Widerstandsrecht und Menschenrechte "Widerstand bedeutet Eintreten für eigne oder fremde Menschenrechte, die vorenthalten, verletzt oder gefährdet werden". 1962 ist das Jahr vor dem Auschwitz-Prozess (1963-1965). Es ist auch ein Jahr nach der Gründung der "Humanistischen Union" im Jahr 1961, an der Fritz Bauer wesentlich mit beteiligt war. Und etwa seit drei Jahren liefen seine Ermittlungen gegen NS-Juristen und gegen Verantwortliche der Euthanasie-Aktionen (seit 1959). Widerstand ist einer Zentralbegriffe von Fritz Bauer, die sein Denken und Handeln prägten. Und wie in dem obigen Zitat zu sehen ist, ist es für ihn eng mit dem Eintreten für Menschenrechte und im weiteren Sinn auch für Menschenwürde verbunden. 1961 wird amnesty international gegründet Grundlage für amnesty international ist die Erklärung der Menschenrechte, die am 10.Dezember 1948 von den Vereinten Nationen verabschiedet worden ist. Diese Erklärung der Menschenrechte hat eine lange Tradition, in der sicherlich das Jahr 1776 in Amerika und die Französische Revolution von 1789 eine besondere Rolle spielen. 1961 entsteht auch die Humanistische Union in Deutschland "Im Mittelpunkt steht für uns die Achtung der Menschenwürde. Wir engagieren uns für das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und wenden uns gegen jede unverhältnismäßige Einschränkung dieses Rechts durch Staat, Wirtschaft und Kirchen."(2) Sicherlich unterscheiden sich die Humanistische Union und amnesty international in ihrem konkreten Handeln, die Grundmotive sind aber durchaus vergleichbar. Amnesty international geht es um die Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen und die Bestrafung der Täter, man arbeitet u.a. gegen Folter, Todesstrafe, politischen Mord und Verschwindenlassen von Menschen. Auch das spielt bei Fritz Bauer eine Rolle. Nun ist er in erster Linie mit der Aufarbeitung der NS-Verbrechen beschäftigt. Sein Ansatz geht aber weit darüber hinaus. Allerdings findet er in Deutschland ein völlig anderes Umfeld vor als Peter Benenson seinerzeit in England. Deutschland befindet sich noch in der Adenauer-Ära, in der in den 50iger Jahren Hans Globke im Bundeskanzleramt und Hermann Weinkauff am Bundesgerichtshof wesentlich das politische und juristische Geschehen prägen - mit den Nachwirkungen weit in die 60iger Jahre hinein. Menschenrechtsimpulse haben es in dieser Zeit in Deutschland nicht leicht. Fritz Bauer geht es dabei zum einen insbesondere um die "Humanität der Rechtsordnung", verbunden mit zahlreichen Vorschlägen zur Strafrechtsreform, aber darüberhinaus auch um eine konkrete Verfolgung der NS-Verbrechen, wobei sich die Anliegen von ihm und von ai in einem Punkt treffen: es geht gegen die Straflosigkeit von Menschenrechtsverletzungen und für das Eintreten für Menschenrechte. Gerade der Begriff der Straflosigkeit spielt hier eine besondere Rolle. Das Jahr 1215 In einem weiteren wegweisenden Aufsatz von 1962 äußert sich Fritz Bauer dazu folgendermaßen (3): "Ihre bedeutendste Formulierung fanden Widerstandsrecht und Widerstandspflicht im Sachsenspiegel: 'Der Mann muss auch seinem König, wenn dieser Unrecht tut, widerstehen und helfen, ihm zu wehren in jeder Weise, selbst wenn jener sein Verwandter oder Lehnsherr ist. Damit verletzt er seine Treuepflicht nicht.' Der Sachsenspiegel stammt aus dm Jahr 1215. Es ist das Jahr der Magna Charta, die ihrerseits das Widerstandsrecht der englischen Barone geregelt hat. England und die ganze demokratische Welt blicken stolz auf das Jahr 1215. Deutschland, dessen Demokratie bisher historische Markensteine zu entbehren schien, hätte allen