Forum Bioethik

ADS-Kinder, Ritalin und Bioethik

Anbei eine kurze Betrachtung eines sehr modernen Phänomens, das für viele Eltern und Lehrer ein großes Problem darstellt: die sogenannten "ADS-Kinder"..
Grundlage dieser Betrachtung ist der sehr kritische Artikel über ADS und Ritalin in der Zeitschrift Info 3 (Ausgabe Okt. 2001, p. 32 - 34) von Axel Föller-Mancini: Wer ist aufmerksamkeitsgestört? Der Streit um ADS und Ritalin in unserer Gesellschaft.
Diese Betrachtung soll nur ein kurzer Beitrag dazu sein. Es geht einfach darum, dass viele Kinder verhaltensauffälliger werden, medizinischerseits mit Tabletten (d.h.zum Beispiel mit  Ritalin) darauf reagiert wird und sogar die Frage entsteht, ob ein genetischer Effekt vorliegt.. Es scheint, daß diese Debatte so wirklich problematisch  geführt wird. Es zeigt einerseits, wie leicht es sich z.T. Mediziner und Biotechnologen machen, und es zeigt, daß große wirtschaftliche Interessen eine Rolle spielen.. Tragisch ist dabei, dass die eigentlichen Opfer  Kinder sind.
Aufmerksamkeitsstörungen und Hyperaktivität nehmen bei Kindern tatsächlich zu und führen oft zu extremen und schwierigen Verhaltensweisen. Wer die Umwelt- und Familienbedingungen dieser Kinder kennt, braucht sich oft nicht zu wundern: Bewegungsmangel, Fernsehen, Video, Computer, Überflutung an diversen Reizen usw.
Statt Änderungen in dieser Hinsicht herbeizuführen, werden Kinder  häufig  mit Medikamenten ruhig gestellt. - Was ist das für eine Medizin, die es sich  z.T. so leicht macht? Berücksichtigt werden sollte auch, dass es ursprünglich  bei der Einführung von Ritalin in den USA enge Verbindungen zwischen Medizinern  bzw. der American Psychiatric Association (APA) und der Pharmaindustrie gab, auf die im folgenden Artikel auch hingewiesen wird.
 

Der Streit um ADS und Ritalin als Spiegel unserer Gesellschaft
von Axel Föller-Mancini
(Auszüge aus einem  Aufsatz, der in der Zeitschrift  Info3, 10/2001 erschienen ist)

Ist ADS eine Erfindung?
Nicht nur Zahlen über betroffene unruhige Kinder sind ein Politikum, sondern ebenso jene Kürzel und Bezeichnungen, die ich in den letzten Abschnitten nur sehr knapp wiedergegeben habe. So steht z.B. der Vorwurf im Raum, dass erst die Etablierung des Begriffs Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom in den USA zu einer ökonomischen Verwertung führen konnte, die in der Geschichte der Medizin fast beispiellos ist. Es ist inzwischen mit Fakten
belegt, dass die American Psychiatric Association (APA) ihren ganzen Einfluss geltend machte, um ADS - in den USA spricht man von ADHD - ins wichtige Diagnostical and Statistical Manual of Mental Disorders aufnehmen zu lassen. Fast gleichzeitig ging die APA weitreichende Partnerschaften mit pharmazeutischen Konzernen ein, die zunächst dem Ziel dienten, den noch mächtigen Einflussbereich der "sozial denkenden Psychiatrie" zurückzudrängen und in einem zweiten Schritt einen erweiterten Absatzmarkt für Psycho-Pharmaka zu schaffen. Dies war nur möglich, indem die Vorstellung somatischer bzw. hirnorganischer Ursachen für das Massenphänomen "Hyperaktivität" und "Aufmerksamkeitsstörung" wieder aufgewärmt und mit einer einheitlichen, möglichst medikamentösen Strategie versorgt wurde. Es gab aber auch kritische Stimmen aus dem eigenen Lager, die die Indizien für Manipulation erhärtete. Der Psychiater Lester Shapiro schrieb 1991 in dem Artikel APA and Drug Companies: "Es wäre besser, wenn wir in eine ernsthafte Untersuchung und einen Dialog einträten, als in geheimen Einverständnis mit einer Industrie zusammenzuarbeiten, dessen Ziel es ist, den Gebrauch von Medikamenten
Anzukurbeln, indem sie die Indikationen für ihre Medikamente erweitert,  Langzeitanwendungen propagiert, negative Begleiterscheinungen herunterspielt, in Aussagen über ihre Wirksamkeit übertreibt, begleitende Therapien herabsetzt oder ähnlich wirkende Medikamente herabsetzt."

An der Realität von Aufmerksamkeitssstörungen, Zappeligkeit, dem weitgehenden Verlust von Impulskontrolle und von extremer körperlicher Unruhe werden diejenigen niemals zweifeln, die diese Kinder kennen. Eltern, Lehrer, Therapeuten und die Betroffenen selbst sind die Zeugen dieses um sich greifenden Phänomens. Es ist aber ernsthaft die Frage zu
stellen, ob alles, was derzeit unter diese unscharfe Kategorie fällt, wirklich dazu gehört oder ob gerade die diffuse Definition, verbunden mit der Tendenz zur Pathologisierung, den ökonomischen Zielen mehrerer Gesellschaftsgruppen in den USA - und mittlerweile auch in
Europa - dient. Die "Erfindung ADS" besteht in der Propagierung dieses Syndroms, mit dem Ziel, komplizierte seelische Probleme auf eine simple Berechnungsgrundlage herunterzureden. Immerhin wird die größte Elterninitiative in den USA mit 45.000 Mitgliedern
direkt von Novartis finanziert. Ch.A.D.D (Children and Adults with Attention Deficit Disorder) vertritt nur eine einzige Sicht: ADS hat eine neurobiologische Ursache und muss medikamentös behandelt werden. Nach Ansicht des Psychoanalytikers Reinhard Voss trifft diese Sponsorenmeinung auf längst bereiteten Boden: So "ist seit Beginn der 80er Jahre eine
zunehmende Bereitschaft von Eltern, Lehrern, Erziehungsberatern und Ärzten wahrzunehmen, abweichendes Verhalten von Kindern und Jugendlichen mit Hilfe von Medikamenten reduzieren oder gar beheben zu wollen. Losgelöst von den sozialen Entstehungszusammenhängen werden Fehlverhaltensformen von Kindern medizinischen Kategorien zugeordnet und aus der Sicht eines im wesentlichen (hirn-)organisch orientierten Krankheitsverständnisses behandelt".
(...)
(Anm: Hervorhebungen im Fettdruck sind nur hier, nicht im Originaltext verwendet worden, Forum Bioethik,U.D.)

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