Forum Bioethik Texte des Ethik-Institutes IMEW zu verschiedenen Gebieten:
 

IMEW konkret  3

Präimplantationsdiagnostik – ein fragwürdiges Verfahren
von Sigrid Graumann

Präimplantationsdiagnostik (PID) ist die Gendiagnostik an im Labor gezeugten
Embryonen. Hierzulande ist die PID durch das Embryonenschutzgesetz verboten.
In vielen anderen Ländern wird sie praktiziert. 

Das Verfahren
Aus medizinischer Sicht ist die PID ein aufwendiges, belastendes, wenig
erfolgversprechendes und risikoreiches Verfahren: 
Für die PID muss eine Laborbefruchtung (IVF) durchgeführt werden. Die Frau
wird mit Hormonen behandelt, damit mehrere Eizellen reifen. Für die PID
werden ca. 12 Eizellen benötigt. Diese werden entnommen und im Labor
befruchtet. Nach drei Tagen werden ein bis zwei Zellen von den Embryonen
abgetrennt und genetisch getestet. Nur nicht von der befürchteten
genetischen Erkrankung betroffene Embryonen werden in die Gebärmutter der
Frau überführt.
Die Erfolgsrate der PID ist gering. Laut einer internationalen Erhebung
wurden nur 14% der Paare, die sich einer PID-Behandlung unterzogen, nach
mehreren Versuchen Eltern (ESHRE 2001). Dabei sind die Risiken durch die IVF
beträchtlich: Viele Frauen haben schwere Nebenwirkungen durch die
Hormonbehandlung. Dazu kommen Eingriffsrisiken und vermutlich ein erhöhtes
Krebsrisiko. Weil meist mehrere Embryonen übertragen werden, kommt es
gehäuft zu Mehrlingsschwangerschaften (27%) und Frühgeburten. Außerdem ist
die Zuverlässigkeit der Gendiagnostik an einzelnen Zellen begrenzt. Meist
wird zur Kontrolle eine Pränataldiagnostik (PND) durchgeführt. Laut der
genannten Studie wurden vier von 279 Kindern krank geboren und vier
Schwangerschaftsabbrüche nach PND durchgeführt (ESHRE 2001).
Zunächst wurde die PID als Alternative zur PND für Paare mit einem hohen
Risiko für ein krankes oder behindertes Kind eingeführt. Über diese
Indikation wird auch in Deutschland diskutiert. International dient die PID
mittlerweile ebenso häufig der Verbesserung der Erfolgsaussicht der IVF,
indem voraussichtlich nicht entwicklungsfähige Embryonen aussortiert werden.
In einzelnen Fällen wird sie zur Geschlechtswahl aus sozialen Gründen
eingesetzt oder zur Zeugung eines Kindes, das sich als Blut- und
Knochenmarksspender für ein krankes Geschwisterkind eignet. 

Rechte der betroffenen Paare gegen Embryonenschutz? 

Das zentrale Argument für die Zulassung der PID hierzulande ist die
Vermeidung von Schwangerschaftsabbrüchen nach PND. Mit der PID könne der
Kinderwunsch von genetisch belasteten Paaren ohne Schwangerschaft auf Probe
erfüllt werden. Manche meinen sogar, die betroffenen Paare hätten ein Recht
darauf.
Natürlich darf niemand durch gesellschaftlichen oder staatlichen Zwang daran
gehindert werden, eine Familie zu gründen. Ein Anspruch auf Erfüllung des
Kinderwunsches mit medizinischer Hilfe kann daraus aber nicht abgeleitet
werden. Trotzdem sollte der Kinderwunsch der betroffenen Paare ernst
genommen werden. Das bedeutet aber nicht, dass der Wunsch nach PID
unabweisbar ist, wenn es gewichtige Argumente gegen das Verfahren gibt.
Weil bei der PID Embryonen aussortiert werden, ist deren Vernichtung Teil des
Verfahrens. Deshalb spricht der grundrechtliche Schutz des ungeborenen
menschlichen Lebens gegen eine Zulassung der PID. 
Trotzdem gehört der „moralische Status“ von Embryonen zu den strittigsten
Fragen in unserer Gesellschaft. Für viele besitzt bereits die befruchtete
Eizelle Lebensrecht, weil sie das Potenzial hat, sich zu einem Menschen zu
entwickeln. Andere sehen in frühen Entwicklungsstadien nur einen Zellhaufen,
der noch nicht schützenswert ist. Für eine Einschränkung der
Schutzwürdigkeit in Abhängigkeit von der Entwicklung müssten allerdings
allgemeingültige Kriterien benannt werden. Kriterien für den „eigentlichen“
Beginn des Menschseins wie die Nidation, die Ausbildung des Gehirns oder die
Geburt sind mehr oder weniger willkürlich und lassen Fragen nach ihrer
ethischen Qualität unbeantwortet. Ethisch relevante Kriterien für die
Schutzwürdigkeit von Lebewesen, wie Schmerzempfinden, Selbstbewusstsein oder
die Fähigkeit zur Selbstachtung sind immer auch auf geborene Menschen
anwendbar. 
Oft wird auch argumentiert, es sei widersprüchlich, Schwangerschaftsabbrüche
faktisch zu dulden, im Labor gezeugte Embryonen aber umfassend zu schützen.
Dabei wird negiert, dass die Schwangerschaft mit keiner anderen
Lebenssituation vergleichbar ist. Von einer ungewollten Schwangerschaft ist
die Frau unausweichlich in ihrer ganzen körperlichen und psychischen
Integrität betroffen. Das Leben des Föten könnte gegen ihren Willen nur um
den Preis der Verletzung ihrer Rechte geschützt werden. Darauf hat der
Gesetzgeber aus gutem Grund verzichtet. Im Fall der Entscheidung für eine
PID ist die Frau nicht schwanger. Es besteht kein unausweichlicher Konflikt
zwischen den Rechten der Frau und dem Schutz des Embryos. Dieser Konflikt
würde durch die Zeugung im Labor mit dem Ziel, nur die „gesunden“ Embryonen
auszuwählen, vorsätzlich herbeigeführt. 

