Forum Bioethik Anbei ein Artikel über Peter Singer aus der Reformhaus-Rundschau. Er wird hier angeführt, nicht um für Peter Singer zu werben, sondern im Gegenteil: um darauf hinzuweisen, wie seine Gedanken interpretiert  werden können.
Es ist schon ungewöhnlich, ausgerechnet Peter Singer als den Moralphilosophen der Gegenwart zu bezeichnen, der die Antworten auf die schwierigen Fragen der heutigen Zeit hat.
 

Was wird aus uns?
Dr.med. Klaus Mohr
Aus: Reformhaus- Rundschau 1/2002

                                                                                         Der Mensch ist gut!
                                                                                         Da gibt es nichts zu lachen!
                                                                                         In Lesebüchern
                                                                                         schmeckt das wie Kompott.
                                                                                         Der Mensch ist gut.
                                                                                         Da kann man gar nichts
                                                                                         machen!
                                                                                         Er hat das, wie man hört,
                                                                                         vom lieben Gott.
                                                                                                       Erich Kästner

        Gerade zum Beginn eines neuen Jahres fragen wir uns immer: Was wird (uns) die Zukunft
bringen, was wird (uns ) geschehen? Prognosen und Horoskope haben Hochkonjunktur.
Doch liegt es mehr an uns, was die Zukunft bringt, als an äußeren Bedingungen: „Die Um-
stände waren mächtig; woran aber Joseph glaubte, war ihre Bildsamkeit durch das Persön-
liche.“ (Thomas Mann, Joseph und seine Brüder.) Deshalb sollten wir uns, aber nicht nur
zum Jahreswechsel, sondern an jedem Tag fragen: Was kann ich in der Gegenwart und für
die Zukunft Gutes tun?
Denn jeder wünscht sich doch nicht irgendeine, sondern eine gute Zukunft. Und wenn wir in
der Gegenwart schon nicht gut sind, werden es die Anderen auch weniger sein. Und wenn
wir selber nicht gut sind, werden es die Anderen auch weniger sein. Erich Kästner, geprägt
vom Erleben des 2. Weltkrieges, suchte aber fand wenig Gutes in den Menschen; das oben
zitierte Gedicht „Der Mensch ist“ geht nämlich bitterböse weiter (wenn Sie es möchten, kön-
nen Sie gegen Einsendung eines adressierten frankierten Rückumschlages an den Verlag der Reform-Rundschau eine Kopie erhalten). Er wollte provozieren: wieder gut zu werden.
Deshalb schrieb E. Kästner auch schöne Bücher für Kinder. In der Unverdorbenheit der Kin-
der sah er das Gute für die Zukunft.
Auch der Kluge, wohlmeinende, aber stets, etwas knurrige Philosoph Arthur Schopenhauer
(der seinen Hund „Mensch“ rief) suchte das Gute im Menschen, fand aber zunächst eine
planmäßige Weiterentwicklung des Animalischen als Triebfeder des Antimoralischen:
„Antimoralische Triebfedern: 
Die Haupt- und Grundtriebfeder im Menschen wie im Tiere ist der Egoismus, d.h. der Drang
zum Dasein und Wohlsein.- Das deutsche Wort Selbstsucht führt einen falschen Nebenbe-
griff von Krankheit in sich. Das Wort Eigennutz aber bezeichnet den Egoismus, sofern er
unter Leitung der Vernunft steht, welche ihn befähigt, vermöge die Reflexion seine Zwecke
planmäßig zu verfolgen; daher man die Tiere wohl egoistisch, aber nicht eigennützig nennen
