Fritz Bauer - ein deutscher Generalstaatsanwalt Die Bezeichnung "Fritz Bauer -ein deutscher Generalsstaatsanwalt" klingt so normal und selbstverständlich - und ist sie doch nicht. Immer wieder wird bei Fritz Bauer auf dessen jüdische Wurzeln verwiesen, teilweise wird er auch als Jude gesehen und als solcher bezeichnet. Nicht nur im 3.Reich oder im Exil in Dänemark, als er sozusagen als deutscher "Jude" nach Schweden fliehen musste, um der Gestapo zu entgehen. Etwas merkwürdig Verqueres und Tragisches liegt hier vor, denn Fritz Bauer hat sich im Grunde selbst nicht als Jude gesehen und empfunden - er wurde zum "Juden" gemacht - von seinen Gegnern, aber auch von seinen Freunden und Unterstützern. Und das ist schon eine eigenartige Angelegenheit. Fritz Bauer kommt zwar aus einer jüdischen Familie, aber schon seine Eltern hatten keine größeren Bezüge zum Judentum. Sie waren assimilierte deutsche Juden. Irmtrud Wojak beschreibt in ihrer Bauer Biographie, dass schon die Eltern von Fritz Bauer nicht mehr in die Synagoge gingen, auch nicht an hohen Festtagen. Sie waren ganz eingebunden in ihrer deutschen Umgebung. (1) Im Grunde waren sie - und auch schon die Großeltern - eher patriotisch, ganz im Denken und Fühlen der wilhelminischen Zeit eingebunden. Der Vater war in Stuttgart im Regiment "Olga" und kämpfte im 1.Weltkrieg selbstverständlich auf deutscher Seite. Er erhielt einen Verdienstorden und war später - als alter Mann in den 30iger Jahren - völlig irritiert über den ausgrenzenden und widerwärtigen Antisemitismus der Hitlerzeit. Er wurde ausgegrenzt - und verstand die Welt nicht mehr. Ein Kindheitserlebnis "Das Berufsbild, das ich mir als Elfjähriger machte (er wollte "Oberstaatsanwalt" werden, Anm. U.D.), hatte seine Geschichte. Der "staatliche Rechtsanwalt", der mir damals vorschwebte, entsprach dem Polizisten mit Pickelhaube, Schleppsäbel und martialischem Schnurrbart, der mir noch einige Jahre zuvor als das Großartigste auf Erden erschienen war, aber meinen Ansprüchen nun nicht mehr genügte. Warum ich aber Polizist werden wollte, weiß ich noch ganz genau. Als ich einige Wochen in die "Elementarschule" ging, zeigte der Lehrer eine kleine Büchse und fragte, was wohl drinnen sei. Wir riefen "Schreibfedern", "Schwamm" und alles mögliche andere. Alles war falsch. Endlich antwortete ich "Luft" und bekam die Büchse. Einige meiner Kameraden waren sehr böse. Sie wollten die Büchse. Dabei schrie einer (und andere folgten ihm nach): Du und deine Eltern, Ihr habt Christus umgebracht! Nach einigen Minuten wurde es ihnen zu dumm und zu langweilig, sie hörten damit auf. Bei meiner Mutter suchte ich mir Trost. Sie bemühte sich redlich. Trotzdem war ich sehr unglücklich. Damals wollte ich Polizist werden, weil man ihm mit seinem Säbel nichts anhaben konnte." (2) Und er berichtet weiter: "Aber es ging doch noch einiges mehr in meinem Kopf herum. Die Polizisten sind dazu da, dass niemandem Unrecht geschieht, und ich hatte das Gefühl, es geschehe mir Unrecht. Dass Unrecht geschehen könne, war mir eine neue Erfahrung. Ich war auch über Christus, den Prozess gegen ihn und die Kreuzigung, erschrocken. Das sei damals gewesen, sagte mir meine Mutter, heute würde dergleichen bestimmt nicht mehr vorkommen. Damals, so resümierte ich, hat es noch keine Polizisten gegeben, sie hätten sicher verhütet, dass etwas Verkehrtes geschehe."