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Frankfurter Rundschau 13.03.2003
 

Und noch ein Ethikrat

CDU/CSU stellt eigene Expertenrunde zu Gentechnikfragen auf /
Unionsabgeordnete sehen interne Disziplinierungsversuche

Über mangelnde Ethik-Ratgeber kann Deutschland nicht klagen: Zur
Kanzler-Mannschaft "Nationaler Ethikrat" und dem Team der
Bundestags-Enquetekommission "Ethik und Recht der modernen Medizin"
gesellt sich nun ein dritter Rat - die Union hat eigene Experten in
einem "Wissenschaftlichen Beirat für Fragen der Bio- und Gentechnologie"
neu formiert, offenbar um die in Bioethikfragen gespaltenen eigenen
Leute auf Linie zu bringen.

Von Corinna Emundts (Berlin)

Ausgerechnet das Aushängeschild des Ethikrats war dem Kanzler Mitte
Februar abhanden gekommen: Ernst-Ludwig Winnacker, Präsident der
Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) kehrte dem Nationalen Ethikrat
"aus Zeitnot" den Rücken. Auch Lothar Späth (CDU) fehlt nun auf der
Mitgliederliste des Beratergremiums des Kanzlers. Als politisches Signal
sind diese Abgänge fatal, weil sie die Expertenrunde, die ohnehin von
Anfang an gegen Zweifel an ihrer Unabhängigkeit kämpfte, der
Bedeutunglosigkeit ein Stück näher bringt.

War der Ethikrat für den DFG-Chef nicht mehr wichtig genug, nachdem sich
die DFG mit ihrer Position in puncto Stammzellen-Import durchgesetzt
hatte? Winnacker glänzte bei Sitzungen von Anfang an mit hohen
Abwesenheitszeiten. Inzwischen ist die Arbeit des Ethikrates mit neu
gegründeten Arbeitsgruppen zu anstehenden Entscheidungen noch
zeitintensiver geworden, so dass er die Mitgliedschaft aus Zeitgründen
aufgab - ähnlich argumentierte Späth. Über Nachfolger hat der Kanzler
bislang nicht entschieden

Doch die Konkurrenz ruhte nicht. Die stellvertretende
Fraktionsvorsitzende Maria Böhmer (CDU), die gemeinsam mit Horst
Seehofer (CSU) den frisch erstarkten Beirat der Unionsfraktion
koordiniert, machte sich das Ethikthema in Parlament und Fraktion derart
aktiv zu eigen, dass sie nun gar ihre Parteichefin Angela Merkel dazu
brachte, zur Präimplantationsdiagnostik (PID) - einer umstrittenen
Gendiagnose in der Fortpflanzungsmedizin - öffentlich ihre Meinung zu
ändern.

Demonstrativ stellte sich Merkel bei der Vorstellung des
"Wissenschaftlichen Beirates für Fragen der Bio- und Gentechnologie" an
die Seite Böhmers, die in der Unionsfraktion den wertkonservativen und
sehr forschungsskeptischen Flügel vertritt. "Ein Mensch sollte über den
anderen nicht richten - das ist ein wichtiger Grundsatz", gab Merkel am
Dienstagabend die Marschrichtung ihrer Fraktion vor.

In dem allgemein klingenden Satz verbirgt sich mehr Festlegung, als
manchem Unionsabgeordneten lieb ist. Dahinter steckt die von Böhmer und
Seehofer unterstützte Position, die PID abzulehnen.

In anderen europäischen Ländern ist diese genetische Diagnostik erlaubt.
Sie ermöglicht es, menschliche Embryonalzellen nach einer künstlichen
Befruchtung auszusortieren, wenn bei ihnen Gendefekte festgestellt
wurden. In Fraktionskreisen wird deshalb die Einsetzung des
zwölfköpfigen Unions-Beirates - der der Besetzungslogik des
Schröder-Ethikrates genauso gleicht wie der Ethik-Enquete des Parlaments
- als interne Disziplinierungsmaßnahme interpretiert. Offiziell
bekundete Angela Merkel am Dienstag, im Abwägungsprozess zwischen
menschlicher Würde und den Forschungsinteressen, der die Politik im 21.
Jahrhundert bei Gentechnikfragen begleiten werde, "brauchen wir guten
Rat".

Die Ratgeber der Unionsfraktion sind unter anderen der ehemalige
Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Ernst Benda, sowie die
DFG-Koordinatorin Anna Wobus, verschiedene Biologen sowie Vertreter von
Behindertenverbänden und Kirchen. In der von der SPD geleiteten
Enquetekommission des Bundestages konnten sich ebenfalls durch die
Berufung von René Röspel die gemäßigten Forschungsskeptiker durchsetzen.
Insofern deutet sich bei aller Beirats-Konkurrenz eine Konsenslinie
zwischen den Parteien für diese Legislaturperiode bereits an - zumindest
was die Gentechnik beim Menschen betrifft.
 

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