentliches Interesse an diesem Thema besteht, ist die Initiative zur "Schaffung eines würdigen Gedenk- und Erinnerungsortes für die Opfer der nationalsozialistischen 'Kindereuthanasie' " in Waldniel-Hostert (Rheinland). Dieser Ort war reichsweit einer von etwa 30 "Kinderfachabteilungen", in der etwa 100 Kinder ermordet wurden. Heute ist das Gelände dem Verfall preisgegeben. Jugendliche spielen dort jetzt ihre Gruselspiele und stellen sie anschließend ins Internet. Bisher gibt es im Rheinland keinen Ort, der an Euthanasieverbrechen erinnert. Auch das könnte noch geändert werden. Der Arbeitskreis zur Erforschung der NS-"Euthanasie und Zwangssterilisation hat hierzu eine Aktion gestartet (siehe Anhang). Vielleicht kann es jetzt keinen Großprozess zur Euthanasie mehr geben, dazu ist es zu spät. Aber dieses verbrecherische Geschehen konnte durch andere Mittel wieder mehr ins allgemeine Bewusstsein gelangen. Es wäre schön, wenn es dazu kommen könnte - genau das wäre eines der großen Ziele von Fritz Bauer gewesen. U.Dittmann (Nov.2012)
Anmerkung: Literatur: |