(3) Dieses Kindheitserlebnis war für Bauer ein wichtiger Einschnitt, und zwar in der Hinsicht, dass sein Gerechtigkeitsgefühl angesprochen wurde. Hier entwickelte sich auch sein Widerstandswille und ein "Tagtraum" von einer besseren, einer guten Welt. Antisemitische Erfahrungen in der Studentenzeit "Der Umzug (nach München, Anm. U.D.) mag auch mit dem Ärger oder gar Tiefschlag zu tun gehabt haben, den er erlitt, als man ihn als Juden bei einem studentischen Sportclub in Heidelberg abwies und er das Kanu, das er mit einem nichtjüdischen Freund teilte, verkaufen musste. Jedenfalls wurde die Münchener Zeit für Fritz Bauer zu einer Erfahrung, die ihn vor allem wegen seiner jüdischen Herkunft herausforderte und ihn zu einem politischen - was bei ihm hieß: zu einem republikanischen - Juristen machte. Denn kaum in München angekommen, geschah das Attentat, das man als den Beginn der größten Krise der Weimarer Republik bezeichnen kann: die Ermordung des Reichsaußenministers Walther Rathenau."(4) Und in München sieht er zudem als erstes auch die großen Plakate mit der Aufschrift: "Juden ist der Zutritt verboten." Er sah die "Radauumzüge" der Nationalsozialisten und hatte nach dem Tod Rathenaus mit seinen Freunden dort das Gefühl, dass "die Weimarer Demokratie, an der unser Herz hing, um der Grundrechte willen, dass sie gefährdet war."(5) Eine Anmerkung sei an dieser Stelle angebracht. Auch Carl Schmitt, der spätere reaktionäre Völkerrechtler und Opportunist, wechselt im selben Jahr nach München. (6) Er hat aber eine ganz andere Wahrnehmung von der Stadt. Die antijüdischen Plakate spielen in seiner Wahrnehmung kaum eine Rolle, falls er sie überhaupt wahrgenommen hat. Bauer wird Mitglied der SPD Das "Reichsbanner" war 1924 als Gegenorganisation zum deutschnationalen "Stahlhelm" gegründet worden. "Um staatlichen Repressionen keine Angriffsfläche zu bieten, riefen die Initiatoren eine überparteilich republikanische und keine sozialdemokratische Organisation ins Leben, hoffend, auf diese Weise weniger den Anfeindungen von rechts ausgesetzt zu sein... Bereits im Oktober 1924 zählte das Reichsbanner 2,25 Millionen Mitglieder, im Februar 1925 drei Millionen. Zu 90% kamen sie aus den Reihen der Sozialdemokratie." (7) Das "Reichsbanner" verstand sich als "Republikschutzorganisation" und machte den Rechten Begriffe wie "Vaterland" und "Nation" streitig. Man sprach betont von "wahrer Volksgemeinschaft", die einen Volksstaat ohne soziale Privilegien bilden sollte. Allerdings blieb das "Reichsbanner" als Kampfbund sowohl in der SPD als auch in anderen Parteien wegen seiner paramilitärischen Organisationsform und seines Bekenntnisses zur bürgerlichen Republik umstritten. (8)