kann. Ich will also für den allgemeinen Begriff das Wort Egoismus beibehalten.- Dieser Ego-
ismus ist im Tiere wie im Menschen mit dem innersten Kern ans Wesen desselben aufs 
genaueste verknüpft, ja eigentlich identisch. Daher entspringen in der Regel alle seine Hand-
lungen aus dem Egoismus, und aus diesem zunächst ist allemal die Erklärung einer gege-
benen Handlung zu versuchen; wie denn auch auf denselben die Berechnung aller Mittel,
dadurch man den Menschen nach irgendeinem Ziele hinzulenken sucht, durchgängig gegründet ist. Der Egoismus ist seiner Natur nach grenzenlos: der Mensch will unbedingt
sein Dasein erhalten, will es von Schmerzen, zu denen auch alle Mängel und (jede)  Ent-
behrung gehört, unbedingt frei, will die größtmögliche Summe von Wohlsein und will jeden
Genuss, zu dem er fähig ist, ja sucht womöglich noch neue Fähigkeiten zum Genusse in
sich zu entwickeln. Alles, was sich dem Streben seines Egoismus entgegenstellt, erregt
seinen Unwillen, Zorn, Hass: er wird es als seinen Feind zu vernichten suchen. Er will
womöglich alles genießen, alles haben; da aber dies unmöglich ist, wenigstens alles
beherrschen: `Alles für mich, und nichts für die andern´- ist sein Wahlspruch. Der Egoismus
ist kolossal: er überragt die Welt. Denn wenn jedem Einzelnen die Wahl gegeben würde
zwischen seiner eigenen und der übrigen Welt Vernichtung; so brauche ich nicht zu sagen,
wohin sie bei den allermeisten ausschlagen würde. Demgemäß macht jeder sich zum Mittel-
punkt der Welt, bezieht alles auf sich und wird, was nur vorgeht, z.B. die größten Veränder-
ungen im Schicksale der Völker, zunächst auf sein Interesse dabei beziehen und, sei dieses
auch noch so klein und mittelbar, vor allem daran denken.“
Schopenhauer sieht sehr klar den Egoismus der Menschen als Hauptursache des Hasses
und Übels auf der Erde: „Die ...speziellen Laster nachzuweisen, wäre nur in einer ausgeführten Ethik am Platz. Eine solche würde etwas aus dem Egoismus ableiten. Gier,
Völlerei, Eigennutz, Geiz, Habsucht, Ungerechtigkeit, Hartherzigkeit, Stolz Hoffart usw. –
aus der Gehässigkeit aber Missgunst, Neid, Übelwollen, Bosheit, Schadenfreude, spähende
Neugier, Verleumdung, Hass, Verrat, Tücke, Rachsucht, Grausamkeit usw. – Die erste 
Wurzel ist mehr tierisch, die zweite mehr teuflisch. Das Verwalten der einen oder der anderen oder der weiterhin noch nachzuweisenden moralischen Triebfeder gibt die Haupt-
Linie in der ethischen Klassifikation der Charaktere. Ganz ohne etwas von allen dreien ist
kein Mensch.“ Schopenhauers Philosophie geht realistisch von der (teils animalischen) Natur
des Menschen aus.
Die Frage nach der Ethik ist die Kernfrage aller Philosophie. Ethik fragt: Wie können wir gut
leben? Wie sollen wir leben? Und antwortet auf diese Fragen. Der Philosophieprofessor Peter Singer (*1946), Universität Melbourne, gibt diese Antworten aus der Sicht unserer
Zeit, in der die Menschen ratlos geworden sind. Die meisten richten sich (fast) nur nach ihrem Eigeninteresse. Damit sind wir gleich wieder bei Schopenhauers Diagnose der anti-
Moralischen Triebfedern. Da hat sich mit dem modernen Fortschritt nichts gebessert – im
Gegenteil: das Eigeninteresse hat noch zugenommen. Und mit den Möglichkeiten des
technischen Fortschritts wird das Eigeninteresse zum zerstörenden Instrument: umwelt-zerstörend, zukunftszerstörend, selbstzerstörend. Mit allen neuen Mitteln, die der moderne
Fortschritt zur Verfügung stellt. Vom unnötigen Autofahren bis zum Zerreden des Gutge-
meinten. Der Terrorismus hat vorgeführt, wie einfach gewöhnlich Verkehrsflugzeuge, in 
denen arglose Passagiere sitzen, als zerstörerische Waffen missbraucht werden können.