Anlass, seines Jahres 1215 zu gedenken, in dem Eike von Repgow dem Selbstbewusstsein und der Selbstverantwortung deutscher Menschen ein Denkmal setzte. Der Sachsenspiegel hat zwar nicht wie die Magna Charta Schule und Geschichte gemacht, er ist aber doch ein auch noch in unsere Zukunft weisendes Zeichen demokratischer Mündigkeit." (Hervorhebung von U.D.) Fritz Bauer führte im weiteren aus, dass das Widerstandsrecht germanisch sei. "Es ist dem demokratischen Denken und Handeln der Germanen zu danken. Was wir nicht im Corpus Juris finden, steht unter anderem in der Edda, deren Volksversammlungen und Gesetzessprecher mit ihren Herrschern wie mit 'Schweinehirten' umsprangen."(4) Widerstand gab es zwar auch in Rom, z.B. tötete Brutus den Cäsar. "Aber ein Widerstands-recht oder eine Widerstands-pflicht waren dem Imperium Romanum, dem Weltreich der Cäsaren fremd." (5) Mittelalter und Widerstandsrecht In der Bibel gibt es in Hinblick auf den Staat bzw. die Obrigkeit sehr unterschiedliche Sichtweisen, die z.T. gegensätzlich sind und sich gegenseitig ausschließen. Zum einen ist da das Pauluswort, nach dem jedermann der Obrigkeit , die Gewalt über ihn hat, untertan sein sollte, denn es "ist keine Obrigkeit ohne Gott". Die entgegengesetzte Auffassung findet man in dem Satz der Apostelgeschichte "Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen". Schließlich gibt es noch die Kompromissformel im Markusevangelium: "Gebt dem Cäsar, was des Cäsars ist, und Gott, was Gottes ist". - Die katholische Kirche hatte dann eine "Tyrannenlehre" (mit Bezug auf Cicero) entwickelt und bezog das Widerstandsrecht damit auf einen "Tyrannen", denn der Tyrann sei nicht Obrigkeit, sondern nutzte den Staat für sich aus. "Insofern war das germanische Widerstandsrecht von der katholischen Kirche rezipiert. In einem wichtigen Punkt nahm sie jedoch eine Änderung vor. In Abweichung von dem germanischen Widerstandsrecht, das demokratisch jedem Freien zustand, wurde das Widerstandsrecht der Kirche aristokratisch ausgestattet. Es wurde den 'majores' oder 'meliores' anvertraut, womit in erster Linie der Klerus gemeint war. Diese Einschränkung ist auch für die heutige Diskussion noch von Belang; sie wird in der katholischen Diskussion, aber auch in protestantischen Kreisen ... vertreten."(7) In anderer Form taucht die Form einer Einschränkung des Widerstandsrechts auch in den 50er Jahren bei Hermann Weinkauff, dem Präsidenten des Bundesgerichtshofes, auf. Protestantismus und Widerstandsrecht Erst nach dem Zusammenbruch des NS-Staates gibt es hier wieder eine neue Diskussion. Der Bezug zu Luther ist dabei nicht ganz einfach. Immerhin spielt das Berufen auf das Gewissen eine wichtige Rolle. Auch der Satz aus der Apostelgeschichte "Du sollst Gott mehr gehorchen als den Menschen" taucht in zahlreichen Variationen bei ihm auf. Luther kennt den Ungehorsam, den passiven Widerstand. Einen aktiven Widerstand sah er nur für den Fall einer völligen Pervertierung des Staates. Widerstandsrecht in England und Amerika "Heimstätte des Widerstandsrechts wurde in der Folge England und dann Amerika. Die Magna Charta schuf einen Widerstandsausschuss von 25 Baronen, aus dem sich das Unterhaus und die englische Demokratie entwickelte." (9) Die amerikanischen Staaten haben dann die Menschenrechte konstituiert - das Widerstandsrecht gehörte dazu. Massachussetts drückte es 1775 mit folgenden Worten aus: "Widerstand ist weit davon entfernt, verbrecherisch zu sein. Es ist christliche und soziale Pflicht eines jeden." (10) Widerstandsrecht in Deutschland Immer wieder kritisiert Fritz Bauer Kant und