Auch in SPD-Kreisen wird Bauer zunächst als Jude gesehen "Laut Helmut Mielke war Bauer ' damals der einzige Jude', der öffentlich auftrat und 'durch sein Wissen großen Eindruck' machte... Er ging oft mit ihm zum Berthold-Auerbach- Verein, wo Bauer als Sozialdemokrat geredet habe. Er sei 'bei den Juden auch sehr bekannt, aber nicht sehr beliebt' gewesen, denn er habe keine 'jüdische Gesinnung' zur Schau getragen. Kurzum: 'Der Fritz war ein bisschen ein Außenseiter.' "(9) Es ist schon merkwürdig, wie Bauer selbst unter Sozialdemokraten zunächst als Jude - und weil er sich aber als solcher nicht empfindet- als "Außenseiter" gesehen wird. Trotzdem bestehen zu den Parteifreunden gute und freundschaftliche Kontakte. Nach 1933 - Verhaftung und Emigration Fritz Bauer wird in der 2.Verhaftungswelle um den 23.März 1933 festgenommen bzw. "in Schutzhaft genommen". Verhaftet wurde er als Richter, der der SPD und zugleich dem inzwischen aufgelösten Reichsbanner angehörte. Er wurde auf dem Heuberg inhaftiert, das damals das erste Konzentrationslager in Württemberg war. Schon Ende März 1933 waren bereits 2000 "Schutzhäftlinge" dort untergebracht. Die Verhaftung erfolgte hier also, weil er Mitglied der SPD und des Reichsbanners, nicht weil er Jude war. Er blieb dort etwa 8 Monate und wurde dann nach einer kurzen Verlegung auf den Oberen Kahlberg freigelassen. - Inzwischen hatte er aber seine Entlassung aus dem Justizdienst erhalten. Am 7.April 1933 hatte es das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" gegeben. Als Richter mit jüdischem Hintergrund war er nun ausgegrenzt und nunmehr ohne berufliche Zukunft. (10) 1936 emigrierte er schließlich nach Dänemark. Hier in Deutschland war er durch die Gesetze als Jude diskriminiert worden. Aus den Jahren vor der Emigration gibt es kaum Unterlagen oder Berichte von ihm, auch nicht zu den Nürnberger Rassegesetzen von 1935, die in diese Zeit fielen. Da er nicht zu denen gehörte, die glaubten, man werde als Jude die Nazis überstehen - im Gegensatz zu vielen anderen Juden, die glaubten, die Nürnberger Gesetze werden einen Schlusspunkt unter die antisemitischen Maßnahmen des Regimes setzen - zog er die Konsequenzen und verließ das Land. Noch ging es relativ leicht. Fritz Bauers Schwester Margot war schon 1934 mit ihrem Mann nach Kopenhagen gegangen, da es dorthin Geschäftskontakte gab, die ihr die Ausreise erleichterten. Margot und Walter Tiefenthal konnten dort eine neue Existenz in der Textilbranche aufbauen und ließen ihre beiden Söhne, den 6jährigen Rolf und den 3jährigen Peter, im Juni 1935 nachkommen. Im Exil in Dänemark Immerhin gab es als wichtige Hilfsorganisation in Dänemark das "Komitee der Jüdischen Gemeinde" sowie ein "Komitee zur Unterstützung landesflüchtiger Geistesarbeiter" von Arge Fries. Dann gab es aber noch das "Matteotti- Komitee" der Sozialdemokratischen Partei und der Gewerkschaft. Dies war ein Netzwerk von Freiwilligen, die verfolgten Sozialdemokraten Hilfe und finanzielle Unterstützung gewährten. (11) Allerdings war es für Fritz Bauer nicht einfach, hier Unterstützung zu erhalten, da er zum einen eine Zusammenarbeit mit KPD-Flüchtlingen nicht ausschloss (was das Matteotti-Komitee nicht befürwortete) und dazu noch jüdischer Herkunft war. Auch sein ordentlicher Pass machte ihn zunächst noch verdächtig. Man wusste nicht, ob er wirklich ein politisch Verfolgter war oder ein Spitzel aus Nazi-Deutschland. Es bedurfte eines einstündigen Gespräches mit dem späteren Ministerpräsidenten Hedthoft, um ihn und das Matteotti-Komitee zu überzeugen. Schließlich wurde Bauer als politischer Flüchtling anerkannt und erhielt eine Aufenthaltsgenehmigung in Dänemark. (12) Nach einigen Querelen wegen der Verlängerung der Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis im Jahr 1937 (die deutsche Konsularabteilung hatte den Pass von Bauer nicht mehr verlängert) wurde Oluf Carlsson tätig und beantragte am 3.Juli 1937 im Namen des Matteotti- Komitees und des dänischen Gewerkschaftsverbandes einen Flüchtlingspass für Fritz Bauer mit der Begründung, dass er sich als Repräsentant für eine tschechische Firma in Schweden und Norwegen betätigen würde. Da es Geldsorgen gab, war auch eine Erlaubnis für ihn wichtig, für ausländische Zeitungen schreiben zu können. So schrieb er u.a. auch für die "Central-Verein Zeitung - Allgemeine Zeitung des Judentums", wobei das Honorar nicht zu ihm ins Ausland, sondern an seine Eltern in Stuttgart. geschickt wurde. In dieser Zeitung schrieb er u.a. den "Sonderbericht" mit dem Titel "Die glückliche Insel Dänemark", der am 24.Dezember 1936 in Berlin erschien. So konnte er für die in Deutschland zurückgebliebenen Juden schreiben, sie ermutigen und auf einen möglichen Ausweg bzw. Fluchtweg hinweisen. Ein besonderer Hinweis in dem Artikel galt dem Theaterstück "Hinter den Mauern" von Henri Nathansens, das in Kopenhagen seit einiger Zeit aufgeführt wurde und das dänische Pendant zu Lessings "Nathan der Weise" war. Darin ging es um die Frage, ob man seine Kinder richtig erziehe, wenn man bloß wolle, dass sie einmal rechte Christen oder rechte Juden werden sollten. Bauer zitiert hier den Satz: "Menschen sollen sie werden." (13) Immer wieder, selbst in dieser Situation, kommt der menschheitliche Ansatz von Bauer zum Ausdruck. Es sei gleich, ob man Jude oder Christ sei, wichtig sei eben, dass man "Mensch" ist. In dem Artikel kommt indirekt auch ein Abstand von Bauer zum Zionismus zum Ausdruck, wie bei den meisten Deutschen mit jüdischen Wurzeln, die sich in erster Linie als Deutsche oder Europäer fühlten. In Dänemark selber fühlte er sich relativ wohl und lernte zahlreiche junge Sozialdemokraten kennen. Beziehungen zur jüdischen Emigration bzw. zur jüdischen Gemeinde hatte er nicht. Für Irmtrud Wojak liegen die Ursachen für diese Distanz wahrscheinlich - wie schon früher in Stuttgart - in seiner sozialistischen Überzeugung und seinen politischen Aktivitäten. "Seine linke Position ließ sich nicht mit einer jüdischen Emigration in Einklang bringen, die sich selbst als politisch neutral bezeichnete." (14) 1938 - offizielle Ausbürgerung von Bauer aus Deutschland Grundlage für die Ausbürgerung waren die Richtlinien vom Chef der Sicherheitspolizei und des SD, Reinhard Heydrich, die besagten, dass bei Emigranten, die Spitzenfunktionäre der KPD und der SPD waren, die Tatsache des Aufenthalts im Ausland genüge, um gegen sie das Verfahren der Aberkennung der deutschen Reichsangehörigkeit einzuleiten. Im Falle von Bauer nahm in Berlin der Chef des Judendezernats im Geheimen Staatspolizeiamt, Kurt Lischka, den Antrag entgegen. Am 23.September 1938 hatte Bauer dann die deutsche Staatsangehörigkeit verloren. "Arisierung" der Geschäfte der Familie Bauer Das Geschäft in Stuttgart von Fritz Bauers Brüdern Ludwig und Julius Bauer sowie ihrem Neffen Manfred Bauer, eine Webwaren-Großhandlung war am 24.Oktober 1938 "arisiert" worden und wurde von den Kaufleuten Hugo Eisele und Otto Bossert weitergeführt. - Die Eltern von Fritz Bauer litten unter den Verfolgungen in