Gesellschaftliche Folgen der PID

Fast alle Befürworter der PID wollen das Verfahren auf schwerwiegende
Erkrankungen begrenzen. Dies geht aber nicht. Eine Generalklausel, die die
zu erwartende Belastung der Frau zum Maßstab macht, wäre, wie die Praxis der
PND zeigt, keine wirkungsvolle Begrenzung. Jeden Einzelfall durch eine
zentrale Ethikkommission zu prüfen, wie ärztlicherseits vorgeschlagen wurde,
wäre eine kaum zu rechtfertigende Bevormundung der betroffenen Paare
(Bundesärztekammer 2000). Wer außer dem Paar selbst könnte sich das Urteil
anmaßen, ob ein Kind mit einer bestimmten Krankheit „zumutbar“ ist? Ein
Indikationskatalog mit bestimmten schweren Krankheiten wäre eine
Diskriminierung von lebenden Betroffenen.
Zu befürchten ist, dass auf Grund von sozialen Zwängen eine wirklich
selbstbestimmte Entscheidung für die PID häufig nicht möglich ist. Es ist
soziologisch belegt, dass Entscheidungen für die PND oft unter indirektem
oder sogar direktem Druck des sozialen Umfelds zustande kommen. Nun ist kaum
anzunehmen, dass Frauen mit „normalem“ Risiko für ein krankes oder
behindertes Kind freiwillig die Belastungen von IVF und PID auf sich nehmen
würden. Auf „Risikopaare“ und gegebenenfalls auf Paare, die ohnehin in einer
IVF-Behandlung sind, könnten solche Zwänge aber wirken. 
Oft wird der PID ein diskriminierender Charakter in Bezug auf Menschen mit
Behinderungen zugesprochen. Es wäre allerdings zu weitgehend zu behaupten,
die individuelle Entscheidung eines Paares für die PID sei eine
Diskriminierung der Gruppe von Menschen mit Behinderungen. Was aber
berechtigterweise als Diskriminierung verstanden werden kann, ist die
gesellschaftliche Etablierung eines Verfahrens, dessen explizites Ziel es
ist, die Existenz von kranken und behinderten Menschen zu vermeiden. Dass
dies Ausdruck eines gesellschaftlichen Werturteils über Menschen mit
Behinderungen wäre, lässt sich kaum von der Hand weisen.
Weiterhin ist zu befürchten, dass die PID den Weg zu weiteren Verfahren wie
der verbrauchenden Embryonenforschung und Keimbahneingriffen ebnet. Der
Gesetzgeber könnte dies zwar durch Grenzziehungen verhindern. Anzunehmen ist
aber, dass mit der Legalisierung der PID die moralische Schwelle vor der
Zulassung weiterer Verfahren niedriger würde. Erstmals würden mit der PID in
Deutschland gezielt „überzählige“ Embryonen gezeugt. Dies könnte weitere
Begehrlichkeiten auslösen. Außerdem spricht die internationale Entwicklung
für die Wahrscheinlichkeit einer Ausweitung der PID beispielsweise hin zur
Routinekontrolle bei IVF und zur positiven Auswahl von Eigenschaften.

Literatur und Links unter www.imew.de
 

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