Dieser Missbrauch geschieht aber im Kleinen, im Alltag – und ohne verbrecherische Ab-
Sicht – ständig in den Industriestaaten. Im Terror ist es nur akut schrecklicher, spektaku-
lärer, noch widersinniger und brutaler. Der Terror benutzt das vermeintlich harmlose 
Arsenal des westlichen Fortschritts für seinen Zerstörungswillen, aus dem die Ausführen-
den sich selbst mit zerstören. Auch in unserer Gesellschaft gibt es Menschen, die lieber
andere und sich selber zerstören, als ihr Eigeninteresse in Frage zu stellen: Terror im 
Kleinen, im Alltag. Schopenhauer hat dargestellt, dass dieser destruktive Trieb aus der
animalischen Seite des Menschen entsteht. Jeder von uns hat diesen Trieb, mehr oder
weniger ausgeprägt, mehr oder weniger zum Guten umwandlungsfähig . Die animalische
Seite reagiert aus ständiger kreatürlicher Angst, zu unterliegen und zu kurz zu kommen.
Im Menschen mit seinem Bewusstsein von der Endlichkeit des Lebens, mehr noch vom
Niedergang im Alter (den Tiere so nicht kennen) ist diese Angst maximal ausgeprägt –
mit äußerst destruktiver Wirkung. Viele Mechanismen in unserer Gesellschaft, in Politik,
Wirtschaft und Medizin sind von dieser Angst bestimmt. Deshalb ist der Mensch das 
gefährdenste Wesen für die Erde und das Leben.
Doch könnten die Menschen mit ihrem Bewusstsein, ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten
Besonders fürsorglich sein, das Leben und die Zukunft bewahren. Menschen haben nicht
nur eine animalische sondern doch auch eine humane Seite. Vereinfacht gesagt entsteht
die Angst und die Bereitschaft von Menschen, andere zu zerstören, aus ihrem animalischen
Bereich.  Je besser der humane Pol entwickelt  wird, um so mehr schwinden Angst und Des-
truktivität. Die humane Seite gibt die Fähigkeiten, das Selbst zu überwinden und für andere
gut da zu sein. Das lehrt uns die Religion – und aus philosophischer Erkenntnis die Ethik.
Die Ethik sagt uns, wie wir gut leben können. Gut leben nicht nach den zukunftsblinden
Regeln des modernen Massenkonsums, sondern wirklich gut leben, für andere leben, sinn-
voll leben können. „... wir werden feststellen, dass ein ethisches Leben nicht Selbstauf-
opferung bedeutet, sondern Selbsterfüllung“ (P. Singer).
Der Silvesterabend, der Neujahrmorgen ist für viele Menschen die Zeit der guten Vorsätze,
kaum 24 Stunden des kommenden Jahres. Danach kommt wieder der alte Trott, nur mit dem
Gefühl, wieder älter, aber nicht besser geworden zu sein, sondern noch ratloser, noch 
schwächer, mit noch mehr Angst vor dem Kommenden, vor allem vor dem eigenen Alter,
das wieder einen Zeigersprung höher gerückt ist. Muss das wirklich so sein? Könnten wir
nicht älter – und dabei besser, sogar gesünder werden?
Das Buch von Prof. Peter Singer „Wie sollen wir leben? - Ethik in einer egoistischen Zeit“
(300 Seiten, €9,15) gibt lebenswichtigen existenziellen Rat. Ein ethisches Leben zu führen,
bedeutet nicht Selbstaufopferung, sondern Selbsterfüllung. Prof. Singer ist dazu auch im
Tierschutz und mit praktischen Konzepten zum ökologisch orientierten ethischen Leben
Persönlich aktiv.
Menschen werden glücklich, wenn sie Glück üben (Aristoteles). Wie können Sie Glück üben,
an jedem Tag des kommenden Jahres, statt kurzlebiger guter Vorsätze? Vom Ansatz her so:
Halte jeden Hass und jede Verleumdung, deshalb auch jede Sorge von Deiner Seele fern.
Lebe einfach, erwarte wenig, gib viel. Fülle Dein Leben mit Liebe aus. Verbreite guten und
frohen Sinn. Vergiss dich selbst, denke an Andere. Verhalte Dich so, wie Du möchtest, das
man Dir tut.
Sei zunächst nur eine Woche lang so. Du wirst staunen, wie viel sich verändert. Wahrschein-
lich wirst Du dann immer so sein wollen. (Norman Vincent Peale: Have a great day. Dt. Übersetzung: Heute fängt Dein Leben an.).
(Fettgedruckte Passagen nicht im Original)

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