Die WELT, 14. 04. 2002
Kirche will Diskussion um Abtreibungsregelung
Kirchen beklagen hohe Abtreibungszahlen und kritisieren mangelndes
Interesse der Politik
Von Martina Fietz
Berlin - Katholische und evangelische Kirche haben eine neue Diskussion
um den Paragrafen 218 gefordert. Zur Eröffnung der "Woche für
das Leben"
in Erfurt sagte der Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche, Präses
Manfred Kock, es sei zu prüfen, ob mit der gesetzlichen Neuregelung
von
1993 das Ziel eines verstärkten Lebensschutzes erreicht sei. Der
Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann,
kritisierte das mangelnde Interesse der Politik an einer neuen
Diskussion über den Paragrafen 218. Dabei habe die gültige
Regelung
nicht zu einer Senkung der Abtreibungszahlen geführt, sondern
neuerdings
sei sogar eine steigende Tendenz zu registrieren.
Der Missstand der Spätabtreibungen zeigt deutlich die Mängel
des
Gesetzes. Es lässt einen Schwangerschaftsabbruch zeitlich unbegrenzt
zu,
wenn andernfalls eine "Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer
schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen
Gesundheitszustandes" der Mutter droht. Diese Voraussetzung gilt
vielfach als gegeben im Falle einer schweren Behinderung des Kindes.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wurden im Jahr 2000 insgesamt
134609 Schwangerschaftsabbrüche gemeldet. 1943 davon wurden zwischen
der
13. und 23. Woche vorgenommen, 154 noch danach. Bundesweit Aufsehen
erregte der Missstand 1997, als ein Junge namens Tim seine eigene
Abtreibung überlebte.
Trotzdem wird es im Bundestag zunächst keine fraktionsübergreifende
Initiative zur Vermeidung von Spätabtreibungen geben. Die entsprechenden
Gespräche sind gescheitert, berichtete die stellvertretende Vorsitzende
der CDU/CSU-Fraktion, Maria Böhmer. Union sowie SPD und Grüne
konnten
sich nicht einigen in der Frage, ob eine psycho-soziale Beratung für
die
betroffenen Eltern zur Pflicht gemacht werden soll. Außerdem
gab es
Dissens in der Frage der Haftung und des Weigerungsrechtes von Ärzten.
Die Union wird nun ihren bereits im vergangenen Sommer in den Bundestag
eingebrachten Antrag zur "Vermeidung von Spätabtreibungen - Hilfen
für
Eltern und Kinder" im Parlament beraten lassen und baut auf Annäherung
in den Ausschüssen.
Die Union plant außerdem einen Antrag, wonach das Verbot der
Präimplantationsdiagnostik (PID) gesetzlich geregelt werden soll.
Die
PID führe zur "Selektion von Embryonen" und stelle den in der
Verfassung
verankerten Wert des menschlichen Lebens infrage, sagte Böhmer.
Die Kirchen, die in der kommenden Woche unter dem Motto "Von Anfang
an
das Leben wählen statt auswählen" insbesondere auf die Risiken
der
Gentechnik hinweisen wollen, haben ebenfalls ein klares Nein zur PID
formuliert. Selektion lasse sich nicht dadurch rechtfertigen, dass
erbliche Behinderungen verhindert würden, sagte Lehmann. Kock
betonte,
nur eine Gesellschaft, die menschliches Leben von Anfang an schütze,
könne die Basis ihres Zusammenlebens sichern.
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