Tübingen, kamen aber nicht ins KZ. Sie konnten schließlich am 1.1.1940 nach Dänemark ausreisen. Die Habgier, die bei vielen NS-Volksgenossen im Rahmen der Arisierung zu beobachten war - und hier am Beispiel der Familie Bauer exemplarisch erscheint, ist ausführlich und eindrücklich in dem Buch von Götz Aly über "Hitlers Volksstaat" beschrieben worden. (16) Ein weiterer Zug niederer Gesinnung war der skrupellose Karriererismus, der sich bei vielen Akademikern und Intellektuellen zeigte, die plötzlich freiwerdende Stellen besetzen oder beruflich aufsteigen konnten. Als besonders herausragendes und niederträchtiges Beispiel von Neid, Missgunst und Intrige ist hier insbesondere der "Völkerrechtler" Carl Schmitt zu nennen, stellvertretend für viele andere. (17) Allerdings sind nicht nur Neid, Missgunst, Profitgier und Karrierestreben Kennzeichen dieses Antisemitismus, deren Opfer jüdische Mitbürger wurden. Eine ganz zentrale Rolle spielt hier noch eine besondere Form der "Moralität" auf die Raphael Gross in seinem beeindruckenden Buch über die nationalsozialistische Moral hinweist. (18). Der hohe Grad der Zustimmung in der Bevölkerung mag gerade mit dieser besonderen "Moralität" zusammenhängen (mit Werten wie Anstand, Treue, Ehre, Kameradschaft usw.), die aber nur für eine bestimmte Gruppe (den NS-Volksgenossen) galt. Andere waren von dieser "Moralität" ausgeschlossen, was für Minderheiten im Reich dann zur Katastrophe führte. Und diese Form von "Moral" als Gefüge tiefsitzender Wertungen und Haltungen mit der Form von Ausgrenzungen im Rahmen einer partikularen Moral erhält sich dann auch über den Zusammenbruch von 1945 hinaus und wird weiterhin ein Problem, nicht zuletzt sichtbar in der Walser-Bubis-Debatte von 1998.(19) Bauer im Exil in Schweden und Wunsch nach Rückkehr ("aus politischen Gründen") Nach dem Krieg kehrt er gleich - am 7.Juni 1945 - nach Dänemark zurück und überlegt, wieder nach Deutschland zurückzugehen. Für die meisten jüdischen Emigranten war dieser Gedanke eine Zumutung. Er selber fühlte sich aber eher als politischer Emigrant (mit Sehnsucht nach seiner schwäbischen Heimat) und erklärte z.B. dem Sozialdemokraten Kurt Heinig gegenüber seine prinzipielle Entschlossenheit, "aus politischen Gründen" zurückzukehren. Später wird er sich zu seinen Motiven für die Rückkehr folgendermaßen äußern: "... weil ich glaubte, etwas von dem Optimismus und der Glaubwürdigkeit der jungen Demokraten in der Weimarer Republik, vom Widerstandsgeist und Widerstandswillen der Emigration im Kampf gegen staatliches Unrecht mitbringen zu können. (...) Schon einmal hatte die Justiz, als es galt, die Demokratie zu verteidigen, ihre Macht missbraucht, und im Unrechtsstaat der Jahre 1933 bis 1945 war der staatlichen Verbrechen kein Ende. Ich wollte ein Jurist sein, der dem Gesetz und dem Recht, der Menschlichkeit und dem Frieden nicht nur Lippendienste leistet." Rückkehr nach Deutschland In Braunschweig fühlte sich Bauer als Jurist, der wieder die Nähe zur SPD suchte, sich oft in der dortigen SPD-Zentrale im Volksfreundehaus in der Schlossstraße aufhielt, obwohl er auch oft Kritik an den Zuständen in der Partei übte. Hier suchte er auch seine menschlichen Kontakte und lernte zum Beispiel die Familie Ausmeier kennen, mit der er jahrelang