Hegel. Ethisches Handeln bedeute nach Kant Pflichterfüllung ohne Rücksicht auf Inhalt und Zweck des Tuns; ein Widerstandsrecht wird von Kant ausdrücklich bestritten. (12) Und "Hegel vergötzte den Staat, indem er die reine Staatsräson eines Macchiavellismus in den Bereich einer politischen Ethik erhob... Die Gegner der Staatsräson und seiner Machtphilosophie bezeichnete er als 'kannegießerndes Publikum, eine interesse- und vaterlandslose Menge, deren Ideal von Tugend die Ruhe der Bierschänke ist'. So lehrte er den Gehorsam gegenüber der Realität und die normative Kraft des Faktischen. Die Juristen zogen die Konsequenzen eines sturen Gesetzespositivismus.... Reichs- und Kammergericht folgten...Nach dem Kammergericht ist der 'Staat als höchste Rechtsmacht rechtlich an keine Schranken mehr gebunden'...Damit war Auschwitz von vornherein legalisiert. (13) Erst die Opposition im NS-Staat hat sich des Widerstandsrechtes erinnert. Fritz Bauer schreibt dazu: "Professor Kurt Huber hat im Schlusswort des Prozesses gegen die Geschwister Scholl nach Jahrzehnten, ja fast Jahrhunderten fast völligen Verschweigens eines Rechts oder einer Pflicht zum Widerstand die Grenzen jeder Staatsgewalt umrissen. ' Es gibt für alle äußere Legalität des Bürgers eine Grenze, wo sie unwahrhaftig und unsittlich wird. Legales Verhalten des Bürgers wird unsittlich, wenn es zum Deckmantel einer Feigheit wird, die sich nicht getraut, gegen offensichtliche Rechtsverletzungen aufzutreten." (14) Widerstand und Menschenrechte "Nicht jeder Kampf für ein neues - besseres oder schlechteres - Gesetz ist Widerstand. Widerstand meint Verwirklichung eigener oder fremder Menschenrechte. (hervorgehoben von U.D.) Widerstand ist ein Spezialfall der Notwehr oder - wenn Widerstand zugunsten Dritter ausgeübt wird - der Nothilfe. Er setzt einen Angriff oder Eingriff in Grundrechte oder ihre Vorenthaltung voraus. Da aber Menschenrechte keinen statischen Inhalt ein für allemal haben, umfasst Kampf für sie nicht nur Widerherstellung eines früheren, verlorengegangenen Status, er kann auch einem Neuland gelten, das zu erobern ist." (15) Das Widerstandsrecht gilt für Fritz Bauer nicht nur im innerstaatlichen Bereich, sondern überschreitet auch die nationalen Grenzen. "Es steht nicht nur jedermann zu, sondern kann auch zugunsten von jedermann ausgeübt werden." (16) Beispiele sieht Bauer hier etwa in der "resistance" oder auch im Verhalten des General Osters, der die neutralen, auch durch Nichtangriffspakte geschützten Länder Dänemark, Norwegen, Belgien und Holland vor dem deutschen Angriff warnte (allerdings ohne dass seinen Informationen geglaubt wurde). Im weiteren erinnert Bauer auch an Gandhi oder den südafrikanischen Anti-Apartheids-Politiker und Friedensnobelreisträger Albert Luthuli. (17) Aber Bauer betont, "der große Widerstand im Unrechtsstaat bleibt nur möglich, wenn der kleine Widerstand gegen das Unrecht im staatlichen Alltag geübt und wie eine kostbare Pflanze gehegt und gepflegt wird". (18) Ein wichtiger Satz, den man durchaus beherzigen sollte. Und damit wirkt Fritz Bauer auch in die Zukunft hinein. Es ist einfach zu eng, Fritz Bauer nur im Zusammenhang mit den NS-Verbrechen zu sehen. Sein Impuls ging weit darüber hinaus. Zu empfehlen ist hierbei das Buch von Perels/ Wojak: "Die Humanität der Rechtsordnung", in dem zahlreiche Aufsätze von Fritz Bauer über Widerstandsrecht, Menschenrechte und eine humane Rechtsordnung erschienen sind. Es ist erhältlich über das Fritz Bauer Institut in Frankfurt a.M. (www.fritz- bauer-institut.de)
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