befreundet war und die ihn auch später noch in Frankfurt besuchten. (21) Andererseits wurde er aber auch in Braunschweig als Jude wahrgenommen, insbesondere auch bei seinem Remer-Prozess. Dass es ihm hier um Aufklärung und Aufarbeitung der Vergangenheit ging und nicht um Vergeltungsjustiz, spielte für viele kaum eine Rolle. Das Eigenartige ist, dass er später - nach seinem plötzlichen Tod 1968 - auch von seiner Partei, der SPD, fast ganz vergessen wurde. Anders war es dann in Frankfurt, als später zunächst der Förderverein für ein Fritz Bauer Institut gegründet wurde (1993) und schließlich im Januar 1995 das Fritz Bauer Institut entstand, als "Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte und Wirkung des Holocaust". Hier wurde aber der Name Fritz Bauer in erster Linie wieder mit der jüdischen Seite der NS-Verbrechen verbunden. Hiermit ist im Grunde eine eigenartige Ambivalenz verbunden. Fritz Bauer hat sich ja nicht nur mit dem Holocaust beschäftigt. Schon in Braunschweig beim Remer-Prozess ging es ihm um die Männer des 20.Juli und deren Rehabilitierung, dabei auch um die Frage des Widerstandes und einer Begründung des Widerstandsrechtsrechtes (wobei er sich letztlich auf die Magna Charta und den Sachsenspiegel von Eike von Repgow aus dem Jahre 1215 bezog und den Kern des germanischen Widerstandsrechtes herausarbeitete). Bei den Ermittlungen gegen Schlegelberger und anderen NS-Juristen ging es ihm nicht in erster Linie um den Holocaust, sondern darum, wie Juristen ihre Macht missbrauchen und zu willfährigen Handlangern eines Unrechtssystems werden konnten. Auch bei den Ermittlungen zur NS-Euthanasie spielt der Holocaust keine weitere Rolle. Hier ging es um die Verbrechen der Krankenmorde, um ihre Durchführung und ihre Legitimierung. Auch diese Verbrechen und ihre Aufarbeitung lagen Fritz Bauer am Herzen. Insofern ist der Holocaust nur eines - wenn auch eines der bedrückendsten Themen von Bauer. Er selber sah sich als Anwalt der Menschlichkeit. Das Verdienst des Fritz Bauer Institutes ist es schließlich, dass er nicht ganz und gar vergessen wurde. Allerdings geht sein Anliegen insgesamt weit über die Aufarbeitung des Holocausts hinaus. Er wollte einerseits einen Widerstandsbegriff neu begründen und für eine Justiz eintreten, die sich an universellen Werten orientiert. Immer wieder suchte er dazu die Nähe die SPD, nicht zuletzt in seinem Aufsatz zur großen Strafrechtsreform der SPD von 1959, in dem er humane Kriterien für ein neues Strafrecht entwickelte, das über das alte Vergeltungstrafrecht hinausging. Bildhaft wollte er es ersetzen durch das Bild einer neuen Justitia, die nicht mehr mit verbundenen Augen die Waage hält, sondern mit offenen Augen die Menschen in ihren Händen trägt. Es wäre schön, wenn insgesamt der menschheitliche Ansatz von Fritz Bauer zum Tragen käme, der eigentlich über die Grenzen und Parteien und Religionen hinausgeht. Er war ein Mensch mit jüdischen Wurzeln, er fühlte sich aber als Deutscher mit universellen Werten - der Würde des Menschen und den Menschenrechten verbunden. In dieser Weise kann er vielen ein Vorbild sein, insbesondere auch hinsichtlich der Bereitschaft, gegen den Strom zu schwimmen, wenn es heißt, sich für Menschen und ihre Rechte einzusetzen. Udo Dittmann Anmerkungen: |